Rosenheim – Als „Schlachtopfer“ fühlen sich die Unterzeichner eines Brandbriefes an politisch Verantwortliche in Land, Bund und der Stadt Rosenheim. Der Rosenheimer Ortsvorstand des Bayerischen Handelsverbands hat sich offen an Rosenheims Oberbürgermeister Andreas März, aber auch an die hiesige CSU-Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig und ihren Landtagskollegen Klaus Stöttner gewandt. Ihre Forderung: Lasst die Geschäfte endlich wieder öffnen, und lernt, mit Corona langfristig zu leben!
„Viele unserer Kollegen kämpfen um ihre wirtschaftliche Existenz und stehen kurz vor dem Ende ihrer Betriebe“, ist in dem Schreiben zu lesen. Genauso wie: „Gesunde Traditionsunternehmen werden mit dem Rücken an die Wand gestellt.“ Amazon boome, die Innenstädte hingegen verödeten.
Corona kein
Thema auf Baustellen
Einige Argumente der sechs Unterzeichner sind nicht neu: Große Ketten und Warenhäuser verkauften neben Lebensmitteln ebenso Kleidung, Spielzeug und Elektroartikel, während die kleinen stationären Läden geschlossen bleiben müssten. Zudem: „Auf den Baustellen ist Corona unbekannt. Es gibt kaum Abstand und Masken, und auf den großen Baustellen geht‘s in den Containerunterkünften zu wie vor Corona.“ Auch in den Kirchen dürfe jeder achte Platz besetzt werden, der Betrieb des öffentlichen Nahverkehrs laufe ohne Beschränkungen. Dafür würden großflächige Fußgängerzonen wie Rosenheim abgeriegelt, obgleich die Abstandsregeln dort problemlos eingehalten werden könnten.
Offene Türen rennen die sechs Unterzeichner bei der CSU-Stadtratsfraktion ein: „Die Öffnung der Betriebe ermöglicht unseres Erachtens eine wesentlich kontrolliertere und bessere Pandemieentwicklung“, antwortet deren Fraktionschef Herbert Borrmann auf Anfrage. Die stark gestiegenen Besucherzahlen an Bergen und Seen, bei der häufig die Maskenpflicht nicht eingehalten werde, sehe seine Fraktion als zusätzliches Argument, das eine Öffnung des Handels stütze.
Sowohl die Ungleichbehandlung einzelner Händler als auch die „unverständliche Bevorzugung des Versandhandels“ durch die Nichtbesteuerung der Gewinne dieser Unternehmen sei für die CSU-Stadtratsfraktion nicht nachvollzieh- und untragbar. „Sie führen zu einer weiteren, einseitigen Belastung des örtlichen Handels.“
Zwei Stunden
kostenfrei parken
Man versuche, über die Mandatsträger Einfluss auf die Entscheidungen in München und Berlin zu nehmen, leider bislang ohne den gewünschten Erfolg. Auf kommunaler Ebene unterstütze die CSU die Neuauflage des „Sommers in Rosenheim“ und habe im Stadtrat bereits einen Antrag gestellt, der Besuchern künftig zwei Stunden kostenfreies Parken in der Innenstadt ermögliche.
„Wir stehen in engem Austausch mit den Einzelhändlern und Unternehmern vor Ort und wissen entsprechend um die Sorgen und Existenzängste, die sie sich um sich, die Innenstädte und ihre Mitarbeiter machen“, entgegnen die CSU-Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig und ihr Landtagskollege Klaus Stöttner auf die Vorwürfe des Handelsverbands.
Auch die beiden treibe dieser „inzwischen viel zu lange Zustand“ um. „Wir haben deshalb die klare Erwartung an die Ministerpräsidentenkonferenz, dass eine vernünftige und zielgerichtete Strategie mit Öffnungsperspektive vorgelegt wird, um den systemrelevanten Einzelhandel zu schützen und zu unterstützen.“ Heute will Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den 16 Ministerpräsidenten der Länder über das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie beraten. Konzepte wie „Click&Meet“ könnten nur der Anfang sein, natürlich müssten weitere Schritte folgen, um Deutschlands Innenstädte vor einem Kollaps zu bewahren.
„Der Handel hat bereits frühzeitig bewiesen, dass er auf sich, das Personal und die Kunden sehr gut aufpassen kann“, findet Ludwig. Das viel zu schleppende Anlaufen der Überbrückungshilfen habe sie mehrfach in den politischen Gremien kritisiert. „Diesen Zustand konnten wir inzwischen glücklicherweise abfedern, und inzwischen laufen die Hilfen und Abschlagszahlungen, was den Unternehmen wieder Luft zum Atmen gibt.“
„Der Einzelhandel ist nicht der Treiber des Infektionsgeschehens, sondern hat ausgezeichnete Hygienekonzepte, um gute Beratungen und Kundenservice zu bieten“, findet auch ihr Landtagskollege Stöttner. Insofern müsse man den Einzelhändlern nun definitiv eine klare Öffnungsperspektive geben.
Etwas angefasst reagiert Rosenheims Oberbürgermeister Andreas März ob des Briefes der Händler: „Als Rosenheimer Oberbürgermeister würde ich mir wünschen, dass diese Anstrengungen vom Einzelhandel gewürdigt werden, anstatt der Stadt und ihrer Verwaltung pauschal den Vorwurf zu machen, in der Innenstadt werde ‚alles abgeriegelt‘ und gesunde Traditionsunternehmen würden ‚mit dem Rücken an die Wand gestellt‘“, reagiert der OB auf die Vorwürfe.
Mit „diesen Anstrengungen“ meint er unter anderem Hilfestellungen, mit denen Rosenheim Händlern und Gastronomen unter die Arme greife. Darunter: Die Stundung von Gewerbesteuerzahlungen, der Verzicht auf Gebühren für die Nutzung städtischer Flächen. Dies wie auch die Veranstaltungsreihe „Sommer in Rosenheim“ hätten „erkennbar zur Wiederbelebung der Kundenfrequenz“ in der Innenstadt beigetragen.
Nicht nur verengter
Blick auf Inzidenz
Zumal all diese Aktionen für die Stadt einen Aufwand in sechsstelliger Höhe nach sich gezogen habe. „In zahlreichen Gesprächen mit der Regierung von Oberbayern, den zuständigen Staatsministerien und der Bayerischen Staatskanzlei habe ich die Nöte von Einzelhandel und Gastronomie aus unseren Erfahrungen vor Ort deutlich gemacht und mich dafür eingesetzt, dem Einzelhandel und der Gastronomie jenseits von einem einseitigen und verengten Blick auf die Inzidenzzahlen eine planbare und verlässliche Öffnungsperspektive zu bieten“, beteuert März. Dennoch verstehe er im Blick auf die neuerliche Zunahme der Infektionen die Sorge, die Pandemie könnte durch das laufende Infektionsgeschehen erneut aufflammen.