Ein ewiges Schauen und Staunen

von Redaktion

Rosenheimer Autorin Hildegard Weiss lädt zu „Reisen auf der Couch“ ein

Rosenheim – Wer sich mit Hildegard Weiss länger als ein paar Minuten unterhält, fühlt sich unwillkürlich an die Geschichte von jenem Mann erinnert, den man fragte, ob er Klavier spielen könne. „Ich weiß nicht“, so die Antwort, „ich hab‘s noch nie versucht“. Denn die 76-Jährige verkörpert genau diesen unbekümmerten Unternehmungsgeist, für den es im Prinzip nichts Unmögliches gibt. Für so jemand sind Hindernisse keine einschränkenden Grenzen, sondern nur Etappen auf dem Weg zum Ziel.

50 Jahre bis zur
Veröffentlichung

Ein Charakterzug, der sie ganz offenbar schon als Kind auszeichnete: Als Achtjährige wurde sie beim Wendelstein Verlag mit einem fertigen Roman-Manuskript vorstellig, in der festen Überzeugung, man könne gar nicht anders, als das Werk zu drucken. Bis dann tatsächlich ein erstes Buch von ihr gedruckt wurde, sollten zwar noch fast 50 Jahre vergehen. Doch das blieb wohl das einzige Unterfangen in ihrem Leben, für das sie lange brauchte. Bei allem anderen Berufungen – als Lehrerin, Galeristin, Pub-Besitzerin, Leiterin eines Tanzstudios, Reiseveranstalterin oder Ausrichterin großer Folklorefestivals mit dem Schwerpunkt arabischen Tanzes und Musik – hatte sie schnellen und zumeist dauerhaften Erfolg.

Große Liebe zu den
arabischen Ländern

So verschieden die Felder auch sind, auf denen sie sich betätigte, eines zog sich wie ein roter Faden durch ihr Leben: die Liebe zu den arabischen Ländern. Und dort vor allem zu den Wüstengegenden. Schon das Erstlingswerk der damals Achtjährigen handelte von einer arabischen Prinzessin. Und seit ihrer ersten großen Nordafrikareise im Jahr 1976 ist sie wieder und wieder dort gewesen und zu einer wirklichen Kennerin der dortigen Länder und Leute geworden.

Was macht so jemand, der noch im letzten November zu Fuß auf den Spuren von Jesus zwischen Nazareth und Karphanaum unterwegs war, in der heutigen Zeit? In einer Phase, in der Fernreisen aufgrund der Corona-Pandemie in eine unbestimmte Zukunft verschoben werden müssen und stattdessen der tägliche Einkauf zum Abenteuer wird? Den Erinnerungen nachhängen, könnte man vermuten. Doch das ist nichts, was mit dem Naturell von Hildegard Weiss wirklich vereinbar wäre: Zwar meint sie zu Corona, „dass hier vielleicht jemand die Handbremse gezogen hat, um uns zu zeigen, dass der Weg des immer mehr, des immer schneller nicht unbedingt der richtige ist“. Sie hat allerdings die feste Überzeugung, dass die gegenwärtige Krise noch nicht das Ende aller Tage ist: „Da kommt schon noch was“, sagt sie voller Optimismus. Deshalb bleibt sie auch aktiv und stellt alle paar Tage kleine Auszüge aus ihrem Buch „Basare, Sand und Kardamom“ auf ihre Facebook-Seite.

„Reisen auf der Couch“ nennt sie die Rubrik, und sieht die Beiträge als Gelegenheit, sich aus der momentan aufgezwungenen Enge heraus aufzumachen in das Land aus Tausendundeiner Nacht mit all seinen Abenteuern. Da erfährt man zum Beispiel, dass „Mischmisch“ im Arabischen nicht nur Aprikose heißt, sondern auch ein Kosewort für kleine Mädchen ist, bekommt nicht nur ein kleines Erlebnis mit einer „Mischmisch“, sondern auch noch das Rezept für gefüllte Aprikosen dazu.

Auch das Buch selbst, eine wunderschöne Sammlung aus Erlebnissen und Abenteuern, zahllosen Bildern, Rezepten und auch Wissenswertem über die Menschen, ihre Kultur und ihre Sprache sollte man am besten in Etappen lesen: Als täglichen kleinen Ausflug über den Alltag und auch den eigenen Horizont hinaus.

Dabei wäre es Hildegard Weiss am liebsten, diese Ausflüge würden nicht nur als Flucht gesehen aus den jetzigen Umständen, sondern durchaus aus einer Vorfreude heraus auf kommende, noch zu erlebende Abenteuer. Denn „Li kulli muschkill hall – Für jedes Problem gibt es eine Lösung“ heißt es nicht von ungefähr in dem Buch.

In der Wüste die
Gedanken sortieren

Doch die Abenteuer müssen nicht zwingend nach Arabien und in Wüstengegenden führen. Zwar sagt Hildegard Weiss, dass die Wüste mit nichts auf der Welt zu vergleichen sei. Sie sei der Ort, in dem sich schon nach kurzer Zeit jeder Gedankensalat verliere, das Denken klar und durchsichtig würde. Doch zumindest eine Ahnung davon könne man durchaus auch in heimischen Gefilden erhaschen.

Und sie berichtet davon, dass sie mit einer ihrer Reisegruppen einmal auf den Mosesberg in Sinai stieg, in der Hoffnung, dort auf tiefe Stille unter einem großen Sternenhimmel zu stoßen. Was sie gefunden hätten, seien unzählige unaufhörlich plappernde Touristen gewesen, sodass sie kurzerhand zu ihrer Frauengruppe gesagt habe: „Wisst’s was, mir besteign unsan Mosesberg dahoam“. Etwas später hat sie dann tatsächlich mit den Frauen eine Nacht auf der Hochries verbracht, wo Stille und Sterne zu findn waren.

Plädoyer für
die Langsamkeit

Ihr Fazit: Abenteuer sind immer genau da, wo man sie sucht. Man muss sie nur zu erleben verstehen und eine wesentliche Voraussetzung sei dafür eine gewisse Langsamkeit. Womit sich wohl auch erklärt, warum sie bei ihren privaten Reisen so gut wie immer allein unterwegs gewesen ist: „Um mit anderen, selbst einem einzelnen Partner zu reisen, bin ich viel zu langsam“, sagt sie, „ich komm nie hinterher, weil ich mit Schauen und Staunen nicht fertig werde“.

Gründlich
hinsehen

Dieses gründliche Hinsehen ist für sie auch die wesentliche Grundlage für erfolgreiches Schreiben. Denn beim Schreiben, so die ehemalige Galeristin, sei es wie beim Malen: Es gehe darum, dem Betrachter beziehungsweise Leser neue Bilderwelten zu eröffnen.

Das versucht sie derzeit wieder: Sie schreibt nach „Basare, Sand und Kardamom“, dieser Liebeserklärung an Wüstenländer, und dem Roman „Der große Arbinger“ an ihrem dritten Buch und übt daneben auf ihrem Tenorhorn: Seit sechs Jahren ist sie Mitglied der Bruckmühler „Rentnerband“ und sie selbst sagt zu diesem jüngsten neuen „Abenteuerfeld“, das sie sich erschlossen hat: „Opackt hab is no, zur Perfektion bring i’s dann im nächsten Leben. Da werd i dann Dirigentin.“

Artikel 4 von 11