Rosenheim – Rosenheim – Es herrscht Notstand mitten in der Corona-Krise: Bei Hilfseinrichtungen, in Praxen und bei Pflegediensten in Rosenheim fehlt seit Tagen Schutzmaterial, insbesondere Atemschutzmasken. Ein Mangel, der die Versorgung von Bedürftigen und Patienten ins Stocken bringen kann. Im schlimmsten Fall sogar zum Erliegen. Was dann droht, macht ein dramatischer Appell des Arbeitskreises „Pflege“ im Verein „Pro Senioren Rosenheim“ deutlich.
40 Pflegedienste
für 5000 Patienten
Unter dem Dach des Arbeitskreises sind rund 40 Pflegedienste vereint, die meisten aus der Stadt Rosenheim, einige aus dem Landkreis. Die Helfer betreuen insgesamt zwischen 4000 und 5000 Patienten. Viele davon sind alt, viele leben allein. Für sie ist die Arbeit der Dienste ein wichtiger Baustein, um so lange wie möglich daheim leben zu können. Und genau das ist nun in Gefahr.
Weil die Pflegedienste, aber auch die Rosenheimer Nachbarschaftshilfe und viele andere kaum mehr Nachschub an Desinfektionsmittel und Atemschutzmasken bekommen, droht der Kollaps. Wer sich nicht schützen kann, gefährdet sich und andere – und muss der Arbeit fernbleiben. Mit der Folge, dass die Patienten, um ihre Versorgung sicherzustellen, ins Krankenhaus gebracht werden müssten. Von bis zu 1500 zusätzlichen Kranken für das Klinikum in Rosenheim ist die Rede. Dort aber müssen die Betten freigehalten werden für Corona-Patienten.
Es droht eine Abwärtsspirale, die Karsten Hoeft zornig macht. Der Sprecher des Arbeitskreises, der zugleich Geschäftsführer des Dienstes „Mobile Krankenpflege“ in Rosenheim ist, sagt: „Wir sind ein Bollwerk in der Corona-Epidemie, um den Kliniken eine Zeit lang den Rücken freizuhalten.“ Die Mitarbeiter der Pflegedienste bräuchten dringend Atemschutzmasken, dazu auch Schutzkittel, um ihre Arbeit fortsetzen zu können. Der Druck und die Angst seien enorm. Dabei ist die Hilfe bei den Patienten vor Ort nicht nur aus medizinischer Sicht wichtig. Die Schwestern und Pfleger sind häufig eine willkommene Abwechslung im Alltag vieler Senioren. Fällt diese weg, können zusätzlich zu den medizinischen auch psychische Probleme entstehen.
Kritik am
Gesundheitsamt
Von den Behörden fühlt sich Hoeft allein gelassen. Und spricht damit Peter Moser aus der Seele, dem Pflegedienstleiter der Rosenheimer Nachbarschaftshilfe. Seine Einrichtung kümmert sich insgesamt um bis zu 3000 Menschen in der Stadt und im Landkreis. In die Kritik nehmen beide insbesondere das Rosenheimer Gesundheitsamt. Dort sei man mit dem Anliegen, die Dienste mit Schutzmaterialien auszustatten, für Nachschub zu sorgen, gegen eine Wand der Nichtzuständigkeit gelaufen. „Wir werden allein gelassen. Niemand kümmert sich um uns. Die Basisversorgung ist komplett vergessen worden“, sagt Moser. Das Gesundheitsamt Rosenheim teilt dazu mit, dass die bayerische Staatsregierung „mit höchster Priorität“ daran arbeite, den Bedarf an Schutzausstattung sicherzustellen. Die Verteilung erfolgt nach Priorität: Demnach sind Krankenhäuser vorrangig. Dann aber folgen schon die ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen, zu denen auch die Pflegedienste gehören. Grundsätzlich aber, sagt Sprecher Michael Fischer, müssten alle ambulanten und stationären Einrichtungen erst einmal selbst für Abhilfe sorgen. Angesichts der derzeitigen Situation versuche das Gesundheitsamt selbst zwar auch, Schutzmaterial zu kaufen. Zuständig für Bestellungen seien aber letztlich die Katastrophenschutzbehörden. Wie hoch der Bedarf ist, belegt folgende Zahl: Allein das Romed-Klinikum braucht 2000 Stück Mund-Nasen-Schutz pro Tag, meldet Fischer.
Pro Woche stemmen die Pflegedienste unter dem Dach des Arbeitskreises rund 1222 Einsätze. Die Helfer versorgen die Menschen mit Verbänden, bringen Medikamente und setzen Spritzen. Selbst bei einer Infektion mit dem Coronavirus könnte Hilfe nach Hause kommen, sagt Moser. Wer „minderschwere Symptome“ zeige, könne durchaus versorgt werden. All das aber ist nur möglich, wenn ausreichend Schutz vorhanden ist. Doch der fehlt überall in der Stadt. In den sozialen Netzwerken häufen sich die Bitten, Atemschutzmasken und anderes Schutzmaterial in Arztpraxen abzugeben.
In seiner Not hat sich Karsten Hoeft mittlerweile selbst um Hilfe bemüht. So hat er bei der Firma „Diebald Lackierung Logistik GmbH & Co.KG“ in Rosenheim nachgefragt. Der Betrieb, der Lackierungen für die Industrie und das Kfz-Wesen macht, konnte tatsächlich einige Masken abgeben. So habe ein Fahrer des Klinikums Atemschutzmasken abgeholt, sagt Geschäftsführerin Manuela Diebald. Eine Lieferung mit 700 Masken, Typ ffp1 ebenso wie ffp2, war gerade erst angekommen. Weil der Betrieb derzeit ruhen muss, war es für Manuela Diebald selbstverständlich, die Masken weiterzugeben. „Jetzt ist aber alles weg“, sagt sie. Über zwei Monate hatte die Geschäftsführerin schon auf die Kartons gewartet. Die Lieferketten sind längst abgerissen.
Rund 100 Masken pro Tag brauchen die ambulanten Pfleger der Nachbarschaftshilfe. Im Moment lebe man „von der Hand in den Mund“, sagt Moser. Jeder Helfer habe beim Krankenbesuch eine Maske bei sich, trage sie aber nur, wenn der Patient dies wünsche. Auf diese Weise könne wenigstens ein wenig gespart werden. Gestern erst hat das Robert-Koch-Institut in Berlin eine Richtlinie für die ambulanten Dienste herausgegeben. Die aber komme nicht nur sehr spät, sie sei auch „recht wischiwaschi“. So sei das Tragen von Masken nicht verbindlich angeordnet – und selbst wenn, was sei eine solche Anordnung wert, wenn es die Masken gar nicht gebe, fragt Moser.
Hoffnung vom
Katastrophenschutz
Hoffnung kommt derweil vom Katastrophenschutz Rosenheim. Der habe das Problem erkannt, die Dienste in den Verteiler aufgenommen und Hilfe versprochen. Wann allerdings die Bestellung mit dem Nasen-Mund-Schutz tatsächlich bei den Helfenden eintrifft, das weiß offensichtlich niemand. „Dass man uns komplett vergessen hat, ist unglaublich“, sagt Moser. Und versichert zugleich: „Wir sind alle gesund. Wir haben absolut unerschrockene Mitarbeiter und wir werden arbeiten, bis wir umfallen.“