Rosenheim – Der Blick auf die Feedback-Wand am Ausgang sprach Bände: Die Meinungen zum Brenner-Nordzulauf haben eine sehr große Bandbreite, wie der Info-Markt der Deutschen Bahn und der ÖBB in Rosenheim einmal mehr bewies. Am Ausgang bestand die Möglichkeit, auf einem Zettel seine Meinung zu hinterlassen. Die Sichtweisen reichten dabei von „Ein Neubau ist absolut nicht notwendig“ über „Zerstörung unserer Heimat“ bis hin zu „Schnellere Entscheidung für den Neubau“ und „Bitte schnellstmöglich bauen!“. Gegner und Befürworter waren im Rosenheimer Ballhaus unter einem Dach.
Lokale Themen rücken in den Vordergrund
Torsten Gruber kennt sich als Projektleiter bei der DB bestens mit der Stimmungslage in der Region aus. „Im vergangenen Jahr haben wir bei den Infoveranstaltungen noch sehr viel über die Hintergründe und das Warum gesprochen“, blickt er zurück. Seit dem Bekanntwerden der fünf möglichen Trassenverläufe habe sich das jedoch deutlich gewandelt: „Da es jetzt immer konkreter wird, geht es vor allem um kommunale Themen zu den einzelnen Trassenverläufen.“ Im Fall von Rosenheim wäre bei zwei der fünf Varianten das nördliche Stadtgebiet betroffen. „Wir wollen die Bürger so gut wie möglich aufklären, was wir tun, und dabei bestehende Unsicherheiten nehmen“, sagt Gruber.
Die Gelegenheit, Informationen aus erster Hand vom Projektteam der Bahn zu bekommen, nutzten knapp 200 Besucher, vor allem aus dem nördlichen Stadtgebiet um Langenpfunzen und Westerndorf. Einer von ihnen war ein älterer Herr, der etwa 100 Meter entfernt von einer möglichen Neubautrasse wohnt. Er hält von dem ganzen Projekt grundsätzlich nichts, daran konnten auch die Schautafeln und Erläuterungen der Bahn-Mitarbeiter im Rosenheimer Ballhaus nichts ändern. „Es würden Flächen grundlos verbaut und kaputt gemacht. Das wäre überhaupt nicht notwendig“, sagte der Besucher und verwies dabei auf die Studie zum Ausbau der Bestandsstrecke, die kürzlich die Bürgerinitiative Brennerdialog Rosenheimer Land und der Bund Naturschutz vorgestellt hatten.
„Dem Fortschritt
nicht im Weg stehen“
Ganz anders sieht es ein Rentner aus der Innenstadt, der sich deutlich für einen Neubau ausspricht: „Man darf nicht stehenbleiben und dem Fortschritt damit im Weg stehen“, sagte er. Im 19. Jahrhundert seien viele Menschen vehement gegen den Bau von Eisenbahnstrecken gewesen, doch letztlich habe sich das Fortbewegungsmittel durchgesetzt.
„In der Tat war die Eisenbahn von Anfang an sehr umstritten“, bestätigt der Frankfurter Historiker Professor Dr. Ralf Roth, ein Experte für Eisenbahngeschichte. Auch damals hätten sich viele Menschen an der technischen Gestaltung und den damit verbundenen Eingriffen in die Schönheit der Natur gestört. Aufgehalten haben die Skeptiker den Fortschritt im Verkehrswesen freilich nicht.
Neben entschiedenen Gegnern und klaren Befürwortern einer Neubautrasse für den Brenner-Nordzulauf waren auch einige Besucher beim Info-Markt, die dem Projekt neutral gegenüberstehen. „Es ist für mich schwierig, zu sagen, ob es die neue Strecke wirklich braucht oder nicht“, sagte beispielsweise eine junge Frau aus dem Stadtteil Happing. Grundsätzlich sei es aber ein wichtiges Ziel, viel mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen. Falls dafür tatsächlich eine neue Trasse notwendig sei, dann sei das eben so, meinte die Besucherin pragmatisch.
Für Projektleiter Torsten Gruber und seine Kollegen bedeutet jeder der insgesamt 16 Info-Märkte zum Brenner-Nordzulauf intensive Arbeit über Stunden hinweg. Viele Gespräche, manche davon langwierig und schwierig, mit immer wieder den selben Erläuterungen und Argumenten.
Und dann gibt es diese Momente, für die sich der ganze Aufwand mit einem Schlag lohnt: „Neulich hatten wir eine Besucherin, die hat am Ausgang auf ein Kärtchen geschrieben: ‚Ich bin als Skeptikerin gekommen und gehe als jemand, der versteht, warum das Projekt notwendig ist‘“, berichtet Projektleiter Gruber. Man sieht ihm an, wie viel ihm eine solche Aussage bedeutet.