Rosenheim – Manchmal etwas zu vergessen, ist normal. Setzt das Gedächtnis aber immer häufiger aus, verändert sich die Persönlichkeit und geht die Orientierung verloren, lautet die Diagnose oft: Demenz. Hierzulande leiden daran bereits 1,5 Millionen Menschen. Nach Ansicht von Experten wird sich die Zahl bis 2030 verdoppeln. Der Hauskrankenpflegeverein Rosenheim hat die Zeichen der Zeit erkannt und bietet seit zwölf Jahren wöchentliche, betreute Treffen für Demenzkranke an – Hilfe für Betroffene und deren Angehörige gleichermaßen.
Nach und nach treffen die Teilnehmer im Pfarrheim St. Hedwig ein. Einige werden von ihren Angehörigen gebracht, andere von ehrenamtlichen Mitarbeitern des Hauskrankenpflegevereins von zu Hause abgeholt. Die Stimmung ist gut. Man begrüßt sich und stellt sich den anderen vor – ganz normal und dennoch mutet diese Situation für Außenstehende befremdlich an. Denn, obwohl sich die meisten der Gäste bereits seit vielen Jahren kennen, bedeuten die Treffen des Hauskrankenpflegevereins für sie jedes Mal einen Neuanfang.
Helfer benötigen viel Einfühlungsvermögen
Je weiter die Krankheit fortschreitet, desto mehr Gedächtnisinhalte gehen bei Demenzkranken verloren. Irgendwann erkennen sie selbst den Partner oder die eigenen Kinder nicht mehr. Nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für deren Angehörige ist das sehr belastend.
„Ich kann nicht mehr“, klagt eine 65-Jährige mit Tränen in den Augen, als sie ihre Mutter zu dem Treffen bringt. Helga Spiegelsberger nickt mitfühlend. Sie hat selbst erlebt, wie es ist, wenn ein Familienmitglied an Demenz erkrankt. Um diese Krankheit besser verstehen zu können, beschloss die 61-jährige Diplom-Ingenieurin vor sieben Jahren, an einer Ausbildung des Hauskrankenpflegevereins zur Demenzhelferin teilzunehmen. Seitdem ist sie dieser ehrenamtlichen Tätigkeit treu geblieben, übernahm vor fünf Jahren sogar die Leitung.
Aufgrund großer Nachfrage gibt es seit einigen Jahren zwei Demenz-Gruppen. Gruppe „Loreto“ trifft sich jeden Dienstag, „Karo“ jeden Mittwoch. Bei diesen Nachmittagen wird zusammen geratscht, gegessen, gelacht, gesungen und gereimt. Die ehrenamtlichen Betreuer wie Helga Spiegelsberger oder Anneliese Grimbs brauchen für diese Aufgabe viel Einfühlungsvermögen und großes Fingerspitzengefühl.
Einer der Gäste steht plötzlich auf. Er will heim. „Nicht widersprechen, sondern die Betroffenen geistig da abholen, wo sie gerade sind“, lautet eine Regel im Umgang mit Erkrankten. Die beiden Betreuerinnen spazieren mit dem betagten Mann eine Runde um die Kaffeetafel. Danach setzt sich der Senior zufrieden wieder hin. Er fühlt sich daheim.
„Im Umgang mit meiner dementen Großmutter haben wir damals viel falsch gemacht“, weiß Helga Spiegelsberger rückblickend. Angehörige seien mit den Auswirkungen der Krankheit schnell überfordert. Deshalb bietet der Hauskrankenpflegeverein auch für sie regelmäßige Treffen an. „Leider werden diese Termine nicht gut angenommen“, bedauert die Leiterin der Betreuungsgruppen. Ihrer Erfahrung nach löst die Diagnose „Demenz“ oft Scham bei den Betroffenen und deren Angehörigen aus. „Völlig falsch“, betont sie, schließlich könne dieses Schicksal jeden treffen.
Nach wie vor wüssten die meisten Menschen zu wenig über diese Krankheit Bescheid, auch was die Übernahme der Kosten betrifft. Bereits bei einem anerkannten Pflegegrad eins habe man Anspruch auf Betreuungs- und Entlastungsleistungen. „Damit lassen sich beispielsweise die wöchentlichen, betreuten Treffen bei uns bezahlen“, erklärt Helga Spiegelsberger.
Der Lohn sind glückliche Gesichter
Trotz der Aufwandsentschädigung kann der Hauskrankenpflegeverein seine Kosten für dieses Angebot nicht decken, rechnet Vorstandsmitglied Anton Heindl vor. Dennoch halte der Verein weiter daran fest: „Weil wir damit Gutes tun können, sowohl für die Betroffenen als auch für deren Angehörige.“ Anton Heindl hofft darum weiter auf die Bereitschaft von Spendern und Sponsoren, sich finanziell zu engagieren.
Der „Lohn“, den Helga Spiegelsberger und die anderen ehrenamtlichen Helfer für ihre Betreuung bekommen, drückt sich in den glücklichen Gesichtern der Besucher aus, als sie nach zweieinhalb Stunden wieder nach Hause aufbrechen. Gut gelaunt verabschieden sie sich von den Betreuern. Helga Spiegelsberger weiß, dass sich die meisten Senioren wohl schon eine Stunde später nicht mehr an das erinnern können, was sie bei diesem Treffen erlebt haben und auch vergessen, wer sie ist. „Aber sie gehen mit einem positiven Gefühl nach Hause“, sagt sie. Zu wissen, anderen Menschen etwas Gutes zu tun, gebe einem viel zurück.
Dafür nimmt Helga Spiegelsberger einiges in Kauf. „Ich habe große Angst, an Demenz zu erkranken“, gesteht sie leise. Anneliese Grimbs geht es da ähnlich. Sie hofft, dass ihr in diesem Fall „auch Menschen zur Seite stehen, die helfen“.