Der eine lebt wohl schon länger hier, ein älterer Mann, vermutlich ein Türke, der sich ohne vertiefte Sprachkenntnisse durch den deutschen Alltag schlägt und normalerweise irgendwie klar kommt. Jetzt hatte ihn seine Frau mit einem Spezialauftrag zum Einkaufen geschickt. Der andere ist ein junger Mann, der im Supermarkt Regale einräumt, ein Flüchtling möglicherweise. Sein Deutsch klingt schon recht passabel, während er die Sitten und Bräuche der neuen Heimat vielleicht noch nicht so gut kennt. Hauptsache, es hat ihn jemand schon einmal in die Geheimnisse der korrekten Mülltrennung eingeweiht. Damit wäre der wichtigste Schritt in sein neues Leben getan.
Die beiden boten ein merkwürdiges Schauspiel zwischen den Backzutaten auf der einen und den Gurkengläsern auf der anderen Seite. Der ältere Kunde wollte Wasser kaufen, aber keines zum Trinken, sondern zum – ja wozu? Ein wenig beugte er die Knie, federte leicht auf und ab, pendelte dann mit dem rechten Arm vor und zurück, wie Sportler beim Stockschießen. „Weißt du?“, fragte er hoffnungsvoll den jungen Praktikanten. Der schaute freundlich, eifrig und hilfsbereit und wiederholte die Bewegung, allerdings eher, als würde er den Boden wischen. Vielleicht ist das ja so bei den Deutschen, mag er sich gedacht haben. Dass sie zum Aufwischen kein Wasser aus dem Wasserhahn nehmen, sondern es im Supermarkt kaufen. Zuzutrauen wäre es ihnen.
„Nein!“ Der Ältere schüttelte den Kopf. Dann wippte er wieder auf den Zehen und schwang den rechten Arm. Seinerseits wiederholte der junge Mann die schon vorher gezeigte Darbietung des Bodenwischens. Das war ein wunderbares Schwingen und Wischen, doch weder das eine noch das andere führte zum Ziel. Irgendwann gab der junge Mann auf: „Musst du andere fragen.“
Die Pantomime beschäftigte mich noch eine Weile. Man kennt ja das Spielchen: Einer stellt einen Begriff dar, macht sich zum Affen, der andere soll raten, kapiert aber rein gar nichts. So ging es mir. Ich kam nicht drauf. Drei Minuten später stand der Ältere vor mir und hielt mir einen durchsichtigen Kanister mit destilliertem Wasser entgegen. „Ist Biegelwasser?“, wollte er wissen. „Ja, ist Biegelwasser“, hörte ich mich sagen, obwohl es doch Bügelwasser hätte heißen müssen. Glücklich zog der Mann mit seiner Beute zur Kasse. Spezialauftrag erledigt, auf nach Hause zur dynamischen Hausarbeit seiner Frau. Leider werde ich nie erfahren, ob sie wirklich so schön wippt und schwingt beim Bügeln.