Rosenheim – Die Rosenheimer Beratungsstelle „Migra“ vom „Sozialdienst katholischer Frauen“ unterstützt Migrantinnen, die Opfer häuslicher Gewalt oder einer Zwangsehe sind. „Migra“ hilft Frauen bei Behördengängen, bei finanziellen und gesundheitlichen Fragen, aber auch bei der Suche nach einem passenden Schutzraum. Für viele der letzte Ausweg.
Von Albanien
nach Deutschland
Lisa S. (28) heißt eigentlich anders. Doch sie will nicht, dass ihr Mann herausfindet, dass sie an die Öffentlichkeit gegangen ist. Also bleibt sie lieber anonym, auch um ihren drei Jahre alten Sohn zu schützen. Lange hat sie überlegt, ob sie ihre Geschichte erzählen soll, hat sich schließlich doch dazu entschieden. „Ich möchte, dass mein Sohn irgendwann einmal weiß, was passiert ist“, sagt sie. Ihre Stimme ist leise, die meiste Zeit spricht sie Englisch. Die deutsche Sprache versteht sie, nur das Sprechen traut sie sich noch nicht zu.
Ihre Geschichte beginnt vor drei Jahren. Sie reist von Albanien nach Deutschland, will dort ein besseres Leben beginnen. Und das, obwohl die junge Frau in ihrem Heimatland gerade ihr Jurastudium beendet hat, nebenbei als Übersetzerin an einer Universität gearbeitet hat. Sie sei nicht glücklich gewesen, wollte mehr.
In Deutschland angekommen, landet sie über Umwege in Rosenheim. Sie lernt einen Mann kennen, verliebt sich. Es folgt die Heirat, ein Jahr später ist Lisa S. schwanger. Es scheint die perfekte Liebesgeschichte zu sein. Doch nach der Geburt ihres Sohnes sei alles anders geworden. „Wir haben uns immer häufiger gestritten und mein Mann hat mich ständig angeschrien.“ Was die junge Frau zu dieser Zeit noch nicht wusste: Ihr Mann ist spielsüchtig, hat außerdem seit längerer Zeit ein Drogenproblem.
Weil Lisa S. aber außer einigen Bekannten in Rosenheim niemanden hat, bleibt sie bei ihrem Mann. „Er hat mir immer wieder damit gedroht, dass er meinen Sohn behält, wenn ich gehe. Ich kannte meine Rechte damals einfach nicht“, sagt die junge Mutter. Also lässt sie die Beleidigungen weiter über sich ergehen, nimmt die Schläge kommentarlos hin.
Bis zu einem Tag im November 2018. „Da hat er mich fast umgebracht“, sagt sie. Ihre Stimme ist leise, sie weint. Er habe ihr ins Gesicht geschlagen, sie gewürgt, damit gedroht, dem gemeinsamen Sohn etwas anzutun. Niemand habe ihre Hilferufe gehört. Er habe erst aufgehört, als sie fast ohnmächtig geworden wäre.
„Das war der Punkt, an dem ich wusste, dass ich Hilfe brauche“, sagt Lisa S. Sie recherchiert im Internet, stößt auf die Nummer einer Beratungsstelle. Dort sagt man ihr, sie könne entweder ins Frauenhaus gehen oder die Fachberatungsstelle „Migra“ kontaktieren. Lisa S. ruft bei „Migra“ an und lernt eine Mitarbeiterin kennen, die ebenfalls anonym bleiben will. Die beiden Frauen verabreden sich zu einem Treffen. „Am Anfang hat sie fast gar nichts erzählt“, erinnert sich die Mitarbeiterin. Nach und nach fasst Lisa S. Vertrauen, beginnt, ihre Geschichte zu erzählen, und lernt, dass sie „Rechte hat“, wie sie sagt. „Ich wusste nicht, dass mir beispielsweise Kindergeld zusteht“, sagt sie. In den kommenden Monaten begleitet die Mitarbeiterin die junge Mutter zu Terminen ins Jobcenter und hilft ihr beim Ausfüllen von Formularen. Während Lisa S. versucht, die deutsche Bürokratie zu verstehen, landet ihr Noch-Ehemann im Gefängnis – unter anderem wegen Körperverletzung.
Im Gefängnis wegen Körperverletzung
Zum ersten Mal seit Langem muss Lisa S. weder um ihre Sicherheit, noch um die ihres Sohnes fürchten. „Ich habe gemerkt, dass ich nicht alleine bin. Selbst wenn ich hingefallen bin, waren meine Freunde, Familie und die Mitarbeiter von ‚Migra‘ für mich da.“ Zwar könne sie nicht vorhersagen, was die Zukunft bringt. Aber eins weiß sie sicher: Sie hat Rechte, will so schnell wie möglich die Scheidung. Und sich dann mit ihrem Sohn ein Leben in Deutschland aufbauen. Ohne Angst und Gewalt.