Der zündende Funke

von Redaktion

Wie die Landesgartenschau vor zehn Jahren das gesamte Stadtbild umgekrempelt hat

Rosenheim – Für Altoberbürgermeisterin Gabriele Bauer ist es eine Frage der Erinnerung: „Wer hat denn heute noch vor Augen, wie es damals im Gelände um den ehemaligen Schlachthof herum ausgesehen hat? So gut wie niemand.“ Und in der Tat liegt genau darin das Problem.

Wer wirklich ermessen will, was die Landesgartenschau 2010 für Rosenheim bedeutet, warum sie, wie manche sagen, ein Quantensprung der Stadtentwicklung war, der müsste die Zustände um die Jahrtausendwende vor Augen haben: Mangfall und Innspitz nur über Schleichwege für Eingeweihte zu erreichen, für alle anderen ist nicht hindurchzufinden durch ein „vogelwildes Gelände“, wie es Stadtrat Karl Heinz Brauner (Grüne) nennt. Es ist durchzogen von oberirdisch geführten großen Rohrleitungen für den Energietransport des Fernwärmekraftwerkes, dazwischen findet sich ein Gemenge von Lagerflächen und Gewerbegebäuden, die entweder überaltert oder bereits aufgelassen sind. Dazu in der Nähe der Hubschrauberlandeplatz des Klinikums. „Alles, was ‚schiach‘ war, hatte die Stadt über Jahrzehnte an Inn und Mangfall geschoben“, sagt Bauer, „und so sah es dann auch aus.“

Flüsse als
lästiges Übel

Die Flüsse selbst wurden nicht als wichtiger und bereichernder Teil der Stadt gesehen, sondern als stete Bedrohung, Bereiche, auf die man liebend gerne verzichtet hätte, wenn man hätte können: Das letzte große Hochwasser von 1954, bei dem das Wasser bis zum Ludwigsplatz vordrang, war noch in allzu schlechter Erinnerung.

Aus heutiger Sicht liegt die Idee, die Impulskraft einer Landesgartenschau zu verwenden, um aus dieser städtischen Abstellkammer ein Vorzeigeareal zu machen, geradezu auf der Hand. Denn in der Rückschau weiß man, dass die Landesgartenschau tatsächlich zu einem Motor geworden ist, weil sie ein übergeordnetes gemeinsames Ziel war. Ein Ziel, das, wie es Stadtplanungsdezernent Helmut Cybulska formuliert, „Ideen, Personen und Finanzen bündelte und über das normale Verwaltungshandeln hinaushob“.

Damals, zu Beginn der Jahrtausendwende, aber war das eine Vision. Eine, für die erst geworben werden musste. Entscheidend war, sagt Cybulska, dass die Vorstellungen von einer Landesgartenschau ohne große Klimmzüge mit den Konzepten der Stadtentwicklung in Einklang gebracht werden konnten. An Inn- und Mangfall eine neue durchgehende Grünzone zu schaffen, als hochwassersicheres Freizeitareal, das tatsächlich zur Stadt gehörig, also von ihr auch zugänglich und auf barrierefreien Wegen durch ein attraktives Altstadtviertel hindurch zu erreichen sein sollte – das waren gemeinsame Ziele.

Ein Problem natürlich, wie immer, die Kosten. „Rosenheim ist keine arme Stadt, aber doch eine, die schon stets aufs Geld schauen muss“, sagt Gabriele Bauer und erinnert sich, dass es in den Vorbereitungsjahren immer wieder Haushaltssperren gab und damit verständlicherweise die Frage: Sollen wir uns die Gartenschau wirklich leisten? Können wir es überhaupt?

Für Helmut Cybulska war deshalb ein wichtiger Meilenstein, als er im Jahr 2004 zur Feststellung kam, dass man die Kosten für die Gartenschau bei zwölf Millionen Euro würde festmachen können. Ein Betrag, der sich über die Jahre hinweg auch tatsächlich würde aufbringen lassen. Umso mehr, als sich 2006 ein zusätzlicher Förderungstopf auftat, aus dem am Ende weitere 13 Millionen geschöpft werden konnten. Geld, mit dem all die Maßnahmen finanziert wurden, die einerseits die Gartenschau ergänzten und erst richtig rund machten, andererseits wesentliche Punkte der Stadtentwicklung waren: zum Beispiel der Ausbau des Ludwigsplatzes, die Neugestaltung des Riedergartens, der Ausbau des Färberviertels, die Aufwertung des Mühlbachbogens. Diese Schritte waren entscheidend auf dem Weg zum großen gemeinsamen Ziel von Gartenschau und Stadtentwicklung, nicht nur für die eigenen Bürger das eigene „Stadtbewusstsein“ zu ändern, sondern auch die Außenwirkung: „Wir wollten nach außen zeigen, dass Rosenheim mehr ist als der Ort, wo man im Sommer immer im Stau steht“, sagt Gabriele Bauer.

Landeplatz als
großes Problem

Doch auch abgesehen von den Finanzen gab es immer wieder Schwierigkeiten, die gemeistert werden mussten. Ein großes Problem war der Hubschrauberlandeplatz. Früh war klar, dass er eigentlich jeder vernünftigen Gartenschaukonzeption ebenso im Weg stehen würde wie dem Ausbau der angrenzenden Viertel. Fest stand für die damalige Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer aber auch, dass der Landeplatz eine unverhandelbare Größe war, „er ist entscheidend für das Klinikum und die Gesundheitsversorgung der Region, etwas, an dem für mich nicht zu rütteln war“. Die Lösung brachten neu entwickelte Baustoffe, die es am Ende möglich machten, den Landeplatz tatsächlich ohne statische Katastrophe auf dem Dach der Klinik unterzubringen.

Mit jedem dieser Erfolgserlebnisse, sagt Gabriele Bauer, entfaltete die Landesgartenschau mehr Eigendynamik. Es war, so schildert sie die Zeit, als sei da ein positiver Sog gewesen, den sich keiner in Stadtrat und Verwaltung habe entziehen können. Eine Aufbruchstimmung, die überdies zunehmend auf die ganze Stadt übergesprungen sei, auf die Gewerbetreibenden ebenso wie Privatleute, die sich selbst um die Verschönerung ihrer Objekte bemühten. Eine Aufbruchstimmung, die zudem durch eine besondere Fröhlichkeit geprägt gewesen sei, die dann auch die eigentlichen Gartenschauveranstaltungen mit über einer Million Besucher durchzogen habe: „In meiner Erinnerung sehe ich bei allen Leuten, die ich getroffen habe, ob offizielle Gäste oder Bürger, nur strahlende Gesichter.“

Am Ende bleibt
ein finanzielles Plus

Eine positive Impulskraft, die sich auch über die Landesgartenschau hinaus erhielt. Nicht nur durch das Sommerfestival, das im Jahr darauf zum ersten Mal durchgeführt werden konnte, weil die Landesgartenschau nicht nur kostenneutral wirtschaftete, vielmehr – durchaus eine Besonderheit bei den Gartenschauen – einen Überschuss von 125 000 Euro erzielen konnte. Sondern auch in der Aufgeschlossenheit, die in den Jahren nach der Landesgartenschau die Idee von „Rosenheim 2025“ begleitete, eines städtischen Entwicklungskonzeptes mit Bürgerbeteiligung. Das Konzept selbst kam zwar im Jahr 2016 zu einem vorläufigen Abschluss, wirke aber dennoch bis heute nach, wie Helmut Cybulska meint: Die Leitideen einer Stadtentwicklung, die dort erarbeitet wurden, seien wichtige Grundlage für die Erstellung des Flächennutzungsplanes, die im nächsten Jahr in Angriff genommen werden soll.

Verregnete
Veranstaltungen

Die Gartenschau war also ein wirkliches Sommermärchen, nicht getrübt durch die Tatsache, dass es an 80 von 164 Veranstaltungstagen regnete. Ein Jahrhundertereignis, das so schnell nicht zu wiederholen sein wird, aber entscheidende Veränderungen im Stadtbild bewirkt hat und darüber hinaus bis heute Impulse in Stadtleben aber auch Stadtentwicklung aussendet.

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