Kolbermoor – Wie sahen sie wohl aus? Was waren ihre Träume? Fragen, auf die heute niemand mehr eine Antwort geben kann. Auch Andreas Salomon nicht. Dem 70-jährigen Rosenheimer, der über 30 Jahre in Kolbermoor gelebt hat, ist es zu verdanken, dass dem Ehepaar Fernanda und Fortunato Zanobini aus Italien gedacht wird. In Form von zwei Stolpersteinen, die am 7. März in Kolbermoor im Eingangsbereich der Bücherei verlegt werden. Denn sie waren Zwangsarbeiter, haben unter der Terror-Herrschaft der Nationalsozialisten gelitten – der Mann ist unter ihnen gestorben. Über das weitere Schicksal von Fernanda Zanobini ist nichts bekannt. Die Verlegung geht auf die Initiative „Erinnerungskultur – Stolpersteine für Rosenheim“ zurück.
Knapp 75 Jahre nach Kriegsende verlegt der Künstler Gunter Demnig in Kolbermoor die Stolpersteine – es sind die ersten in der Stadt. Im Landkreis Rosenheim gibt es bisher sechs: einen in Stephanskirchen und fünf in Niedernburg. Jetzt ist Kolbermoor an der Reihe.
Suche nach
geeignetem Platz
„Gegen das Vergessen“, sagt der Rathauschef Peter Kloo. Für ihn war es selbstverständlich am Rathausplatz dem Ehepaar zu gedenken. Obwohl der Platz nicht gleich feststand. Gemeinsam mit der Initiative habe man überlegt nahe der Baracke, in der Fortunato Zanobini gewohnt hat, das kleine Mahnmal zu verlegen. Aber dort, wo sie stand ist heute die Inselbachstraße. So entstand die Idee, die zwei Stolpersteine am Rathausplatz zu verlegen – der ist hoch frequentiert und dort gerät das Ehepaar nicht in Vergessenheit.
Aber wie ist Andreas Salomon auf das italienische Ehepaar aufmerksam geworden? „Am Anfang stand ich vor dem Nichts“, erzählt Salomon, der auch zur Initiative gehört. Vom Archiv der Gedenkstätte Dachau wurden ihm vier Namen von Kolbermoorer Häftlingen in Dachau genannt – drei von ihnen wurden entlassen. Somit blieb der Name Fortunato Zanobini. Geboren ist er im Februar 1915 in Bologna – von Beruf war er Kellner. Salomons Recherchen führten ihn zu weiteren Archiven – unter anderem zu dem der Gedenkstätte Buchenwald bis nach Bergen-Belsen. Er durchforstete das Internet, informierte sich beim Landratsamt Rosenheim.
Dank seiner Suche, fand er heraus, dass Fortunato im Baumwollspinnerei Werk II – dahinter verbarg sich das BMW-Entwicklungswerk für Flugzeugmotoren – Zwangsarbeit geleistet hat. Er lebte in einer Baracke, an der heutigen Inselbachstraße. Die Zustände waren verheerend. Die ehemalige Zwangsarbeiterin Pawlina Mironowa erinnert sich: Die Baracken waren voller Stockbetten, auf denen Strohmatratzen lagen. Es habe zwar Öfen, aber kein Heizmaterial gegeben. Zu Essen gab es morgens eine Scheibe Brot und Tee, abends ein Teller Steckrübensuppe. Waschmöglichkeiten gab es keine, und für 450 Frauen nur zwei Toiletten. Salomon, sagt: „Man darf sicherlich vermuten, dass es Fortunato nicht viel anders ergangen ist, als er 1944 nach Kolbermoor kam.“
Anfrage beim BMW-Archiv
Salomon sucht weiter, fragt beim BMW-Archiv an: Dort stieß man nicht auf Fortunato, aber auf Fernanda –seine Frau. Sie wurde im September 1917 geboren und arbeitete in der BMW-Werkskantine in Bruckmühl. In den Unterlagen steht: „Trotz wiederholter Ermahnungen zur Sauberkeit, kam die Zanobini diesem nicht nach und wird mit sofortiger Wirkung nach Kolbermoor überwiesen.“ Sie wohnte aber nicht in Kolbermoor, sondern in einem Barackenlager auf der Rosenheimer Loretowiese.
Um seine Frau zu sehen, schlich sich Fortunato vermutlich nachts aus der Baracke und machte sich auf in Richtung Rosenheim. „Er nächtigte nie in seiner Unterkunft“, heißt es in einem Schreiben der Kolbermoorer Schutzpolizei an den Bad Aiblinger Landrat im Mai 1944.
Ein schneller Briefwechsel
Das wurde ihm zum Verhängnis, denn „da Zanobini ein Streuner ist, wurde er vorläufig festgenommen“, heißt es in den Dokumenten. Salomon sagt „dann zeigte sich die Härte der Gesetzgebung“: Ein schneller Briefwechsel zwischen Gestapo, Landrat und Oberbürgermeister besiegeln sein Schicksal. Fortunato Zanobini muss ins Konzentrationslager Dachau, von dort nach Buchenwald, dann weiter nach Bergen-Belsen. Entweder er verstarb auf dem Weg dorthin, verhungerte oder fiel einer Seuche in Bergen-Belsen zum Opfer und wurde anonym in einem Massengrab bestattet. Über den Verbleib von Fernanda ist nichts bekannt – nur, dass sie bis Kriegsende im Rosenheimer Barackenlager blieb. Dann verliert sich ihre Spur.
„Die Zanobinis sind jetzt wie Freunde“
Als Andreas Salomon mit seinen Recherchen begann, stand er vor dem Nichts, wie er sagt. Am Ende der zweijährigen Arbeit hatte er zwei Menschen aus „der Anonymität geholt“. „Die Zanobinis sind jetzt wie Freunde“, sagt er. „Sie waren immer Außenseiter, jetzt sind sie Kolbermoorer Bürger“, sagt er. Und: „Hier in Kolbermoor sind die beiden wieder vereint.“ Gegen das Vergessen.