Warum Fällungen manchmal sein müssen

Wenn der Baumpfleger aufgeben muss

von Redaktion

11 000 Einzelbäume hat das Digitalkataster der Stadt erfasst. Alle kennt Baumfachmann Markus König vom Grünflächenamt natürlich nicht, die meisten jedoch schon. Deshalb tut es ihm „in der Seele weh“, wenn ein Baum der Säge zum Opfer fällt. Doch manchmal muss es so sein. Warum, erläutert König bei einer Ortsbesichtigung.

Rosenheim – Auf dem Fuß- und Radweg zwischen Freibad, Kinderhort Jonathan und Astrid-Lindgren-Schule ist selbst frühmorgens in den großen Ferien viel Bewegung. Mütter spazieren mit Buggys zum Einkaufen, Kinder radeln zum Freibad, Ausflügler schlendern Richtung Innenstadt. Ein beliebter Weg im Sommer, über den sich ein dichtes grünes Blätterdach spannt.

Einige Stämme tragen jedoch grün markierte Kreise: Sie werden im Herbst gefällt. Denn die Bäume stellen eine Gefahr für die Sicherheit dar.

Bei einigen ist dies auf den ersten Blick erkennbar – etwa bei einer Fichte, deren Stamm sich gefährlich neigt. Der Borkenkäfer, der sich im extrem trockenen Rekordsommer 2018 sehr wohl fühlt, hat sich in das Holz gefressen. König zeigt auf Bohrlöcher, die bei genauerem Hinschauen deutlich zu sehen sind – umgeben von Bohrmehl. An einigen Stellen hat der Baum versucht, sich zu verwehren, indem er Harz absonderte – ein Stoff, an dem die Käfer festkleben. Trotzdem: Dem Anflug des Schädlings ist die 80 bis 100 Jahre alte Fichte nicht gewachsen. Sie kränkelt. „Wenn man an einer gesunden Fichte hochschaut, darf man den Himmel nicht mehr sehen“, sagt König. Diese hat bereits viele Nadeln verloren, der Blick in den weiß-blauen Himmel ist frei.

Nur wenige Meter weiter zeigt der Baumfachmann der Stadtverwaltung auf eine Esche. Die Rinde zeigt in Bodennähe deutliche Verletzungen – Risse, die Eintrittsstellen für Schädlinge sind. Der Baum hat fast alle Feinäste verloren, wirkt wie ein dürres, hölzernes Klappergestell. Ein langsames Sterben hat begonnen.

Doch nicht jeder Baum, dessen Lebenszeit zu Ende geht, muss gefällt werden, erläutert König. Im Gegenteil: Totholz ist ein Eldorado für Insekten und Vögel. Das Grünflächenamt der Stadt beendet den Sterbeprozess nur dann auf die Schnelle, wenn der Baum eine Gefahr für Menschen darstellen könnte.

Die wichtigste Frage: Wie viel Restwandstärke ist noch vorhanden? König hat zur Beantwortung den Resistografen angesetzt: ein Bohrgerät mit einer Nadel, die drei Millimeter Durchmesser hat. Diese treibt der Landschaftsarchitekt in den Stamm. Die Daten, die Aufschluss über Holzfestigkeit, Pilzbefall oder Fäulnis liefern, werden in einen Computer übertragen und als Diagramme dargestellt. Der Fachmann liest aus den Kurven heraus, ob der Baum dem nächsten Herbststurm standhalten kann. Wenn nicht, muss gefällt werden – wie bei dieser Esche, die in der Nähe der Liegewiese des Freibades steht.

Weiteres Messwerkzeug im Untersuchungskoffer des „Baumdoktors“: ein Schallhammer. Ein Stamm ist ein Holzkörper. Daran, wie lange der Schall von A nach B benötigt, leitet König in Abhängigkeit von der Holzart ab, wie es im Innern ausschaut. Sogar einen Tomografen setzt das Grünflächenamt an: Sensoren werden angeschlossen, der Stamm Schicht für Schicht durchleuchtet. Grün und violett werden Pilzbefallstellen dargestellt.

Gefahren durch aggressive Pilze und Bakterien

In der Regel ist nicht gleich sofort Gefahr in Verzug, wenn ein Baum die Referenzwerte nicht erreicht. Doch es kommt auch vor, dass die Stadt schnell reagieren muss – so wie im vergangenen Jahr an der Luitpoldhalle, als ein aggressiver Brandkrustenpilz einen Baum innerhalb weniger Wochen so zusetzte, „dass wir die Reißleine ziehen mussten“, so König.

Bäume haben es in der Stadt schwer: „Ein schwieriger Standort“, sagt König, „vor allem an Straßenrändern“. Der Verkehr verdichtet den Boden – vor allem in Bereichen, die stark befahren werden von Lkw und Bussen. Die Wurzeln erhalten nicht ausreichend Sauerstoff. Hinzu kommt die Wasserknappheit – durch die Versiegelung des Bodens und aktuell durch die Witterung. Im Winter setzt das Streusalz Wurzeln und Stämmen zu. Ebenfalls ätzend: Hundeurin. Eine Eiche im Mangfallpark ist dieser Verschmutzung zum Opfer gefallen. Immer wieder hatten Vierbeiner den Stamm mit Urin markiert. In einem Jahr können das im schlimmsten Fall 60 Liter Urin sein, berichtet König.

Verschärft werden die schwierigen Lebensbedingungen durch neue Krankheiten wie das Eschentriebsterben. Es hat Rosenheims Eschen fest im Griff. Wobei: Nicht alle leiden. Am Werkskanal steht eine ganze Allee, „pumperlgesund“, freut sich König. Er stellt immer wieder fest: Es gibt Baumarten, die besonders widerstandsfähig sind. Trotzdem hat es in den vergangenen Jahren auch viele Kastanien in Rosenheim erwischt: Starker Bakterienbefall machte vor allem zahlreichen Exemplaren im Mangfallpark zu schaffen.

Tag für Tag

im Einsatz: zwei Pflegetrupps

Robust sind dagegen viele Eichen, vor allem diejenigen, die während der letzten Eiszeit aus Südost-Europa eingewandert sind und mit der heutigen Trockenheit gut zurechtkommen, sagt König. Auch Robinien, Ahorn und Linden sind nach seinen Erfahrungen gute Stadtbäume. Und natürlich die robusten Ginkgos, über die die Rosenheimer gerne die Nase rümpfen. Denn als sie in der Rathausstraße gepflanzt wurden, war die Genetik noch nicht so weit, weibliche und männliche Bäume zu entscheiden. Die Stadt erwischte – anders als bestellt – zahlreiche weibliche Bäume, deren herabfallenden Früchte nach Erbrochenem riechen.

König selber schwärmt auch für exotische Arten. Sein Lieblingsexemplar in Rosenheim: Der Mammutbaum im Riedergarten – „ein Prachtexemplar“.

Jeder Baum, der gefällt werden muss, schmerzt den Landschaftsarchitekten. Doch die Vernunft überwiegt: Denn nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes von 1965 haben Eigentümer die Verkehrssicherungspflicht und haften bei Schäden, wenn sie diese hätten erkennen müssen. Deshalb gibt es in der Stadt zwei Baumpflegeteams mit je zwei bis drei Mitarbeitern, die Tag für Tag unterwegs sind, um die Bäume auf städtischen Grünflächen und an städtischen Straßen auf Herz und Nieren zu prüfen, durchzuchecken und zu pflegen. Landschaftsarchitekt König, der auch Grünanlagen in der Stadt – vom Spielplatz bis zum Friedhof, „von der Wiege bis zur Bahre“ – plant, rückt bei Verdachtsfällen mit Sonde, Resistograf, Schallhammer oder Tomograf an, um entscheiden zu können: Stehenlassen oder fällen.

Baumschutz per Satzung

Auch Privatleute dürfen in Rosenheim größere Bäume auf ihrem Grund nicht einfach fällen oder umschneiden. Hat der Stamm einen Umfang größer als 80 Zentimeter, muss eine Beseitigung bei der Stadt beantragt werden. In 80 bis 90 Prozent haben die Eigentümer einen guten Grund für die Maßnahme, die deshalb auch vom Grünflächenamt genehmigt wird. Wer jedoch ohne Erlaubnis fällt, muss mit einem Bußgeld in Höhe bis zu 50000 Euro rechnen. Manchmal geht ein solcher Fall auch vor Gericht.

25 Bäume betroffen

25 Bäume müssen im Herbst gefällt oder stark zurechtgeschnitten werden, weil sie eine Gefahr darstellen. Das Umwelt- und Grünflächenamt stellt die Liste jährlich im Sommer dem Umweltausschuss des Stadtrates vor. Gründe für die Fällungen sind Bauschäden (bei der Erstellung neuer Straßen, Rad- und Gehwege), Krankheiten durch Pilze oder Bakterien und Befall durch Borkenkäfer. Das führt zu Faulstellen, Rissen, Eintrocknung von Ast- und Kronenteilen, Befall mit Misteln, Fruchtkörperbildung, Spaltungen.

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