Hingucker im Bahnhof

von Redaktion

„Kunst im öffentlichen Raum“ – Folge 127: „Dampfkraft und Elektrizität“

Rosenheim – Vier Pferde und ein Bulle drängen kraftvoll nach oben und scheinen auf den Vorplatz des Rosenheimer Bahnhofs stürmen zu wollen. Als Claus Hansmann 1957 die beiden raumhohen Reliefs in Putzschnitttechnik an den beiden Seitenwänden der damals noch offenen Vorhalle anbrachte, funktionierte dieses dynamische Vorwärtsstoßen bestens. Mittlerweile schließt eine Glasfront das Hauptgebäude des Bahnhofs nach außen ab. So sind die beiden Kunstwerke zwischen die Glasfronten des Eingangsbereichs geraten. Dennoch ist es lobenswert, dass die Bahn bei den kräftigen Modernisierungen der vergangenen Jahre die ursprüngliche „Kunst am Bau“ erhalten hat.

Leichtigkeit

und Transparenz

Schon in der Planungsphase für den Neubau des Bahnhofsgebäudes, als Ersatz für den im Zweiten Weltkrieg zerstörten neoklassizistischen Bau von 1876, berücksichtigte Dr. Karl Fackler, Baudirektor der Bundesbahn-Direktion München, einen großzügigen Einsatz von Kunst.

Der Neubau von 1956/57 stand mit seiner offenen Vorhalle mit den beiden zarten Stützen und der Glasfront dahinter sowie den klaren und sachlichen Linien der Architektur für die in diesen Jahren angestrebte Leichtigkeit und Transparenz. Durch aktuelle Künstler und zeitgenössische Kunst sollte der Geist der damaligen Aufbruchsstimmung unterstrichen werden. Da jedoch die Baukosten höher wurden als zuerst angesetzt, blieben von der ursprünglichen Absicht, den neuen Rosenheimer Bahnhof zu einem Ort der Musen werden zu lassen, nur drei Kunstwerke übrig. So konnten sich die Gäste bei der feierlichen Einweihung der neuen Bahnhofshalle am 27. Juli 1957 an dem großflächigen Mosaik „Innstädte“ von Hermann Ober, der Bronzeplastik „Sitzendes Mädchen“ von Marianne Lüdicke und den beiden Putzreliefs von Claus Hansmann erfreuen.

Claus Hansmann wählte als Thema für seine beiden Reliefs, die als Pendants aufeinander Bezug nehmen, zwei wichtige Kraftquellen der Eisenbahn, die Dampfkraft und die Elektrizität. Der Dampfkraft ist, wenn man die Halle betritt, das rechte Relief gewidmet. In einem mächtigen Bogen entfaltet sich ein Aufbau, der unten mit der Gewinnung der Steinkohle im Bergbau beginnt. Dann folgen in allegorischer Gestaltungsweise Symbole des Verbrennungsvorganges und einer vom Erfindergeist gelenkten Dampfdruckverwertung. Eine verknappt zitierte Dampflokomotive mit ihren charakteristischen Antriebsstangen und vier Pferdeköpfe, Sinnbild für die alte Maßeinheit der „Pferdestärke“, bilden den Abschluss. Gelungener kann man das „Dampfross“, wie eine alte Bezeichnung für die Dampflokomotive lautet, kaum in moderner Formensprache darstellen.

Auf der gegenüber liegenden Wandseite stellt Claus Hansmann die Elektrizität dar. Unten stürzt Wasser in eine Turbine, die kraftvoll einen Generator zur Stromerzeugung antreibt. Ein Isolator steht symbolhaft für die Stromübertragung, die in den Drähten einer Oberleitung endet. Leider vermisst man hier als Abschluss die Darstellung einer E-Lok. Dafür stürmt ein Bulle dynamisch und voller Kraft nach vorne. Das Thema „Diesellok“ fehlt überhaupt; dafür hätte es einer dritten Wandfläche bedurft, die es nicht gibt.

Relieflandschaften
aus Holzplatten

Die beiden Reliefs waren ein ungewöhnlicher Auftrag für Claus Hansmann, der vor allem als Grafiker und Fotograf arbeitete, und als Bildhauer nicht in Erscheinung trat. Für die dreidimensionale Gestaltung, die er direkt aus dem frisch aufgetragenen Putz herausschnitt, mag dem Künstler zugutegekommen sein, dass er in den Kriegsjahren 1944/45, als er dienstuntauglich geschrieben war, am Fliegerhorst München-Riem für die Luftwaffe Relieflandkarten aus dicken Holzplatten fräsen musste.

Die Wandreliefs, die einheitlich weiß getüncht sind, wirken vor allem durch ihre grafischen Strukturen, die kräftige Licht- und Schatteneffekte erzeugen. Unzählige Menschen sind in den vergangenen 63 Jahren an ihnen vorbei geströmt, die wenigsten werden die beiden sich dezent zurückhaltenden Kunstwerke von Claus Hansmann je näher betrachtet haben. Aber schön, dass sie da sind.

Der Künstler

Claus Hansmann wurde 1918 in München geboren. Der Vater Paul Hansmann (1882 bis 1936) war Schriftsteller und Übersetzer französischer Literatur, die Mutter Dora Hansmann Pianistin. In dem linksliberalen Elternhaus verkehrten kritische, auch jüdische Intellektuelle und avantgardistische Künstler wie der Kunsthistoriker Franz Roh, das Verlegerehepaar Ernst und Gertrude Weil, der Philosoph Rudolf Carnap, der Soziologe Otto Neurath und der Bauhaus-Künstler László Moholy-Nagy.

Nach seiner Ausbildung zum Grafiker an der Graphischen Gewerbeschule München studierte Hansmann von 1935 bis 1939 an der Staatsschule für Angewandte Kunst München (Kunstgewerbeschule). 1939 zur Wehrmacht eingezogen, hielt der NS-Gegner die Gräuel des Krieges vor allem in der Sowjetunion in Notizen, Zeichnungen und Fotografien fest und publizierte sie 1989 unter dem Titel „Vorüber - nicht vorbei“.

Ab 1945 wirkte Hansmann freischaffend als Fotograf, Grafiker und Bühnenbildner in München. Seit 1957 gestaltete und edierte er zusammen mit seiner Frau, der Volkskundlerin Liselotte Hansmann, Bücher zu Kulturgeschichte und Volkskunst.

Hansmann war Mitbegründer der Künstlergewerkschaft (heute Teil der Gewerkschaft ver.di) und organisierte die ersten Ausstellungen für junge Künstler nach dem Krieg. In den 1950er-Jahren engagierte er sich gegen Krieg und Wiederbewaffnung. Von 1968 bis 1970 war Hansmann Dozent für Illustration und Grafik an der Werkkunstschule Wiesbaden.

Das Werk

„Dampfkraft“ und „Elektrizität“, Putzschnittreliefs, 1957, auf Wandflächen von je 8 Metern Höhe und 3 Metern Breite; Signatur „C. Hansmann“ in Rahmung bei Relief „Dampfkraft“ rechts unten; Bahnhof, Südtiroler Platz 1, Rosenheim.fie

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