Elternbildung beim Kinderschutzbund

„Eltern sind die Fachleute ihres Kindes“

von Redaktion

Der Kinderschutzbund Rosenheim intensiviert – dank einer 10000-Euro-Spende des Lions Clubs Bad Endorf-Chiemgau – die Elternbildung. Was Mütter und Väter in den Kursen lernen, erläutern Rita Voggenauer, Leiterin des Mütter-Väter-Zentrums und seit 16 Jahren Kursleiterin, sowie Geschäftsführerin Marianne Guggenbichler.

Welche Eltern nutzen das Bildungsangebot des Kinderschutzbundes?

Voggenauer: Es sind vor allem Eltern, die den Anspruch haben, es ganz besonders gut machen zu wollen. Und es sind Mütter und Väter, die sich in Alltagssituationen rund um die Erziehung unsicher fühlen. Ein typisches Beispiel: Sie wissen nicht, wie sie Grenzen setzen können, ob es erlaubt ist, Strafen auszusprechen, befürchten bei Fehlern schwerwiegende Folgen für ihr Kind.

Woher kommt diese Unsicherheit?

Voggenauer: Die typischen Großfamilien, in denen mehrere Mitglieder aus unterschiedlichen Generationen mit erzogen haben und man sich als Eltern viel abschauen konnte, gibt es heute kaum noch. Das führt zu Verunsicherung. Viele Eltern befürchten, es könnte etwas Schlimmes passieren, wenn sie nicht permanent am Kind dran sind und es beaufsichtigen. Das führt heutzutage sogar manchmal dazu, dass Eltern ihre Kinder nicht einmal alleine im Zimmer spielen lassen.

Ich habe persönlich noch eine weitere Theorie: Durch die Krippen- und Kitabetreuung, die für Familien heute wirklich existenziell sehr wichtig ist, wird jedoch manchmal der Eindruck erweckt, die Verantwortung für Erziehung könne oder sollte abgegeben werden. Es wird Eltern irgendwie die Erziehungskompetenz abgesprochen, meinen viele. Außerdem gibt es sehr viele Erziehungsratgeber und Bücher. Das ist eigentlich gut so, doch auch dieses Lektüreangebot erweckt den Eindruck, Eltern seien überfordert und würden Hilfestellung benötigen.

Stimmt denn das? Sollte nicht auch heute noch das Bauchgefühl vermitteln, was Eltern zu tun haben?

Voggenauer: Natürlich gilt das nach wie vor. Und eins steht auf jeden Fall fest: 99 Prozent aller Eltern wollen nur das Beste für ihr Kind. Und sie wissen in der Regel auch ganz genau, was das Beste für ihren Sprössling ist. Deshalb vermitteln wir in unseren Kursen den Eltern: Lasst euch die Erziehungskompetenz nicht nehmen. Ihr seid die Fachleute eures Kindes! Wir stärken Müttern und Vätern den Rücken – auch indem wir ihnen aufzeigen, was sie alles gut machen und gut können. Außerdem dürfen Eltern auch einmal Fehler machen. Das ist nicht gleich der Weltuntergang – im Gegenteil: Mütter und Väter, die nie etwas falsch machen, setzen die Messlatte sehr hoch für ihre Kinder.

Wie werden die Eltern in den Kursen ausgebildet?

Voggenauer: Es gibt nicht nur Theorie, sondern auch viele Praxisübungen. Wir unternehmen Rollenspiele, sprechen im geschützten Raum des Kurses Probleme durch – das Ziel: miteinander reden, voneinander lernen. Viele Eltern fühlen sich allein schon durch die Tatsache gestärkt, dass sie feststellen, anderen geht es genauso wie ihnen, andere fühlen sich bei Erziehungsfragen manchmal ebenso überfordert. Außerdem arbeiten wir ohne den moralischen Zeigefinger und stellen klar: Es gibt kein Patentrezept. Wir vermitteln dies über das Bild eines Werkzeugkoffers. In ihm gibt es viele Werkzeuge, mal hilft das eine, mal das andere Werkzeug.

Was raten Sie Eltern noch?

Voggenauer: Sich selber in der Erziehungsrolle nicht so ernst zu nehmen, viele Alltagsprobleme vielleicht auch einmal mit Humor anzugehen. Und Bereitschaft zur Reflektion zu entwickeln: Was habe ich heute gut gemacht, was lief schief? Was kann ich daraus lernen?

Eltern haben es heute aber auch nicht leicht in einer leistungsorientierten Gesellschaft.

Voggenauer: Das stimmt. Kinder werden regelrecht genormt. Ständig wird der Entwicklungsstand überprüft. Jede kleine Abweichung wird sofort registriert und auch dokumentiert. Die Sichtweise ist oft sehr defizitorientiert. Im Fokus steht, was das Kind noch nicht kann, statt das, was es bereits kann. Eltern neigen dann dazu, mit ihren Kindern Fähigkeiten zu trainieren. Sie üben mit ihnen ein, was laut Norm gefordert zu sein scheint. Wir versuchen, Mütter und Väter darin zu stärken, zu sagen: „Mein Kind darf sich entwickeln, wie es gut für mein Kind ist.“

Man hat auch das Gefühl, Kinder müssen heute sehr angepasst sein.

Voggenauer: Auch das ist richtig. Wir haben heute ein Problem mit schlechten Gefühlen. Wütend oder traurig zu sein, wird nicht mehr als seelische Situation, die zum Alltag dazugehört, akzeptiert. Auch darin stärken wir Eltern: selber Gefühle zu zeigen und sie ihren Kindern auch zuzugestehen. Außerdem stelle ich fest: Eltern sind heute sehr verkopft. Und es wird viel zu viel geredet in der Erziehung. Jede Entscheidung wird begründet, Mütter und Väter halten Vorträge darüber, warum es jetzt ins Bett geht oder das Kinderzimmer aufgeräumt werden soll.

Ist es nicht wichtig, solche Forderungen zu erläutern?

Voggenauer: Eine kurze Erklärung: okay. Doch dann muss es gut sein. Kinder brauchen Grenzen und konsequentes Verhalten statt Herumgeeier. Grenzen sind etwas Natürliches. Sie erleben schon die Babys im Bauch der Mutter, später in ihrem Arm oder im Tragetuch. Grenzen geben Halt und Schutz.

Mittlerweile gibt es sogar Elternkurse für die Pubertätszeit. Warum?

Guggenbichler: Weil diese Phase im Leben eines Kindes eine sehr schwierige ist – auch für die Eltern. Kinder grenzen sich auf einmal ab. Wir versuchen, Verständnis für diese Zeit zu vermitteln – auch mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Neurologie. Wer weiß, was im Kopf und im Körper der Teenager geschieht, kann sie besser verstehen. Dann fällt auch der Umgang leichter. Wer von klein auf eine gute Beziehung zum Kind aufgebaut hat, tut sich übrigens in der Pubertät leichter. Auch hier gilt das Prinzip: gelassen bleiben, auch einmal etwas zulassen.

Selbst Großeltern werden heute schon vom Kinderschutzbund geschult.

Guggenbichler: Genau, schließlich hat sich die Rolle der Großeltern verändert. Heute sind sie oft noch berufstätig und in vielen Bereichen sehr aktiv. Sie möchten sich einbringen, aber anders als früher, als Oma und Opa oft im gleichen Haus oder im Dorf wohnten und stets verfügbar waren. Interview: Heike Duczek

Elternangebote

Kurse, Vorträge, Gruppen: Elternbildung hat beim Kinderschutzbund Rosenheim viele Gesichter. Kursleiterinnen sind pädagogische Fachkräfte, die vom Landesverband ausgebildet werden. Für Kurse, die sich an Eltern mit Kindern im Alter bis zu drei Jahren wenden, sucht der Kinderschutzbund noch Kursleiter. 27 sind derzeit aktiv, 2017 gab es 16 Kurrse und 18 Vorträge.

Die Termine der Kurse für 2018 finden Interessenten unter www.kinderschutzbund-rosenheim.de.

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