Rosenheim – Eine zarte Frauengestalt, deren Nacktheit nur durch ein weich fließendes, großes Tuch leicht verhüllt wird, schwebt nach oben. Die geöffneten Arme und Hände zeigen Bereitschaft für diesen Weg, weg von der Erde, die nur noch eine Fußspitze berührt. Es ist die Seele der mit 20 Jahren 1838 verstorbenen Amalia von Braun, der in diesem fein gearbeiteten Marmorrelief der bedeutende Münchner Bildhauer Ludwig Schwanthaler einen ergreifenden Ausdruck verleiht. Eingefügt ist die Hochreliefplatte in einen schlichten, antikisierend gestalteten Grabstein, auf dem eine längere Inschrift Auskunft gibt.
Bedeutende
Persönlichkeit
Der Vater der jung Verstorbenen, Sebastian von Braun, war in München eine bedeutende Persönlichkeit, als Generalleutnant und Stadtkommandant von München, ausgezeichnet mit dem Großkreuz des Verdienstordens des heiligen Michael, Kommandeur des Ordens der Bayerischen Krone, Träger des Ehrenkreuzes des Ludwigsordens und Ritter der französischen Ehrenlegion. Fast möchte man meinen, der Grabstein sei für Sebastian Braun, da die Inschrift vor allem seine Verdienste aufzählt.
Alles Hoffen
war vergebens
Die Eltern, auch die Mutter Augusta von Braun, geborene Mayer, wird genannt, hatten Amalia nach Rosenheim gebracht, damit sie hier im renommierten Heilbad bei Wassertrinkkuren und Solebädern Besserung ihres schweren Leidens finden würde. Doch alles Hoffen war vergebens. Am 1. September 1838, Mittag um 12 Uhr, starb Amalia von Braun „hier im Bad“, wie es Pfarrer Albert Hofmann im Sterberegister der Pfarrei St. Nikolaus vermerkte, an der Lungenschwindsucht, also an Tuberkulose.
Mit Ludwig Schwanthaler hatte Sebastian von Braun den damals führenden Bildhauer Münchens beauftragt. Gerade die Reliefkunst zeigt die persönliche Stärke des Lieblingsbildhauers von König Ludwig I. Der Entwurf eines Tafelaufsatzes für König Max I. Joseph hatte 1824 dem jungen Bildhauer den Weg an den Münchner Hof geöffnet. Schon im Jahr darauf gehörte Schwanthaler zu den Hofkünstlern, die für König Ludwig I., der soeben den Thron bestiegen hatte, München in ein „Isar-Athen“ umwandeln sollten. So blieb das Schaffen des Künstlers zeitlebens eng verbunden mit dem Wittelsbacher und seinen beiden bevorzugten Architekten Leo von Klenze und Friedrich von Gärtner. 1848, als Ludwig I. abdanken musste, starb Ludwig Schwanthaler. Eine Ära war zu Ende.
Geschult in der väterlichen Werkstatt in München und in Rom bei Bertel Thorvaldsen, wohin ihn der König geschickt hatte, wurde Schwanthaler, der an der heute nach ihm benannten Schwanthalerstraße ein großes Atelier mit bis zu 50 Mitarbeitern betrieb, zum bedeutendsten Schöpfer figürlicher Plastik an und in den bayerischen Königsbauten.
Prominente
Bauvorhaben
So wundert es nicht, dass der schnelle Zeichner und Entwerfer an allen prominenten Bauvorhaben wie dem Königsplatz, der Alten Pinakothek, der Feldherrnhalle, der Staatsbibliothek, der Ludwigskirche oder auch der Walhalla und der Befreiungshalle beteiligt war.
König Ludwig I. vereinte in sich zwei Ideen, die des Klassizismus (Klenze) und die der Romantik (Gärtner) und Ludwig Schwanthaler wurde sein bester Interpret in Stein und Bronze. Gerne verwendete der Bildhauer den weißen Marmor aus Carrara und kam damit der klassizistischen Antikenvorstellung von Winckelmann nach. Seine romantische Ader lebte Schwanthaler aus, wenn er mit Künstlerfreunden in seiner altdeutsch dekorierten „Humpenburg“ feierte oder sich mit dem Bau von Burg Schwaneck im Isartal den Traum eines mittelalterlichen Refugiums erfüllte.
Was als Handwerk begann, der Vater Franz Jakob Schwanthaler hatte in seiner Münchner Werkstatt die üblichen Grabsteine gefertigt, wurde unter den Händen des Sohnes zur Kunst, individuell abgestimmt auf den Auftrag und den Verstorbenen. So entspricht das zarte Relief einfühlsam dem Verlust eines jungen Mädchens und so entschwebt die Seele der Amalia, mitten im Biedermeier, in klassizistischer Nacktheit gen Himmel.
Die Beerdigung von Amalia von Braun wurde am 3. September 1838 „sehr feierlich begangen“, wie Pfarrer Albert Hofmann, an den in Rosenheim die Hofmannstraße erinnert, eigens notierte. Offensichtlich stach die Beisetzung des adeligen Fräuleins auf dem 1809 neu angelegten Rosenheimer Friedhof besonders heraus.
Lebensabend
in Regensburg
Sebastian von Braun, der wenige Jahre später seinen Lebensabend in Regensburg verbrachte, stiftete 200 Gulden zum Erhalt des Grabes. Was von den Zinserträgen übrig blieb, sollte jedes Jahr am Todestag der Tochter an die „zwei Ärmsten des Marktes“ verteilt werden, wie es im Stiftungsvertrag hieß. Nachdem das Kapital nach dem Ersten Weltkrieg aufgezehrt war, wurden 1921 die Stiftung und das Grab aufgelöst und der Grabstein an die heutige Stelle unter den südlichen Arkaden des Alten Leichenhauses versetzt. Seit 1984 wird der Grabstein in der Denkmalliste von Rosenheim geführt.