Welt-Alzheimer-Tag

Die Krankheit des Vergessens

von Redaktion

Weltweit sind 47 Millionen Menschen von Demenzerkrankungen betroffen. Eine davon: Alzheimer. Eine Krankheit, die große Angst auslöst und Forscher immer wieder vor Rätsel stellt. Auch am heutigen Welt-Alzheimer-Tag.

Rosenheim – Erika N. war eine leidenschaftliche Köchin, die alle ihre Lieblingsrezepte im Kopf hatte – bis sie ihr nach und nach nicht mehr einfielen und sie schließlich komplett vergaß, dass sie überhaupt kochen konnte. Die einst so dominante und selbstbewusste Frau sitzt mittlerweile im Rollstuhl. Diagnose: Alzheimer.

Ein Schicksalsschlag für Tochter Christa N.: „Vor 18 Jahren sind mir die ersten Veränderungen aufgefallen. Meine Mutter hat sich immer öfter wiederholt.“ Erika N. bemerkte die Veränderungen selbst und wies ihre Tochter darauf hin, dass sie vergesslich wird. „Wir haben es damals nicht ernst genommen“, bedauert Christa N. und fügt hinzu: „Meine Mutter hat sehr schnell Panikanfälle bekommen. Als sie ihre Überweisungen nicht mehr selber machen konnte, hat sie mich darum gebeten, sie im Heim anzumelden.“ Fast anderthalb Jahre dauerte es, bis N. schließlich in das Heim einzog. Während dieser Zeit verschlechterte sich ihr Zustand: „Wir waren zusammen im Urlaub. Sie war desorientiert, wollte auf die Toilette und hat ständig die Haustür geöffnet“, erinnert sich Christa N.

18 Jahre später erkennt Erika N. ihre eigenen Kinder nicht mehr und das Sprechen fällt ihr schwer. „Ich weiß, es gehört zur Krankheit. Aber meine Brüder kommen damit überhaupt nicht klar und fühlen sich persönlich angegriffen“, sagt Christa N.

Kein Einzelfall, wie Sozialpädagoge Alexander Bongé im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen betont. Der 35-Jährige arbeitet seit anderthalb Jahren bei der Caritas, wird täglich mit der Krankheit konfrontiert und organisiert unter anderem den Gesprächskreis für pflegende Angehörige von Demenzkranken sowie eine Demenzbetreuungsgruppe.

„Die Diagnose ist

ein Todesurteil“

Alexander Bongé

„Alzheimer ist nur eine Form von Demenz“, erklärt Bongé und ergänzt: „Alzheimer zählt zu den degenerativen Formen.“ Diese Form tritt am häufigsten auf. Etwa zwei Drittel aller Demenzerkrankten haben Alzheimer. Bei der Krankheit setzen sich Eiweißbausteine auf die Synapsen im Gehirn. „Irgendwann ist es so weit, dass eine Hirnatrophie vorliegt und sich gewisse Hirnareale abbauen, bis sie physisch nicht mehr vorhanden sind“, fährt der Sozialpädagoge fort. In vielen Fällen wird erst das Sprachzentrum reduziert, bis die Betroffenen irgendwann nicht mehr auf ihr Gedächtnis zurückgreifen können. „Die Patienten können nicht mehr schlucken, atmen oder ihre Körpertemperatur regulieren. Die Diagnose Demenz ist ein Todesurteil. Die Krankheit ist sehr ernst und wird oft unterschätzt. Die Demenz an sich ist nicht tödlich, aber die Nebenerscheinungen,“ so Bongé.

Um den Angehörigen wie Christa N. in diesen schweren Zeiten zur Seite zu stehen, gibt es neben den verschiedenen Gruppen und Gesprächskreisen auch sogenannte Pflegepartner. So wie Rosi Goritschnig-Westner beispielsweise. Die 68-Jährige ist seit zwei Jahren als Pflegepartnerin tätig. „Ich hatte ein bisschen Freizeit übrig und wollte einfach etwas zurückgeben“, erklärt sie.

Der Sozialpädagoge unterstreicht seinerseits: „Die Ehrenamtlichen werden im häuslichen Umfeld eingesetzt, damit die Angehörigen auch mal das Haus verlassen können.“

Denn: 73 Prozent der Demenzkranken werden zuhause gepflegt. Auch Christa N. kümmerte sich um ihre Mutter für lange Zeit in den eigenen vier Wänden. „Ein 24-Stunden-Job“, wie sie betont.

Bongés Aufgabe ist es, eben diese Ehrenamtlichen zu schulen und zu vermitteln: „Ich bin beim ersten Treffen immer dabei. Es ist wichtig, dass sich alle Parteien sympathisch sind und das Vertrauen stimmt.“ Die Ehrenamtlichen durchlaufen eine 40-stündige Schulung und werden im Anschluss unter anderem in Krankheitsbildern, der Kommunikation mit Demenzerkrankten und dem Umgang mit den jeweiligen Patienten überprüft. „Jeder Betroffene ist individuell. Mit den einen singe ich, andere mögen es, spazieren zu gehen oder wollen sich einfach nur unterhalten“, sagt Goritschnig-Westner und ergänzt: „Es dauert eine lange Zeit, bis das Vertrauen aufgebaut ist. Aber wenn es dann soweit es, entstehen teilweise echte Freundschaften.“

Christa N. holte sich keine Hilfe und nahm auch sonst keines der Angebote wahr. „Viele wissen nicht, dass es so etwas überhaupt gibt“, begründet Bongé.

In den Demenzbetreuungsgruppen in Rosenheim gibt es gerade einmal zehn Teilnehmer, obwohl es laut Statistiken schon in Rosenheim mehr als 1000 Betroffene gibt.

Eine davon ist Erika N. Eine Heilung gibt es für die heute 98-Jährige nicht. „Der Verlauf kann hinausgezögert, aber nicht verhindert werden“, erklärt Bongé und fügt hinzu: „Deshalb ist es wichtig, früh zum Arzt zu gehen, wenn eine Vermutung vorliegt.“ Fast jeden Tag verbringt Christa N. im Altersheim mit ihrer Mutter und erinnert sie an alte Rezepte, vergangene Zeiten und die Familie, die schon lange in Vergessenheit geraten ist.

Rosenheim nimmt teil

„Demenz – dabei und mittendrin“, so lautet das diesjährige internationale Motto des Welt-Alzheimertages. Rosenheim nimmt teil – dank des „Netzwerkes Demenz“ von Pro Senioren, das morgen, Samstag, in der Innenstadt zahlreiche Aktionen und Veranstaltungen anbietet. In der Zeit von 10 bis 15 Uhr werden in der Fußgängerzone am Mittertor zahlreiche Mitglieder des Arbeitskreises „Netzwerk Demenz“ von Pro Senioren Rosenheim eine Palette an Informationen und Aktionen zum Thema Demenz anbieten. Fragen zur Veranstaltung beantwortet die Geschäftsstelle von Pro Senioren Rosenheim unter Telefon 08031/365-1636.

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