Gesichter der Wiesn

Wenn auf der Wiesn die Fetzen fliegen

von Redaktion

Die Sache mit dem Gebiss ist fast legendär: Ein älterer Herr suchte auf dem Herbstfest seine Zähne. Letzte Hoffnung: Rüdiger Sedl. Der 75-Jährige gehört zum Quartett der Wiesn-Saubermänner. Und die finden Allerlei am Ende des Morgens. In diesem Fall zwar keine Beißerchen – aber Sedls Tipp war dann doch goldrichtig.

Rosenheim – Der Besucher hatte ein Fahrgeschäft in schwindelerregender Höhe genossen und „mal auf bairisch gesagt, offenbar sein Maul zu weit aufgerissen“, vermutet Sedl. In etwa 50 Meter Höhe war das laut Besitzer 3000 bis 4000 teure Gebiss weggeflogen. Sedls Ratschlag: Er solle doch mal beim Stand in Nähe des Fahrgeschäftes nachfragen, vielleicht liege es dort auf dem Dach? Genau so war´s. „Finderlohn“ bekam der Tipp-Geber nicht, aber ein glückliches Dankeschön.

Rüdiger Sedl reinigt die Wiesn-Straßen seit neun Jahren und kann viele Geschichten erzählen. Vor einigen Tagen kehrte er mitten in Papier und Scherben einen Ausweis hervor, den er sogleich der Wiesn-Polizei übergab. Zerbrochene Krüge, kaputte Flaschen und Gläser – die Scherben haben dem Wiesn-Reiniger schon so manches Paar Gummistiefel „kaputt gemacht“.

Aus Regalen flogen die Gläser meterweit

Sedl erinnert sich an einen Scherbenhaufen, als betrunkene Festbesucher mit einem Hochdruckreiniger Gläser aus Regalen fegten und die zerbrochenen Teile viele Meter weit „bis zum Autoscooter flogen“. Damals hatte sich sogar der Gabelstapler eines Festzeltes deswegen einen Platten gefahren.

Unangenehm kann die Arbeit bei Regenwetter sein, wenn der Rosenheimer wegen der Scherben mit aufgeschlitztem Schuhwerk und feuchten Socken den Müll zusammenkehren muss, zudem Papierknäuel und -fetzen auf dem Asphalt festpappen und dem Besen widerstehen. Also heißt es: „Bücken und nochmals bücken“, sagt Sedl. Übrigens geschieht das vereinzelt auch nach Münzen. Noch vor wenigen Jahren war eine Handvoll keine Seltenheit, heute sind es Ein-, Zwei- und höchstens einmal Fünf-Cent-Stücke. Insgesamt kamen bis dato zwei Euro zusammen. Der Wiesn-Reiniger hat zudem Nachschwärmer – eher wohl Morgenschwärmer – ausgemacht, die mit Taschenlampen übers Festgelände zogen auf der Suche nach Geld. Und auch Wildbieslern begegnete er, wovon einer dachte, das Tor – versehentlich nach der Reinigung noch einen Moment geöffnet – sei dafür da. Entsprechend bekam er was zu hören vom gesamten Quartett. Graue Müllwagen schieben die Vier beim Reinigen auf dem Festgelände vor sich her und „füttern“ stetig die Behälter – elf bis zwölf Tonnen täglich kommen so zusammen. Die dann wiederum gefüllten Container leert schließlich die Müllabfuhr.

Der Arbeitstag beginnt für den Wiesn-Reiniger wochentags um 2.45 Uhr, wenn der Wecker klingelt, gegen 4 Uhr geht´s los auf den Wiesn-Straßen (an Wochenenden etwas später), mit Kehrschaufel und Besen. Eine offizielle Arbeitskleidung gibt es nicht, Warnwesten schon. Sedls „Revier“, das er mit einem Spezl bearbeitet: Von der Ochsenbraterei, dem Tor und Auerbräu bis zum Prosecco-Stand. Die anderen Kumpels fegen vom Flötzinger bis zum Tor.

Virginias machten einen Mann glücklich

Wie kam der Rosenheimer zum Wiesn-Job? Eher war´s umgekehrt, der Job kam zu ihm. Eine der vier Stellen musste besetzt werden, über Mundpropaganda stieß ein Kollege auf Sedl. Der Job scheint ihn nicht loszulassen, beim nächsten Wiesn-Fest hat er „Zehnjähriges“.

Gehört also Spaß und Ausdauer zu dieser Tätigkeit? Da schmunzelt Sedl. Er könne sich durchaus auch etwas anderes vorstellen, sagt er. Drei bis fünf Wochen nach Wiesn-Ende hänge ihm die Zeit immer noch nach. Aber die Geschichten drumherum, die seien schon besonders. Letztes Beispiel: Einem rauchenden Besucher, wohl nicht gut gestellt, schenkte er auf der Wiesn gefundene und noch völlig intakte Virginia-Zigarren. Dessen Freude sei offenkundig gewesen.

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