Rosenheim – Die Isolation hat viele Menschen in der Corona-Krise schwer getroffen. Doch wie hat sich der Alltag für die Beschäftigten in den Wendelstein-Werkstätten der Caritas verändert? Dort ist nämlich für gewöhnlich der enge Kontakt elementar. Ein Gespräch darüber, was den Menschen in der Krise Kraft gibt.
Pandemieplan
bestimmt Tagesablauf
In der Werkstatt im Aicherpark wird eifrig hantiert, die Arbeit ist in vollem Gange. Doch seit Monaten ist hier nur die Hälfte der Beschäftigten vor Ort, sie rollieren in Gruppen. Plexiglasscheiben an den Arbeitsplätzen schützen die Angestellten, auf den Gängen gilt Maskenpflicht. Ein Pandemieplan bestimmt den neuen Tagesablauf.
Denn: Die Gesundheit der Beschäftigten hat oberste Priorität. Etwa 80 Prozent von ihnen gehören aufgrund verschiedener Vorerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Therapien mit Immunsuppressiva zur Hochrisikogruppe, wie Diplomsozialpädagogin Petra Gelleri erklärt. „Natürlich wollen sie aber trotzdem arbeiten“, sagt Robert Hofmann (32). Er ist Vertreter des Werkstattrats, dem Betriebsrat der Beschäftigten. Er selbst ist als Mitarbeiter der Werkstätten extern in der Firma Hernik in Raubling tätig, hat den Pandemieplan mitentworfen.
Etwas mit eigener Kraft erschaffen und das fertige Ergebnis in den Händen halten – genau das ist laut Gelleri für die Menschen wichtig. Doch das Arbeiten für Hochrisikopatienten ist gar nicht so einfach. Dafür brauchen sie eine ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung, um in den Betrieb kommen zu dürfen. Nach wie vor trauten sich manche Hochrisikopatienten nicht, wieder in die Werkstatt zu kommen. Zu groß sei die Angst vor einer Ansteckung, erklärt Gelleri.
Systemrelevante
Arbeit in der Krise
Die Werkstatt im Aicherpark bildet nur einen kleinen Teil der Behindertenarbeit. Die über 550 Beschäftigten arbeiten in der Wäscherei, der Großküche oder eben in externen Firmen. „Die Wäscherei war in der Corona-Krise sogar systemrelevant“, erklärt Hofmann. Überall wurde der Alltag gehörig auf den Kopf gestellt: „Normalerweise ist die Behindertenhilfe auf Nähe ausgelegt“, erklärt Diplomsozialpädagogin Petra Gelleri. Die Pädagogen stehen nun wegen Corona vor großen Herausforderungen: „Für viele Beschäftigte war es schwierig, zu verstehen, warum sie ihre Freunde nicht mehr sehen dürfen.“ Denn die einzelnen Gruppen dürfen sich nicht mehr vermischen. Sogar die ein oder andere Träne sei geflossen. Auch die Kurse externer Therapeuten – sonst fester Bestandteil im Alltag der Beschäftigten – musste die Caritas erst einmal auf Eis legen. Die Sommerfeste, der eigene Christkindlmarkt, der Fasching, alles abgesagt. „Die entstandene neue Form des Miteinanders ist für viele der behinderten Mitarbeiter ein nur schwer erträglicher Umstand“, weiß Petra Rohierse von der Öffentlichkeitsarbeit. Die Pädagogen suchen Gespräche, auch mit den Angehörigen. Sie versuchen, ihnen die Angst zu nehmen.
Dabei helfen sollen auch die neuen Hygieneregelungen, unter anderem das sogenannte Symptom-Screening bei der Ankunft jeden Morgen: Wer Symptome hat, muss nach Hause, sich testen lassen. „Wir hoffen einfach, dass es keinen zweiten kompletten Lockdown gibt“, so Rohierse.
Betreuung für die
Familie elementar
Die lange Schließung der Werkstätten während des ersten Lockdowns sei nämlich ein massives Problem für die Wohnheime und betreute Wohnformen gewesen. Das Notbetreuungsangebot sei relativ wenig in Anspruch genommen worden, da viele Beschäftigte Hochrisikopatienten sind. Doch die Betreuung in den Werkstätten sei nicht nur für die Beschäftigten elementar wichtig, sondern auch für die Angehörige.
Die Beschäftigten hätten bisher und auch während des Lockdowns durchgehend ihren Lohn erhalten, der Bezirk Oberbayern als Kostenträger habe den Lockdown durchgehend finanziert. Die Umsatzeinbußen lagen bei einer Höhe von gut 500000 Euro gegenüber dem Vorjahr.
Nichtsdestotrotz können die Beschäftigten der Krise auch etwas Positives abgewinnen, wie Robert Hofmann erzählt. „Wir haben immer noch unser ‚Wir-Gefühl‘ – das ist das, was unsere Arbeit ausmacht.“