Rosenheim – Die Familie ist der Grundpfeiler des gemeinschaftlichen Zusammenlebens und daher von hoher Bedeutung. Um dem Rechnung zu tragen, hat die UN im Jahr 1993 den internationalen Tag der Familie ins Leben gerufen. Er findet jährlich am 15. Mai statt. Und steht heute ganz im Zeichen der Corona-Pandemie. Ein Gespräch mit Marianne Guggenbichler (62). Sie ist Geschäftsführerin des Rosenheimer Kinderschutzbundes und weiß, wie es vielen Familien in den vergangenen Wochen ergangen ist.
Frau Guggenbichler, wie sehr sind Familien aus Rosenheim durch die Krise selbst in die Krise geraten?
Durch die Schließung der Kitas, Schulen, eventuellem Homeoffice oder auch durch Bedrohung von Kurzarbeit sind in den Familien die „Alltagsstrukturen“ weggefallen. Die Familien mussten sich im Laufe der vergangenen Wochen völlig neu definieren. Dadurch entstanden nie vorher dagewesene Situationen für die Eltern und die Kinder, für Alleinerziehende oder in Trennung lebende Familien.
Welche Veränderungen hat der Kinderschutzbund während des Lockdowns wahrgenommen?
Wir sind unter anderem Standortpartner des bundesweiten Angebots „Nummer gegen Kummer“. Mit 38 geschulten, ehrenamtlich tätigen Telefonberatern kümmern wir uns um die Anliegen der Anrufer. Im Schnitt hatten wir in den vergangenen sieben Wochen 22 Prozent mehr Beratung. Es gab also Bedarf an Unterstützung.
Was haben die Familien besonders nachgefragt?
Das Homeschooling war für viele eine Überforderung. Vor allem, wenn es in einer Familie mehrere Kinder gibt, die dann auch noch unterschiedliche Schultypen besuchen. Das liegt auch daran, dass die Schulen ganz unterschiedlich agiert haben. Manche hatten hohe Anforderungen an die Kinder, andere weniger. Das hatte ein gewisses Maß an Ungleichheit zur Folge.
Und die Eltern?
Die Eltern waren froh, am Telefon Entlastung zu bekommen, alleine die Sorgen und Nöte einfach nur zu schildern, über ihre Probleme innerhalb der Familie, mit den Kindern oder auch mit dem Partner sprechen zu können. Für andere war es wichtig, ganz konkrete Tipps zu erhalten, etwa gegen die Langeweile bei den Kindern. Jetzt ist es wichtig, dass wir mit den Familien in Kontakt bleiben. Und dabei hilft beiden Seiten die Digitalisierung sehr. Für die Eltern war und ist in diesem Bereich vieles neu. Sie mussten umdenken und sich auf neue Medien und Social Media einlassen. Der Kinderschutzbund konnte über seine Facebook- und Instagram-Plattform viele Hilfsangebote, Spielideen oder auch Entlastungsangebote etc. veröffentlichen. Die Interaktion funktioniert gut.
Was sind das für Familien, um die sich der Kinderschutzbund kümmert?
Als freier Jugendhilfeträger betreuen wir im Rahmen der pädagogischen Familienhilfe engmaschig Familien in Stadt und Landkreis Rosenheim. Dies hat sich durch Corona nicht verändert, nur die Art der Kommunikation. Außerdem wenden sich ganz allgemein Familien an uns, mit den unterschiedlichsten Anliegen rund um das Thema Familienleben.
Nach und nach gibt es Lockerungen, kommt ein Stück Alltag für die Familien zurück. Was wird bleiben nach Corona?
Es gibt viele Schwierigkeiten, etwa für Alleinerziehende oder getrennt lebende Eltern. Auch für Familien, die von Armut bedroht sind. Das darf man alles nicht vergessen. Aber wir hoffen, dass Solidarität und Hilfsbereitschaft bleiben, wie sie sich jetzt im ehrenamtlichen Nähen von Masken oder in der Unterstützung der Tafeln zeigt. Das wirkt in die Familien hinein.
Wie sieht es in den Familien selbst aus?
Die Leute sind unglaublich froh, dass sie sich wieder begegnen können. Sozialer Kontakt ist eben durch nichts zu ersetzen. Unter strengen Schutzmaßnahmen können unsere Mitarbeiterinnen wieder persönliche Beratungen durchführen. Die Begegnungen finden nach Möglichkeit im Freien statt.
Hat sich das Miteinander von Eltern und Kindern verändert aufgrund der Corona-Krise?
Ich würde sagen, sie sind in die Stärke gekommen. Sie sind selbst aktiv geworden. Viele Väter sind daheim, haben engeren Kontakt zu ihrer Frau und den Kindern gefunden. Auch Geschwisterkinder sind zusammengewachsen, da kocht mal der große Bruder für die kleine Schwester. Es blieb einfach mehr Zeit. Und doch war es so ganz anders als in den Schulferien.
So hat die Corona-Krise den Familien nicht nur Schlechtes gebracht?
Nein. Ich habe Straßenzüge gesehen, da spielten Papas draußen mit den Kindern alte Kinderspiele. Die Kinder haben auf der Straße gespielt. Da wurden die Rollerblades aus dem Keller geholt. Viele Familien haben die Situation wirklich gut gemeistert.
Wie wird es weitergehen?
Das Leben der Familien hat sich nachhaltig verändert. Ich denke, es wird sich insbesondere der Unterstützungsbedarf in Sachen Schule zeigen. Auch die psychischen Auswirkungen wird man erst in einiger Zeit beurteilen können. Doch meiner Meinung nach sind wir gut gerüstet, um die Herausforderungen zu meistern.
Interview: Ilsabe Weinfurtner