Rosenheim – „Eigentlich gibt es ja nichts zu feiern. Solange wir eine Gleichstellungsstelle brauchen, ist die Gleichberechtigung von Männern und Frauen noch nicht geschafft“, betonte Gleichstellungsbeauftragte Bettina Sewald beim Festakt „30 Jahre Gleichstellungsstelle in Rosenheim“. In der Tat: Es gibt noch viel zu tun. Noch immer verdienen Frauen durchschnittlich weniger Geld als Männer, bekommen im Schnitt weniger Rente, schaffen es seltener in Führungspositionen. Trotzdem versammelten sich auf Einladung von Sewald im Rathaus Vertreterinnen und ein paar wenige Vertreter aus Politik, Gesellschaft, Verbänden und Vereinen sowie Ämtern, um das Erreichte zu würdigen.
Die Entwicklung der Gleichstellungsstelle in den vergangenen 30 Jahren ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Veränderungen. Gegründet wurde die Anlauf- und Beratungsstelle 1988 auf einen CSU-Antrag hin. 1996 wurde aus der freiwilligen Einrichtung eine Pflichtaufgabe. Pionierin Eva Schira-Schuler musste sich noch durch einen „Dschungel der Vorurteile und Abwehrmechanismen kämpfen“, berichtete Sewald. Den Schwerpunkt der ersten Gleichstellungsbeauftragten stellte das Thema „Wiedereinstieg in den Beruf“. Ihre Nachfolgerinnen Renate Heilmann und Martina Wildenburg widmeten sich intensiv dem Thema Kinderbetreuung. In den Fokus rückte außerdem das damalige Tabuthema Gewalt gegen Frauen. 1989 wurden der Frauen- und Mädchennotruf und das Frauenhaus eröffnet. Bis heute aktiv: der runde Tisch gegen häusliche Gewalt. 1994 entstand außerdem der Internationale Frauentag, ebenfalls bis dato ein Aktionsbündnis für die Gleichberechtigung.
28 Prozent der
Führungskräfte sind weiblich
Aktuelle Herausforderung: die „Me-Too“-Debatte. Bereits 2016, als sie noch gar nicht aufgeflammt war, hatte die Gleichstellungsstelle das Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz aufgenommen.
Ein weiteres Thema von Aktualität: Frauen in Führungspositionen. Aktuell sind nach Angaben von Sewald 28 Prozent der Führungskräfte im Rathaus weiblich – Tendenz steigend. Die Stadtverwaltung ist fest in Frauenhand: die familienfreundlichen Arbeitszeitmodelle zeigen Wirkung. Auch bei den Azubis sind die Frauen in der Mehrheit. Zu 33 Prozent nehmen Frauen nach Angaben von Sewald heute die Führungskräfteschulungen bei der Stadt an.
Die junge Generation nehme die Gleichberechtigung als etwas Selbstverständliches wahr, berichtete sie. „Manche denken, für was braucht es eine Gleichstellungsstelle noch?“ Die ersten Stolpersteine zeigen sich nach ihren Erfahrungen spätestens bei der Familiengründung – und später beim Rentenbezug. Grund sei ein traditionelles Rollenverständnis, das über viele Generationen weitergegeben worden sei. „Es ist nach wie vor nicht einfach, dies in den Köpfen und Herzen zu verändern.“
„Frauen ticken anders als Männer“, ist Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer überzeugt. Im positiven Sinne heiße dies: Frauen seien emphatischer und rücksichtsvoller, aber auch von mehr Selbstzweifel und weniger Selbstbewusstsein geprägt. „Wir sind nicht gut in der Kunst des Verdrängens“, brachte Bauer dies schmunzelnd auf den Punkt. Männer seien zielstrebiger in der Verfolgung ihrer Anliegen, kämen deshalb schneller voran.
„Doch auch wir wissen, was uns wichtig ist“, zeigte sich Bauer überzeugt. Und die typische weibliche Art, die Dinge anzugehen, schade der Gesellschaft nicht – im Gegenteil: Diese profitiere davon, dass Frauen verstärkt sozialpolitische Anlieger thematisieren würden.
Dass noch viel zu tun ist auf dem Weg zur echten Gleichberechtigung, davon zeigte sich auch die Oberbürgermeisterin überzeugt. Sie sieht vor allem im Bereich der Arbeitszeitmodelle noch Reformbedarf. Trotz eines Plädoyers für die Teilzeitbeschäftigung sieht auch Bauer die Problematik der Auswirkungen auf die Rente. „Es ist und bleibt ein Spagat.“ Ein Thema sicherlich für die neue Gleichstellungsbeauftragte. Am 1. Januar übernimmt Christine Mayer das Amt. Inspirationen holte sie sich gemeinsam mit den Gästen aus einem Vortrag von Coach Carsta Stromberg: Sie referierte über Stressmanagement in einem herausfordernden beruflichen Umfeld.