Rosenheim – Tom Werneck ist der dienstälteste Spielekritiker Deutschlands. Als Mitgründer der Jury „Spiel des Jahres“ und Leiter des Bayerischen Spiele-Archivs in Haar weiß der 80-Jährige genau, was ein gutes Spiel ausmacht. Jetzt nahm der Münchner Spiele-Experte an einem geselligen Spieleabend in Rosenheim teil und testete einige Neuheiten auf Herz und Nieren.
Brettspiele
sind voll im Trend
Seit über 5000 Jahren nutzt die Menschheit Gesellschafts-Spiele zum Zeitvertreib. Als die Ära der Computer begann, prophezeiten ihnen viele das Aus. Das Gegenteil ist der Fall. Seit einigen Jahren sind Brettspiele sogar wieder voll im Trend. Die Auswahl ist dementsprechend groß: Jedes Jahr werden weltweit über 1000 Neuheiten vorgestellt.
Dagmar Dieterle, selbst großer Brettspielfan, veranstaltet in ihrer Rosenheimer Kommunikationsagentur regelmäßig Spieleabende. Neben den Klassikern kommen auch immer wieder einige der Neuzugänge auf den Tisch und werden dann in unterhaltsamer Runde von Jung und Alt auf Funktionalität und Spielwert getestet. Mit von der Partie sind da auch immer wieder deutsche Spielekritiker wie der erfahrene Tom Werneck.
Über 600 neue Spiele landen jedes Jahr auf seinem Schreibtisch. Wobei er die Bezeichnung „neu“ schon sehr kritisch bewertet: „Man muss schon genau hinschauen, wer wirklich eine neue Idee hatte, oder nur als Trittbrettfahrer auf einen Trend aufgesprungen ist“, sagt der Fachmann. Als Beispiel fällt ihm „Trivial Persuit“ ein. Das Fragespiel war in den 80er-Jahren extrem beliebt. „Die Idee dafür ist eigentlich schon viele hundert Jahre alt und als dieses Spiel dann auf dem Markt kam, folgten viele andere mit gleichen Format“, sagt Werneck.
Alle Spiele-Neuheiten selbst spielen kann er schon aus zeitlichen Gründen nicht, aber dass muss in vielen Fällen auch gar nicht sein, um sich ein fachliches Urteil zu bilden. „Oft erkennt man schon auf den ersten Blick Schwachstellen“, sagt er. Lassen sich vorgestanzte Teile beispielsweise nur schwer aus dem Karton lösen, ist das für ihn ein deutlicher Mangel.
Spiele-Zubehör
für jedermann
Nachdem der Verein „Spielecafé der Generationen“ vor gut einem Jahr das neue Brettspielsiegel „Generationenspiel“ eingeführt hat, mit dem Spiele ausgezeichnet werden, die Jung und Alt spielend verbinden, achtet Werneck als eines der Jurymitglieder ganz gezielt auch darauf, ob sämtliches Spiele-Zubehör so gestaltet ist, dass es selbst von älteren Menschen mit Handicap wie zittrigen Händen oder eingeschränktem Sehvermögen problemlos genutzt werden kann.
Nach der genauen Begutachtung des Spielmaterials geht es dann an das Studieren der Spielregeln. Die meisten Spielfreunde wünschen sich möglichst einfaches Regelwerk, weiß Werneck. Seit einigen Jahren gibt es aber auch eine zunehmende Zahl von Fans der sogenannten „Kennerspiele“ – seit dem Jahr 2011 sogar eine eigene Kategorie beim „Spiel des Jahres“. Diese Spiele richten sich an erfahrene Spieler, die die Herausforderung lieben. In der Praxis bedeutet das, bei solchen Spielen kann die Beschreibung auch mal dick wie ein Buch sein. „Bevor man überhaupt spielen kann, muss man erst einmal einige Wochen die Regeln genau durchlesen und studieren“, weiß der zwölfjährige Benny, der gleich neben Tom Werneck am Spieltisch Platz genommen hat. Der Bub hat zusammen mit seinem Vater schon einige Male an so einer Spielrunde für Könner teilgenommen. „Das macht mir schon richtig viel Spaß, weil man da immer gut mitdenken muss“, sagt er.
Dagegen ist die Neuheit „Bacteria Hysteria“ spielend leicht zu verstehen, die Benny zusammen mit Tom Werneck und zwei weiteren Mitspielern einer genauen Prüfung unterzieht. Mittels Karten und Würfel müssen möglichst schnell alle „Bakterien“ aus einem „Labor“ beseitigt werden. „Macht Spaß“, lautet das Fazit von Benny nach der ersten Spielrunde.
Tom Werneck ist grundsätzlich mit einem Urteil sehr vorsichtig. „Ich spreche nur Empfehlungen aus. Letztendlich kommt es auf die eigenen Vorlieben an und da spielen viele Kriterien eine Rolle. Vor einem Kauf sollte man sich immer gut überlegen, mit wem ich spielen will, wo, zu welcher Zeit und bei welchem Anlass.“
Auch im bayerischen Spiele-Archiv in Haar trifft sich regelmäßig die Spielszene. „In den vergangenen 30 Jahren fanden dort 635 Spielabende statt“, sagt Tom Werneck. Die Zahl der Besucher bleibe konstant hoch. „Viele quittieren dafür sogar ihren Urlaub“, weiß der Spiele-Experte.
Spaßfaktor
aber auch Kulturgut
Für Werneck sind Brettspiele nicht nur Spaßfaktor, sondern auch echtes Kulturgut: „Wie Bücher oder Filme spiegeln auch die Spiele immer den jeweiligen Zeitgeist wieder.“ Deshalb hofft er, dass Brettspiele von der Unesco in Kürze sogar zum Kulturerbe ernannt werden. Er hat dafür in diesem Jahr eine Bewerbung eingereicht und hofft, dass ein entsprechendes Ergebnis bis kommenden März vorliegt.