Rosenheim – Auf Anregung der evangelischen Pfarrerin Claudia Lotz gibt es in der Apostelkirche jetzt einen frei zugänglichen Foodsharing-Kühlschrank, er steht gleich neben der Eingangstür. Und er ist gut gefüllt mit Lebensmitteln, die kostenlos mitgenommen werden können. Ein Angebot, das Menschen gerne nutzen, auch außerhalb von Veranstaltungen in der Kirche. „Dieses Projekt kommt sehr gut an“, sagt Pfarrerin Claudia Lotz.
Keine Konkurrenz
zu den Tafeln
Zu den Abnehmern der kostenlosen Lebensmittel gehören junge Menschen ebenso wie alte, vom Studenten bis zum Manager. Anders als bei den Tafeln spricht diese Initiative alle gesellschaftlichen Schichten gleichermaßen an. Die selbst ernannten „Lebensmittelretter“ sehen sich aber nicht als Konkurrenz zu den Tafeln, sondern als sinnvolle Ergänzung: Gesetzlich zählen die Tafeln zu den Lebensmittel-Unternehmen. Dementsprechend hoch sind für sie die Auflagen. Foodsharing ist eine Initiative von Privatpersonen und kann darum auch Lebensmittel annehmen und weiterreichen, die für die Tafeln rechtlich nicht mehr in Frage kommen.
Entstanden ist die Food-sharing-Bewegung im Jahr 2012. Unter dem Motto „Teilen statt wegwerfen“ gibt es in Deutschland, Österreich und der Schweiz mittlerweile über 200000 registrierte Nutzer. Über 25000 Freiwillige, sogenannte Lebensmittelretter, sammeln die abgelaufenen Lebensmittel bei Unternehmen ein, um sie selbst zu nutzen und weiter zu verschenken.
Einer davon ist Andreas Sandmeyer. Der 35-Jährige ist überzeugter „Lebensmittelretter“. Im April 2017 hat er zusammen mit zwei Gleichgesinnten für Rosenheim eine Internet-Plattform ins Leben gerufen. Wer in Facebook auf die Seite „Restlos glücklich in Rosenheim“ geht, erfährt beispielsweise auch, wann und mit was der Kühlschrank in der Apostelkirche an der Lessingstraße gefüllt ist.
Wer sich als Lebensmittelretter bei der Plattform „Foodsharing“ registrieren lassen will, muss sich dafür zuerst einmal einer Prüfung mittels Fragebogen unterziehen. Dabei geht es viel um die Hygiene, aber auch um Rechtsvorschriften. „Das waren keine schwierigen Fragen, sondern Sachen, die eigentlich sowieso jeder Mensch wissen sollte“, sagt Andreas Sandmeyer.
Um an Lebensmittel zu kommen, sprechen die „Lebensmittelretter“ die in Frage kommenden Betriebe in ihrer Stadt an. Im Fall von Rosenheim sei die Auswahl nicht sehr groß, bedauert Sandmeyer. „Leider gibt es in der Stadt fast nur Ketten. Mit denen ins Gespräch zu kommen, ist sehr schwierig.“ Mittlerweile konnte der Mittelschullehrer aber doch eine ganze Reihe von Unternehmen für seine Mission begeistern, darunter Einzelhändler, Großhändler und Gastronomen.
Über die Internet-Plattform wird eingeteilt, welcher der 20 aktiven Rosenheimer „Lebensmittelretter“ wann zu welchem Betrieb fährt, und es wird auch darüber informiert, was es an die rund 60 registrierten Nutzer zu verteilen gibt und wer daran Interesse hat.
Gemüse, Obst, Milchprodukte, Fleisch- und Wurstwaren, Nudeln, Reis und Süßigkeiten – alles ist dabei. Die abgelaufenen Lebensmittel, kostenlos bei den Betrieben zu „erbetteln“, ist Andreas Sandmeyer nicht peinlich. Ganz im Gegenteil: „Ohne uns würden diese Lebensmittel schließlich im Müll landen. Zu sehen, wie groß diese Menge tatsächlich ist, macht vielmehr fassungslos.“
Viele Geschäfte seien sogar dankbar für dieses Angebot: „Sie wissen selbst, dass da etwas nicht richtig läuft. Außerdem: Das Entsorgen der Waren kostet auch Geld. Wir helfen den Unternehmen also sogar dabei, zu sparen.“
Wer sich über Foodsharing mit den kostenlosen, abgelaufenen Lebensmitteln versorgt, handelt auf eigene Gefahr. Bis jetzt ist Andreas Sandmeyer aber kein einziger Fall von gesundheitlichen Problemen aufgrund des Verzehrs zu Ohren gekommen: „Wir sortieren die Waren aus. Was verdorben ist, wird auch bei uns weggeworfen.“ Es bleibt aber tatsächlich noch sehr, sehr viel über, was verwertet werden kann. Zu viel für einen Haushalt allein. „Ich beliefere mittlerweile meine gesamte Familie, viele Freunde und Nachbarn mit den Waren.“
Sein Konsumverhalten habe sich mittlerweile komplett verändert. „Früher habe ich überlegt, was ich kochen will, und dann bin ich einkaufen gegangen. Jetzt überlege ich, was man aus dem machen kann, was gerade da ist“, sagt er. Da sei oft auch Experimentierfreudigkeit gefragt: „Es kommt schon vor, dass unter den Lebensmitteln etwas ist, was man nicht kennt.“ Andreas Sandmeyer erinnert sich etwa an eine afrikanische Wurzel: „Die hat mir leider überhaupt nicht geschmeckt, oder ich habe sie falsch zubereitet.“
Teilen hilft
beim Sparen
Da bereits angeschlagen, müssen die Lebensmittel oftmals schnellstmöglich verarbeitet werden. Bei 20 Salatköpfen auf einmal ist das gar nicht so einfach, aber auch für diesen Fall hat Hobbykoch Andreas Sandmeyer schon ein Rezept gefunden: „Salatsuppe. Die schmeckt tatsächlich sehr gut.“
Durch die regelmäßige Abholung der abgelaufenen Lebensmittel spart Andreas Sandmeyer außerdem bares Geld. Aber das ist für ihn Nebensache: „Ich hoffe, dass durch unsere Initiative immer mehr Menschen zum Umdenken bewegt werden. Wir wollen wachrütteln“, sagt er.
Der 35-Jährige will sein ehrenamtliches Engagement in Zukunft ausweiten: „Warum nicht auch abgelaufene Kosmetika weiterreichen oder fertig gekochte Speisen, die in Wirtshäusern übrig bleiben?“
Informationen und Kontaktmöglichkeit zu den Lebensmittelrettern gibt es per Mail über: rosenheim@foodsharing.network.