Kolbermoor – An der Böllerei zu Silvester scheiden sich die Geister. Besonders scharf ist die Trennungslinie zwischen Bürgern mit Haustier – und ohne. Denn viele Tierbesitzer erleben an Silvester ihre Vierbeiner in völliger Panik. Und so kümmern sie sich rührig ums tierische Familienmitglied. Aber wie ist das im Tierheim? Sie haben schließlich viele Vierbeiner zu betreuen.
Zusätzliche Rufbereitschaft
„Doppel- und Dreifachbesetzung“, sagt Andrea Thomas, die Vorsitzende des Tierschutzvereins Rosenheim. Während sonst im Tierheim nur eine Person nachts vor Ort ist, sind es an Silvester mindestens zwei, oft drei. Zusätzlich sind andere in Rufbereitschaft. Dabei sind das Problem gar nicht die eigenen Tiere, hier hat man für Silvester schon Routine entwickelt. Bereits tags zuvor gibt’s für die Tierheimbewohner Rescue-Notfalltropfen (eine Mischung aus Bachblüten). Obendrein setzt man auf Rundgänge durch den Hundebereich und die Container, in denen die Katzen untergebracht sind. „Wichtig ist“, meint Andrea Thomas, „dass die Tiere, vor allem die Hunde, das Gefühl haben: wir sind nicht allein, es ist jemand da, der die Lage im Griff hat.“
„Was den Tag anstrengend macht, sind die Neuankömmlinge.“ Kein Silvester vergeht, ohne dass nicht mehrmals am Tag Hunde oder Katzen von Böllern erschreckt werden, auf und davon sind und am Ende im Tierheim landen.
Dabei sei die heikle Phase gar nicht um Mitternacht: Die Gefahr lauert dort, wo noch niemand oder wo man nicht mehr mit Böllern rechnet. Und hier ist das Szenario meist das gleiche: Der Hundebesitzer geht mit seinem Tier am Vormittag des 31. Dezember spazieren, lässt es wie immer von der Leine – und plötzlich geht irgendwo ein Böller los. Der Hund läuft panisch weg und ist auch durch Rufen nicht mehr zu bremsen. Deshalb rät Thomas: „Mit den Tieren am Silvestertag und Neujahr angeleint Gassi gehen.“
Meist wartet der Hundebesitzer, glaubt zunächst, sein Liebling käme zurück, geht dann aber heim, voller Hoffnung, der Hund sei vielleicht schon nach Hause gelaufen. Der sei aber längst über alle Berge, irrt vielleicht sogar in einem anderen Stadtbereich umher. Oder er hat sich, weil die Böllerei immer mehr wird, irgendwo in einem Gebüsch versteckt.
Mit etwas Glück findet jemand den Hund und alarmiert die Polizei. Die meldet den Fund dann beim Tierheim – und die Mitarbeiter machen sich auf den Weg, um das Tier einzufangen. Im Tierheim Rosenheim kann das an Silvester bis zu zehnmal vorkommen.
Wie aber gelingt es den Tierheimmitarbeitern das verängstigte Tier einzufangen? Für die Tierpflegerin Rabea Dib (25) ist die Lösung einfach: Vor allem Ruhe ausstrahlen, ruhig mit dem Tier reden, manchmal hilft auch ein Leckerli. „Wir schaffen es eigentlich immer, uns dem Tier nähern zu können.“
Erfolg nicht nur
durch Leckerlis
Sie hat, während sie erzählt, gerade „Unterhaltungsstunde“ bei ihren Katzen. Und wenn man ihr zuschaut, denkt man sich, dass der Grund für den Erfolg nicht nur Leckerlis sind und auch nur zum Teil die Berufserfahrung. Mit Tieren umgehen zu können, zu ihnen schnell einen Draht zu finden, ist wohl auch eine Begabung. Die man hat, oder eben auch nicht. Rabea Dib und ihre 14 Kollegen haben sie offensichtlich.
Doch zurück zu Silvester: Dem Tier nahezukommen ist eines, es mit ins Auto zu bekommen das andere: Rabea Dib erinnert sich an einen Golden Retriever, der sich an Silvester voller Panik weit von zu Hause entfernt in einer Garage versteckt hatte. „In die Garage hinein und in die Nähe der Hundedame zu kommen war für mich kein Problem, ins Auto habe ich sie aber nur bekommen, weil ich sie getragen habe“.
Zurück im Tierheim ist die Arbeit aber noch nicht erledigt, das Tier muss versorgt werden, im Idealfall bleibt man auch noch ein bisschen bei ihm. Und wenn dann nicht schon das Telefon für den nächsten Einsatz klingelt, komme der „Papierkrieg“: Jeder Fund, jede Übergabe muss genau dokumentiert werden.
Binnen weniger
Minuten zum Chip
Wobei die Besitzer sich und ihren Tieren das Leben wesentlich erleichtern könnten, wie Andrea Thomas erklärt, wenn sie ihrem Liebling einen Chip einpflanzen ließen. Dann könnte binnen Minuten festgestellt werden wem sie gehören: der Besitzer wäre vom Warten erlöst und das Tier vom Aufenthalt in fremder Umgebung. Weil das bei vielen aber nach wie vor nicht der Fall ist, wird das Tierheim am Silvestertag immer voller. Es kam schon vor, erzählt Dib, dass wir die Hunde, weil alle Zwinger voll waren, im Aufenthaltsraum unterbrachten.
Stressbehafteter
Jahreswechsel
Was sich im ersten Moment nett anhört – Hund und Mensch bei einer improvisierten Silvesterparty – ist für alle stressbehaftet. Dennoch: wenn man derTierheimbesatzung zuschaut und beim Erzählen von ihrer Arbeit zuhört, ertappt man sich unwillkürlich bei der Vorstellung, wie Hund, Katz und Tierpfleger am Silvesterabend einander zuzwinkern und sich trotz allem ein gutes neues Jahr wünschen.