Streetart

„Lena zieht aus – zeigen, was bleibt“

von Redaktion

Was bleibt von einem Menschen, wenn er seine Wohnung verlassen muss? Diese Frage stellen sich die jungen Künstler der „ArtCloud“ in ihrer großen Streetart-Installation, die Ende August ausgestellt werden soll. Als Leinwand dienen die Räume eines vor dem Abriss stehenden Mehrfamilienhauses in der Lena-Christ-Straße.

Aline Tretner tobt sich im gelben Raum kreativ aus. Geplante Motive sind unter anderem die von den ehemaligen Bewohnern vermisste Katze.

Rosenheim – Der beißende Geruch von Sprühlack und Acryl liegt in der Luft. In den oberen Stockwerken ist ein Hämmern zu hören. Gut gelaunte Stimmen tönen durch das staubige Treppenhaus. Die jungen Künstler der „ArtCloud“, einem Rosenheimer Verein, arbeiten fleißig an ihrem Streetart-Projekt.

Am Ende entsteht

eine riesige Rauminstallation

„Lena zieht aus – was bleibt?“, nennt es sich. Die Leinwand: das inzwischen fast leerstehende Gebäude der Lena-Christ-Straße 18, das im Herbst abgerissen werden soll. Nicklas Hoffmann, einer der Vorsitzenden des Künstlervereins, erklärt das Konzept: „Wir wollen der Frage nachgehen, wer in dem Haus gewohnt haben könnte. Was hat die Person hinterlassen? Welche Gebrauchsspuren und Erinnerungen sind entstanden?“

Jeder der 15 teilnehmenden Künstler kann die Fragen frei interpretieren. Graffiti ist dabei lange nicht die einzige Gestaltungsmöglichkeit – auch Kreide, Kohle, Fotografie und Film kommen zum Einsatz. „Das Ganze soll am Ende eine riesige Rauminstallation werden“, beschreibt Hoffmann.

Projektleiter ist Corbi Nicolai, der auch die Idee mit der Streetart entwickelte. Als Graffiti-Künstler hatte er in den vergangenen Jahren schon hin und wieder die Möglichkeit, seine Kreativität an öffentlichen Orten in der Stadt auszuleben. Als die „ArtCloud“ Ideen sammelte, die über das Jahr hinweg realisiert werden könnten, stand auch das Thema Streetart im Raum. „Meistens gibt es dann jemanden, der sich in dem Bereich besonders gut auskennt und den anderen ein bisschen etwas zeigen kann“, sagt Lena Boretzki, eine weitere Vorsitzende. In diesem Fall war es Corbi.

„Anfangs war der Plan, die städtische Galerie nur nach einer kleinen Wand zu fragen, auf der man ein bisschen das Graffitisprühen ausprobieren kann“, erzählt der Projektleiter. Aus einer Wand wurde ein ganzes Haus, denn die Wohnungsbau- und Sanierungsgesellschaft der Stadt Rosenheim bot dem Verein ein komplettes Mehrfamiliengebäude an. Das Haus musste wegen des geplanten Abrisses im Herbst aufgrund von Neubauvorhaben auf dem Gelände von den Bewohnern geräumt werden. Dem Verein standen nun also statt einer kleinen Wand fünf Wohnungen mit jeweils vier Zimmern zur Verfügung – zusätzlich sogar noch einige Räume der benachbarten Hausnummern, die zum Ausprobieren und Üben genutzt werden konnten. Vom Stadtjugendring wird der Verein, der aus der Jugendkunstschule „Kind und Werk“ hervorgegangen ist, mit Fördergeldern bezuschusst. So hat sich die Idee langsam zu einem Ausstellungsprojekt entwickelt.

Inspirationen durch Gespräche mit ehemaligen Mietern

Seit Anfang Juli trifft sich die „ArtCloud“ zweimal in der Woche, um die Rauminstallation noch rechtzeitig vervollständigen zu können. Alle probieren etwas Neues aus und freuen sich über die große Fläche, auf der sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen können.

Corbi Nicolai besprüht die Wände kunstvoll mit seinem Graffiti-Lack. Kohle-Zeichnungen schmücken die Wände der „Oma-Wohnung“, wie sie die Künstler nennen. Die Bilder zeigen Gesichter aus den Erinnerungen einer alten Frau, die hier gewohnt haben könnte. Im gelben Raum im untersten Stockwerk des Gebäudes soll das Gemälde einer Katze entstehen, deren Vermisstenanzeige im Gebäude gefunden wurde. „Uns geht es vor allem darum, wie wir das Haus wahrnehmen. Wir haben aber auch schon mit Leuten geredet, die hier gewohnt haben“, erklärt Lena Boretzki.

Nicklas Hoffmann beschäftigt sich mit einer ganz besonderen Wohnung. Der Boden klebt, Klamotten liegen überall verstreut herum. Neben persönlichen Briefen wurde beim Auszug auch das inzwischen verschimmelte Obst auf dem Küchentisch zurückgelassen. Ein bisschen wollen die Künstler zwar aufräumen – der Vorstand der „ArtCloud“ will aber das Beste aus der gegebenen Situation herausholen: „Man muss dann eben sortieren. Was ist normaler Hausmüll? Und was ist besonderer Müll?“ Die persönlichen Sachen werden natürlich entfernt, um dem ehemaligen Bewohner nicht zu schaden. Nicklas Hoffmann ist diesbezüglich sehr vorsichtig: „Wir wollen ja niemandem auf den Schlips treten.“

Die ersten Zimmer sind schon fertig. In den letzten Wochen muss sich der Künstlerverein trotzdem ranhalten, um das Projekt bis zur Ausstellung erfolgreich abzuschließen. Diese findet am Sonntag, 26. August, von 14 bis 18 Uhr in der Lena-Christ-Straße 18 statt.

Neuigkeiten

zum Projekt auf der

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Lena Christ

Die Lena-Christ-Straße erinnert an die bayerische Schriftstellerin Lena Christ, geboren 1881 in Glonn, gestorben 1920 in München. Die Autorin wurde zu Beginn ihrer schriftstellerischen Tätigkeit von Ludwig Thoma unterstützt. Sie schrieb unter anderem die Lausdirndlgeschichten (Erinnerungen an ihre Mädchenzeit), über den Ersten Weltkrieg (Unser Bayern anno 14) und die berühmte Erzählung „Die Rumplhanni“. Viele ihrer Bücher, die einen tiefen Einblick in das ärmliche Leben der Arbeiterklasse und Landbevölkerung Anfang des 20. Jahrhunderts gaben, wurden auch verfilmt.

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