Ohne Kirchensteuer aus der Krise?

von Redaktion

Ökumene-Gespräch über neue Wege, Menschen für ihren Glauben zu begeistern

Rosenheim – Die Kirche steckt in der Krise: Nach einer Studie wird sich die Zahl von Katholiken und Protestanten bis 2060 nahezu halbieren. Hat Kirche in ihrer jetzigen Form also überhaupt Zukunft? „Nein“, meinen Domkapitular Daniel Reichel und Dekanin Hanna Wirth. Beide suchen deshalb nach neuen Wegen für den christlichen Glauben. Daniel Reichel stellt dafür sogar die Kirchensteuer infrage.

Der vom evangelischen Dekanat Rosenheim initiierte Ökumene-Talk fand im Rahmen des Themenmonats „altersgrenzenlos“ im Bildungswerk statt. Der Großteil der Sitzplätze blieb leer. Nur rund 20 Interessierte folgten der Einladung – überwiegend Menschen, die sich ohnehin seit vielen Jahren für die Kirche ehrenamtlich engagieren.

Viele Angebote,

nicht nur Institution

Kein Einzelfall bei kirchlichen Veranstaltungen, weiß Marion Dittrich. Die 49-jährige engagiert sich in der Kirche Heilig Kreuz in Raubling als Lektorin. „Die Kirche bietet sehr viele Angebote, aber leider werden sie viel zu wenig angenommen“, sagt sie. Ihr bereitet diese Entwicklung Sorge: „Was passiert, wenn es in Zukunft das alles nicht mehr gibt?“ Ihrer Meinung nach sind sich viele Menschen nicht bewusst, wie viel die Kirchengemeinden für die Gesellschaft leisten: „Ohne sie fallen viele Angebote weg, angefangen von der Mutter-Kind Gruppe bis zum Seniorennachmittag.“

Für Domkapitular Daniel Reichel bestätigt die Studie, was er sowieso schon lange spürt. „Bei den Gottesdiensten bleiben immer mehr Bänke leer“, sagt der katholische Geistliche. Kirche werde für die Menschen zunehmend bedeutungsloser. „Das ist das, was ich täglich erfahre.“

Die evangelische Kirche kämpft mit den gleichen Problemen. Dekanin Hanna Wirth will sich davon nicht entmutigen lassen. Sie sieht einen großen Unterschied zwischen Kirche als Organisation und der Kirche Jesus Christus: „Die Organisation wird sich verändern, aber die Kirche Jesu Christ wird bestehen, in welcher Form auch immer.“ Daniel Reichel teilt ihre Sichtweise. Die Entwicklung mache auch Mut, neue Wege zu beschreiten hin zu einem neuen System.

Konkrete Antworten, wie dieses neue System aussehen könnte, gibt es derzeit nicht. Eines ist für Reichel aber klar: „Die Pfarrgemeinde, wie wir sie heute haben, wird in Zukunft nicht mehr den zentralen Platz einnehmen.“ Damit ändere sich auch die Stellung der Pfarrer. Sie seien dann nicht mehr die über alles Entscheidenden, sondern Teil einer Gemeinde, die gemeinsam den Weg festlegt.

„Die Zeiten, in denen die Pfarrer am Altar auf die Menschen gewartet haben, sind vorbei“, steht für Daniel Reichel fest. Man müsse nun schauen, wo man gebraucht werde. Mut machen dem katholischen Geistlichen die Kindergartengottesdienste – also Gottesdienste, die direkt in den Kindergärten stattfinden. „Damit haben wir sehr gute Erfolge.“ Er könnte sich deshalb auch vorstellen, Gottesdienste in Seniorenheimen anzubieten. Dekanin Hanna Wirth ist kein großer Freund von Zielgruppen. „Sie haben ihren Sinn, aber man darf damit beispielsweise den Älteren nicht das Gefühl geben, dass sie bei einem Jugendgottesdienst nicht willkommen sind.“ Um wieder mehr Gläubige für die Kirche zu begeistern, könnte sich Daniel Reichel sogar die Abschaffung der Kirchensteuer vorstellen. „Es kann nicht sein, dass ich meinen Glauben leben möchte und dafür bezahlen muss“, sagt er. Menschen, die Geld als Grund für ihren Austritt angeben, würde er am liebsten sagen: „Lass das Geld, bleib bei uns in der Gemeinschaft.“

Dekanin Hanna Wirth sieht in der Kirchensteuer nicht nur einen Fluch, sondern durchaus auch einen Segen. Mit diesem Geld könne man schließlich viele sinnvolle Projekte unterstützen. Deshalb müsse ein Ausstieg gut überlegt sein. Wichtig hält sie auf jeden Fall eine größere Öffnung als bisher den ausgetretenen Kirchenmitgliedern gegenüber: „Da müssen wir barmherziger sein.“

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