„Wir hoffen, dass wir gehört werden“

von Redaktion

„Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen.“ Auch im Rosenheimer Norden zeigten die Bürger bei der Infoveranstaltung der Stadt im Gasthof Höhensteiger ihre Unzufriedenheit über die Informationspolitik von Bahn und Politik zur Thematik Brenner-Nordzulauf.

Rosenheim – „Wir müssen jetzt wissen, worum es eigentlich geht“, forderte auch Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer in der sehr gut besuchten Veranstaltung. Die Bürger seien in Aufruhr – „verängstigt, verunsichert und sich einig: Dieses Jahrhundertprojekt kann unsere Landschaft nicht vertragen.“

„So können wir es uns nicht vorstellen“, positionierte sich auch die Oberbürgermeisterin. Doch sie stellte klar, dass sich die betroffenen Bürger nicht zu viel Hoffnung machen können, die Kuh noch vom Eis beziehungsweise vom Gleis zu bringen. Denn die Bahn hat einen Planungsauftrag für die zweigleisige Neubaustrecke zum Brennerbasistunnel. Von einem „Gesetzescharakter“ sprach Christian Tradler von der DB-Projektleitung, während Bauer daran erinnerte, dass es sich nicht nur um ein deutsches, sondern um ein europäisches Verkehrsprojekt handele.

Kann es überhaupt noch gestoppt werden? Gibt es noch Einflussmöglichkeiten? „Stuttgart 21 hat gezeigt, was Menschen bewegen können“, zeigte Bauer sich bereit, an die Kraft der Bürgerbewegungen zu glauben. In Rosenheim hat sich, wie berichtet, bereits eine Bürgerinitiative („Wasen nicht verbrennern“) im Süden gegründet. Dienstag, 4. Dezember, folgt eine weitere Gründung für den Rosenheimer Norden. Auch er ist stark betroffen von möglichen Grobtrassenentwürfen, die seit Juni zur Diskussion stehen (siehe Kasten).

Zahlreiche Bürger saßen im Gasthof Höhensteiger, an deren Haustüren eine mögliche Trasse vorbeilaufen könnte. „Unvorstellbar“ sei dies, betonte Stadtrat Georg Soyer, der auch den Finger in eine Wunde legte: die großen Höhenunterschiede im Norden der Stadt. Brücken und Dämme seien notwendig – mit der Folge eines hohen Landverbrauchs, prognostizierte Soyer. Er sorgt sich auch um wertvolle landwirtschaftliche Flächen, die in Rosenheim ohnehin rar seien.

„Keine der Grobtrassenentwürfe ist frei von kritischen Punkten“, räumte Torsten Gruber, Projektleiter der Bahn, ein. Es würden Siedlungen durchkreuzt, Landschaften zerschnitten, Naturschutzgebiete und landwirtschaftliche Flächen berührt. Bis Anfang 2020 werde nach Diskussion aller Entwürfe und Bewertung aller Entscheidungskriterien ein Trassenvorschlag entwickelt.

Skepsis und

Misstrauen

Kommt dann auch wirklich der zum Zuge, der Siedlungs- und Landschaftsraum am wenigsten zersiedelt und belastet? Die Bürger sind skeptisch. Werner Zwingmann, ehemaliger Vorsitzender der Kreisjägervereinigung Rosenheim, erinnerte an die Westtangenten-Erfahrungen. Die Einwände der Bürger seien „überhaupt nicht berücksichtigt worden“. Deshalb sei das Misstrauen gegenüber dem neuen Großprojekt nicht verwunderlich. „Wir haben aus der Westtangente gelernt, dass nicht immer die verträglichste, sondern wie in diesem Fall die kürzeste Strecke genommen wurde“, ergänzte die Oberbürgermeisterin.

Das Misstrauen nährte auch in Westerndorf St. Peter die Tatsache, dass viele Fragen unbeantwortet blieben. Gruber warb wiederholt um Verständnis dafür, dass er zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussagen zur Frage machen könne, ob und wo genau Tunnellösungen möglich seien und wie die Kostenrelationen zwischen ober- und unterirdischen Streckenverläufen ausfallen würden. Die Befürchtung, die im Raum steht: Tunnel sind zu teuer. Das muss nicht sein, betonte Gruber. Er verwies auf den problematischen Untergrund in Rosenheim: Seeton und Moor. Hier müsse im Falle einer Realisierung genau abgewogen werden, ob eine oberirdische Lösung aufgrund aufwendiger Gründungsmaßnahmen wirklich die günstigere sei.

Die Auswirkungen möglicher Neubautrassen auf die Trinkwasserversorgung werde im Bewertungsverfahren der Grobtrassenentwürfe mit einbezogen, versprach Gruber auf Anfrage von Franz Baumann. Der Stadtrat der Freien Wähler erinnerte daran, dass auch im Koalitionsvertrag für die neue Landesregierung die Überprüfung des Großprojekts festgeschrieben worden sei.

Erneut wurde nicht nur von Baumann die Frage gestellt, warum der Zulauf zum Brennerbasistunnel ausgerechnet durch das Inntal verlaufen müsse. Es gebe kürzere und bessere Strecken, so Baumann. 2017 sei ein Korridorbereich Ost vom Verkehrsministerium für beendet erklärt worden, erläuterte Gruber. Zu den Gründen konnte er nichts sagen, doch diese Lösungsvorschläge würden nicht weiterverfolgt.

Also müsse die Region Rosenheim mit Inntal das Megabauwerk einer Schnellstrecke für den weltweiten Güterverkehr von den Seehäfen zu den Alpen jetzt ausbaden, ärgerte sich Georg Mühlegger von der Bürgerinitiative für den Rosenheimer Süden. Uli Richter, Sprecher der neuen BI im Norden, zeigte sich überzeugt: „Kommt der Nordzulauft, bleibt bei uns kein Stein mehr auf dem anderen. Würden Sie dann in Langenpfunzen noch ein Haus bauen?“

Stein stellte den Bedarf für eine Neubaustrecke infrage. Der Güterverkehr sei nicht so gestiegen, wie prognostiziert. Gruber verwies jedoch auf den politischen Willen, den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Um dieses Ziel zu erreichen, werde es auch steuernde Maßnahmen geben.

Zahlen, die den Bedarf für eine Neubaustrecke, aber auch für den Ausbau der Bestandsgleisen nachweisen, müssen auf den Tisch, das fordert auch der Stadtrat in einer einstimmig verabschiedeten Resolution. Bis dahin müsse es einen Planungsstopp geben, so eine weitere Forderung. Im Frühjahr wird Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer nach Rosenheim kommen. „Ich hoffe, dass er Zahlen mitbringt“, so Bauer. „Und wir hoffen auch, dass wir gehört werden.“

Die Grobtrassenentwürfe im Stadtgebiet

Die Variante Rosenheim würde den Süden betreffen: die Siedlungsbereiche von Pang, Westerndorf am Wasen, das FFH-Gebiet „Auer Weidmoos mit Kalten und Kaltenaue“ sowie die Rosenheimer Stammbeckenmoore, Schwaig, Mangfall, Mangfallkanal und Aichergelände müssten gequert werden.

Die Variante Stephanskirchen würde den Norden belasten: Querung von Inn und Innauen als Brückenbauwerk, Störung der Siedlungsbereiche Langenpfunzen, Wernhardsberg, Pfaffenhofen. Vorschlag Süd: Durchschneidung der Felder nördlich von Langenpfunzen und nördlich von Wernhardsberg mit Anbindung an das Bestandsgleis in Großkarolinenfeld, Vorschlag Nord: Verlauf nördlich der Staatsstraße St 2080 auf Schechener Gemeindegebiet.

Anbindungen über Happing und Pang: Betroffen wären die Siedlungen und Seen. duc

Rosenheim schon jetzt stark vom Lärm belastet

Der Lärmaktionsplan des Bundes, der 2017 erstellt wurde und alle fünf Jahre fortgeschrieben wird, zeigt nach Angaben von Helmut Cybulska, Leiter des Baudezernats, dass schon heute 13 von 37 Quadratkilometer städtischer Fläche stark vom Bahnlärm betroffen sind.

20000 bis 30000 Fernzüge und über 40000 Güterzüge pro Jahr belasten die betroffenen Bürger extrem. Tagsüber seien über 10000 Einwohner von der höchsten Belastungskennziffer betroffen, nachts sogar über 16000.

Bis 2020 habe sich die Bahn das Ziel gesetzt, den Lärm zu halbieren. Zur Strategie gehören weitere Schutzwände (etwa in Happing) sowie neue Bremstechniken und das Schleifen von Schienen. Der Einbau von Schienenstegdämpfern sei in Rosenheim jedoch aufgrund des zu dichten Netzes nicht möglich. duc

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