Pang: Ein Ort wird vom Lärm überrollt

von Redaktion

A8 überlastet: Die Menschen leiden unter den Folgen und fühlen sich im Stich gelassen

Rosenheim – Bei guter Sicht ist der Blick in die Berge gigantisch. Nur wenige Meter hinter den Häusern breiten sich Wiesen und Maisfelder aus. Schöner wohnen geht eigentlich gut in Pang. Doch viele Menschen im Rosenheimer Stadtteil sind unzufrieden. Schuld daran ist der Lärm, der von der Autobahn herüber rauscht und sich wie ein Dauerbrummen über die Wohnungen legt. Schuld ist zudem das Gefühl, von den Behörden im Stich gelassen zu werden.

Hocheckstraße, Frauenhoferweg, Stiegelstraße, Bründlweg: Es gibt zahlreiche Straßen in Pang, in denen sich die Menschen vom Lärm der A8 geplagt fühlen. Ein Geräusch, das mal mehr mal weniger stark zu hören ist, drinnen wie draußen, je nach Wind und Wetter. Ein Geräusch, das nie wirklich verschwindet. Ein Lärm, der längst Einfluss nimmt auf den Alltag und die Gewohnheiten vieler Panger.

„Manchmal ist es unerträglich“, sagt Elsbeth Tennie (70). Gemeinsam mit ihrem Mann lebt sie seit 40 Jahren am Bründlweg. Das Haus der Familie steht in zweiter Reihe. „Gott sei Dank“, sagt Elsbeth Tennie. Denn auf diese Weise, seien die Räume wenigstens ein wenig geschützt vor der „Walze“, die umso lauter werde, je später es sei am Tag. Im Sommer müssten sie im Garten deutlich lauter sprechen und nachts sei es „nur eingeschränkt“ möglich, bei offenem Fenster zu schlafen.

Wie ein Sog, der

alles platt macht

Vor zehn Jahren haben die Tennies lärmmindernde Fenster einbauen lassen. Das habe ein wenig geholfen, sagt Elsbeth Tennie. Auch an das Dauerbrummen habe sie sich einigermaßen gewöhnt. Doch an manchen Tagen sei der Verkehrslärm wie ein Sog, der Alles platt mache. Klar, sei es früher auch laut gewesen, sagt die 70-Jährige: „Wir wussten schon, wo wir hingezogen sind.“ Allerdings sei es über die Jahre immer schlimmer geworden mit dem Lärm.

Eine Einschätzung, die Zahlen belegen: Im Jahr 1992 lag die Gesamtbelastung auf der A8 in Höhe Rosenheim bei 50000 Fahrzeugen pro Tag in beiden Richtungen. Bei der jüngsten Dauerzählung im Jahr 2018 ergab sich für den gleichen Autobahnbereich ein Wert von 71000 Fahrzeugen pro Tag. „Mehr geht nicht, 70000 Fahrzeuge sind schon die absolute Grenze für einen solchen Straßenquerschnitt“, sagt dazu ein Sprecher der Autobahndirektion Südbayern.

Damit sind die Prognosen für das Jahr 2030 schon heute erreicht. Sie müssen dringend überarbeitet werden. „Die Sättigung ist eingetreten“, sagt der Sprecher. Erst diesen Sommer habe es daher neue Zählungen gegeben. In der geplanten Neuberechnung spielten aber auch Faktoren wie das Einkommen, die Bevölkerungsentwicklung und die Siedlungsstruktur eine Rolle.

Mehr Fahrstreifen

für mehr Fahrzeuge

Dass die A8 ihre Leistungsgrenze längst erreicht hat, steht also außer Frage. Was daraus folgt, ist ein weiterer Ausbau von heute sechs auf dann acht Streifen. Im Bereich des Inntal-Dreiecks ist dieser Ausbau derzeit im gültigen Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen als „vordringlicher Bedarf“ eingeordnet. „Vordringlich“, das bedeutet „höchster Bedarf“. Entschieden hat über diese Priorität der Deutsche Bundestag. Die Planung hat bisher nicht begonnen, man sei im „Planungsdialog“, teilt der Sprecher der Autobahndirektion Südbayern mit. Wenn der Ausbau komme, dann werde es auch Lärmschutz geben und im Zuge der Planfeststellung könne jedermann seine Einwände vorbringen. Zuständig für die Planung und Umsetzung von Lärmschutz ist die Autobahndirektion Südbayern. Die Regierung von Oberbayern gibt vor, wann mit den Bauarbeiten begonnen werden kann.

Die Entwicklung von lärmschützenden Maßnahmen entlang der A8 erschließt sich den Betroffenen in Pang nicht. Sie fühlen sich abgehängt und vergessen. Neben Elsbeth Tennie sind das auch Hans Schussmann (70) und Claudia Fey-Wolf (65). Schussmann wohnt an der Hocheckstraße, Claudia Fey-Wolf an der Stiegelstraße. Seit mehr als 30 Jahren leben sie mit ihren Familien in Pang, haben erlebt, wie der Lärm „von Tag zu Tag schlimmer“ geworden ist. Ursächlich sei nicht nur die wachsende Zahl an Fahrzeugen. Zunehmende Staus mit Stop–andGo-Verkehr sowie, in jüngster Zeit, die Blockabfertigung hätten die Situation deutlich verschärft, sagt Claudia Fey-Wolf.

Lärmschutz als

freiwillige Leistung

Insbesondere aber sprechen beide die Lärmschutzwand in Raubling an. Seit sie hochgezogen sei, pralle der Lärm „kugelförmig nach oben weg, Richtung Pang“, sagt Hans Schussmann. Er kritisiert zudem, dass mit dem Bau der Inntal-Brücke viele Sträucher und Büsche verschwunden und nicht nachgepflanzt worden seien. Auch das habe zur Verschlechterung beigetragen. Die Frage, die sich ihnen stellt: Was muss passieren, dass Pang Lärmschutz bekommt?

Solange die Autobahn nicht ausgebaut wird, sind sogenannte Lärmsanierungen möglich. Es handelt sich dabei um freiwillige Leistungen. Sie können greifen aber nur dann, wenn der Lärmpegel den festgelegten Grenzwert übersteigt. Der aktuelle Lärmsanierungsgrenzwert für Wohngebiete beträgt 67 dB(A) am Tag und 57 dB(A) in der Nacht. Lärmsanierung bedeutet in der Regel: passiver Lärmschutz, etwa in Form von Lärmschutzfenstern. Wird der Grenzwert sehr deutlich überschritten, können aktive Maßnahmen möglich werden, etwa ein Erdwall. Allerdings müssen Lärmsanierungen im Vorfeld zwei Hürden nehmen: Sie dürfen nicht zu teuer sein. Und es ist mit einem langen Weg durch die Behörden zu rechnen, da eine Baugenehmigung notwendig ist. Die Entscheidung darüber liegt beim Bund.

Berechnung

statt Messung

Um festzustellen, wie laut es überhaupt ist, werden keine Messungen durchgeführt, sondern Berechnungen. Das Verfahren ist in den Richtlinien für Lärmschutz an Straßen geregelt. Auf diese Weise sollen Ungenauigkeiten vermieden werden. Messungen seien aufgrund äußerer Einflüsse, etwa des Wetters, zu hohen Schwankungen unterlegen und nicht unter gleichen Bedingungen wiederholbar.

Lärm ist an sich ein kniffliges Thema. Denn die Wahrnehmung dessen, was laut ist oder nicht, beurteilt jeder Mensch anders. Dass Sträucher Lärm absorbieren, wie Hans Schussmann findet, hält man beispielsweise bei der Autobahndirektion Südbayern für nicht möglich. Das sei lediglich ein psychologischer Effekt, weil das Grün vor dem Blick auf die Fahrzeuge schütze. Sinnvoller sei vielmehr ein lärmmindernder Belag, teilt der Sprecher mit.

Stadt leitet

Beschwerden weiter

Hilfe für Pang ist offensichtlich erst einmal nicht in Sicht. Denn auch die Idee, dass die Stadt einen Erdwall aufschütten lässt, scheitert daran, dass ihr entlang der A8 keine Grundstücke gehören. Vielleicht könnte aber man eine Übereinkunft mit den Grundstückseigentümern finden? Die Stadt selbst teilt zur Lage in Pang mit: „Für aktive Lärmschutzmaßnahmen entlang von Autobahnen ist der Bund zuständig. Aktuell sind bei der Stadt keine Beschwerden bekannt. Sie würden an die Autobahndirektion weitergeleitet.“

Vor bald elf Jahren hatte sich Hans Schussmann mit einem Brief an Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer gewandt und um Hilfe gebeten. Eine Antwort bekam er nach eigener Aussage nicht.

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