Rosenheim – Eine Reliefscheibe aus dunkler Bronze von Joachim Berthold ziert den Eingang des Arbeitsgerichtes in der Rathausstraße. Sie tritt mit ihrer etwas unregelmäßig geformten Umrisslinie bewusst in Kontrast zur rechtwinkligen Gliederung des Amtsgebäudes, das kurz vor Weihnachten 1954 in Betrieb genommen wurde.
Der Oberaudorfer Bildhauer, der damals noch am Anfang seiner Karriere stand, setzte in dieser Auftragsarbeit das vorgegebene Thema, das der Aufgabe des Gerichtsgebäudes entspricht, in einer konzentrierten Bildsprache um. Das Flachrelief zeigt einen Richter, der etwas erhöht auf einem Stuhl sitzt, in der linken Hand den Richterstab als Zeichen seiner Amtsautorität, die Rechte erhoben über den vor ihm mit gesenktem Kopf stehenden Angeklagten, über den er gerade das Urteil spricht. Beide tragen antik anmutende Kleidung, was die Zeitlosigkeit und Allgemeingültigkeit der Szene unterstreichen soll.
Das Amtsgebäude atmet mit seiner schlichten und klaren Gestaltung den Geist der frühen 1950er-Jahre. Lediglich der Eingangsbereich setzt mit seiner Natursteinrahmung, den vier flachen Stufen und dem französischen Fenster einen Akzent, der verstärkt wird durch Bertholds Bronzerelief. Bezeichnend ist, dass als „Kunst am Bau“ eine Supraporte, also ein Kunstwerk, ausgewählt wurde, das im Bereich über einer Tür angebracht ist. Seit der Renaissance benennen gerade diese Gemälde oder Reliefs das Thema eines Gebäudes oder eines Raumes. Eine Supraporte ist sozusagen das Klingelschild, das den Namen nennt, hier also „Richter und Urteil“. Da kann jeder Eintretende schon außen erkennen, was ihn innen erwartet.
Als Joachim Berthold 1954 das Tonmodell des „Richter“ für den Bronzeguss modellierte, war er noch auf der Suche nach seinem persönlichen Stil. Erste Ansätze zur Abstraktion, zur Vereinheitlichung der Figuren zeichnen sich bereits ab, doch die ganze Szenerie wirkt noch recht traditionell.
Traumatisiert durch den Zweiten Weltkrieg und die Gräuel der Nazi-Diktatur, in die sein Vater als Leiter der Kölner Werkschule und „Goldschmied für Gott – und den Teufel“, wie eine Ausstellung in Limburg an der Lahn 2017 titelte, verstrickt war, setzte sich Berthold in seinen freien Arbeiten in den Nachkriegsjahren vor allem mit den Themen Leid und Trauer auseinander. So entstanden kleinere Plastiken wie „Lazarus“, „Der Einsame“, „Der Sinnende“, „Klage“, „Trauer“, „Qual“, „Angst“, „Leid“, „Der Zweifelnde“, „Chimäre“ oder „Lemure“. „Unsere Zeit ist die der Zerrissenheit und der Sehnsucht nach wahren Werten. Die Erkenntnis, dass wir den Geist verlassen haben, ihn aber wieder finden müssen zur Erfüllung unserer Existenz, ist bei vielen.“ Mit diesen Worten zitiert der Mainzer Kunsthistoriker Heinz Leitermann den Bildhauer in der bereits 1957, zum 40. Geburtstag, erschienenen Monografie „Joachim Berthold – Ein Bildhauer unserer Zeit“.
Das Jahr 1954 markiert einen Umbruch im Werk von Joachim Berthold. Die dunklen Geister der Vergangenheit weichen langsam zurück und geben Raum für „Spielende Bären“, eine humorvolle Gartenplastik für die beiden Töchter, oder „Singende Kinder“, eine heitere Brunnenplastik für eine Wohnanlage in Fürstenfeldbruck. Spätestens Ende der 1950er-Jahre hat Joachim Berthold mit dem „Menschenpaar“ (1958), aufgestellt an der Auffahrt zum Klinikum Rosenheim, und dem Justizbrunnen (1959) vor dem hiesigen Amtsgericht in der Bismarckstraße seinen Stil gefunden, der sich durch starke Abstraktion und eine Vereinheitlichung und Reduktion der Formen auszeichnet.
Als 1996 das Gebäude des Arbeitsgerichtes in der Rathausstraße modernisiert und erweitert wurde, erhielt der Eingang einen Glasvorbau. Dankenswerterweise blieb die Reliefscheibe „Der Richter“ an ihrem angestammten Platz und mahnt weiter alle Eintretenden an die Bedeutung der Rechtsprechung.