Rosenheim – Einer Gesellschaft im Umbruch hat Rosenheims Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer (CSU) ihre Rede beim Neujahrsempfang gestern Abend gewidmet. Um in einer solchen „Zwischenzeit“ zu bestehen, brauche es Mut, Beharrlichkeit und tragende Werte wie Respekt und Toleranz, sagte Bauer im Kultur- und Kongresszentrum. Gemeinsam mit dem Zweiten Bürgermeister Anton Heindl und der Dritten Bürgermeisterin Dr. Beate Burkl hatte sie zuvor vielen der rund 1100 Gäste die Hände geschüttelt.
Dass Deutschland und seine Menschen in einer Zeit des Umbruchs leben, legte Bauer dar am Beispiel der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz. Beides seien Schlüssel für die wirtschaftliche Zukunft des Landes, aber auch für das gesamte Leben jedes Einzelnen. Bauer sprach von einer digitalen Welt, die vor allem bekannt sei als „Herrschaft der Algorithmen, von der alle sprechen, die aber nur wenige in Entwicklungslabors und Programmierstuben wirklich kennen“. Eine Welt sei das, die „wir uns noch nicht vorstellen“ können. Denn die derzeitige Lebensrealität sei eine andere: Die Lebensweise heute sei „immer noch analog“, sagte Bauer. Und auch das Denken der Menschen funktioniere auf diese Weise.
In einer solchen Phase des Übergangs – bereits aufgebrochen, aber noch nicht angekommen – fühlten die Menschen Verunsicherung. Fürchteten sich etwa davor, den Arbeitsplatz im Zuge der Digitalisierung zu verlieren. In der Folge steige das Bedürfnis nach Sicherheit, „nach einer Selbstbestimmung des eigenen Lebensumfelds“. Die Sehnsucht nach Kontrolle wachse, diagnostizierte Bauer. Und verwies in diesem Zusammenhang auf eine Aussage des Arbeitspsychologen Michael Kastner. Er formuliert: „Etwas im Griff zu haben ist ein Gesundmacher. Menschen haben Angst vor Kontrollverlust. Sie reagieren dann mit Ablehnung oder gar Hass.“ Emotionen, die nach Meinung von Bauer, ihren Niederschlag auch in einer zunehmenden „Brutalisierung der Sprache“ finden. Und erlebbar seien in einer neuen Form „der Unduldsamkeit in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung“.
Für Bauer sind die Worte des Arbeitspsychologen Kastner eine „Schlüsselerkenntnis“. Denn je komplexer eine Gesellschaft sei und je schneller der Wandel ihrer Rahmenbedingungen, „umso schwieriger“ werde es, „die Steuerungsfähigkeit über politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse zu bewahren“.
Wichtig sei es daher, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen und auf schwierige Umstrukturierungsprozesse frühzeitig zu reagieren. Dass Rosenheim dabei auf dem richtigen Weg sei, belege das neue digitale Gründerzentrum „Stellwerk 18“, aber auch das Studienangebot der Technischen Hochschule in Rosenheim.
Entscheidend ist es in den Augen der Oberbürgermeisterin, gegenzusteuern, wenn Debatten vereinfacht werden und differenzierte Argumentationen nicht mehr durchdringen. Als Beispiel nannte sie die Entwicklung bei Fragen der Migration und Zuwanderung: „Diese Diskussion wird zunehmend emotional geführt, zwischen Selbstabschaffung und Rassismus-Vorwurf.“ Bauer warnt, Deutschland sei „auf dem besten Weg“ in eine „Schlagwort-Demokratie“. Für sie eine Entwicklung, die es aufzuhalten gilt. Wer gegenhalten möchte, braucht vor allem Mut, ist sie überzeugt. Mut, sich auf unbequeme Debatten einzulassen und „den Intoleranten wie den Angstmachern“ entgegenzutreten. Bauer fordert daher, in den sozialen Netzwerken Klarnamen einzuführen, um auf diese Weise anonyme Scharfmacher in Schach zu halten.
Für unerlässlich auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft hält sie außerdem klare Ziele, geprägt unter anderem von zwischenmenschlichem Respekt. Wer wisse, wohin er wolle, der müsse handeln, sagte Bauer. Und verwies auf die Schulen und Bildungseinrichtungen. Neben aller digitalen Entwicklung dort, seien insbesondere die Lehrer gefragt. Sie müssten den Schülern zeigen, dass die Welt komplexer sei, als es sich auf Twitter sagen lasse. Und lehren, Wahres von Falschem im Netz zu unterscheiden und „die Grundregeln des menschlichen Anstands zu wahren“. Dass sich die Pädagogen an den Rosenheimer Schulen für all das einsetzten, dafür dankte die Oberbürgermeisterin ihnen ausdrücklich.
Ihr Dank ging gleichermaßen an die Vertreter der Kirchen und anderer Religionsgemeinschaften, die „unablässig“ daran arbeiteten, „die Bedeutung von Werten und Haltung zu betonen und hochzuhalten“. In Rosenheim trage ein „Fundament für Toleranz und gegenseitiges Verständnis“, sagte Bauer. Und bescheinigt der Stadtgesellschaft über alle Unterschiede hinweg „ein starkes Band des Bürgersinns und des Zusammenhalts“.
Die die maßgeblich an diesem Band mitknüpfen, sind all jene Menschen, die sich ehrenamtlich in allen gesellschaftlichen und politischen Bereichen der Stadt engagieren. Ihnen zollte die Oberbürgermeisterin besonderen Respekt. Denn sie seien es, „die das Leben in Rosenheim gestalten und bereichern, die anpacken und etwas schaffen, die anderen helfen und sie unterstützen“. Mit ihrem Einsatz machten sie die Stadt „lebenswert und offen“.
Ihre Rede zum Neujahrsempfang schloss die 66-Jährige unter anderem mit dem Hinweis, dieses Jahr 2019 sei das letzte volle ihrer Amtszeit. Das letzte, in dem sie als Oberbürgermeisterin ihren „Teil zum Gelingen des Projektes Rosenheim“ beitragen könne.
Und so beginnt wohl auch für sie demnächst eine Zeit des Umbruchs.
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