Vom großen Wollballen zum kleinen Faden

von Redaktion

Heute vor 160 Jahren startete der Bau des Hauptgebäudes der Kolbermoorer Spinnerei

Kolbermoor – „Es ist das älteste Foto Kolbermoors“, ist Anton Hamberger überzeugt. Er muss es wissen, er kennt die Mangfallstadt aus dem Effeff und die Spinnerei wie seine Westentasche – „ich kenne jeden Winkel“, sagt der 85-Jährige. Unzählige Ordner hat der Kolbermoorer zu Hause, die gefüllt sind mit Dokumenten, Plänen und Fotos. Sucht man etwas Bestimmtes, er weiß, wo er nachschauen muss und wird fündig. Wie auch jetzt.

1872 entstand
der Kamin

Denn das Foto, das vor 1872 entstanden sein soll, zeigt das Hauptgebäude der Spinnerei. Warum ist Hamberger sich ob der Jahreszahl so sicher? „Der Kamin fehlt, der wurde erst 1872 gebaut.“ Grundsteinlegung des Hauptgebäudes war heute vor exakt 160 Jahren. Am 13. April 1861.

Hamberger hat auch die Maße des sechsstöckigen Gebäudes parat: knapp 70 Meter lang, etwa 33 Meter breit und gut 27 Meter hoch. Das ist das Hauptgebäude in Zahlen. Und was war drin in dem sechsstöckigen Koloss? „Spinnerei- und Vorbereitungsmaschinen“, erklärt er. Letztere habe man für die Baumwolle, die in Ballen gepresst aus Amerika nach Kolbermoor kam, benötigt. Die Ballen wurden aufgelockert, gesäubert und die Stränge immer dünner – bis es Fäden waren. Dafür waren unzählige Maschinen nötig. Hamberger erklärt, dass in diesem Gebäude ein „extremer Lärm geherrscht haben muss, ebenso war es extrem staubig.“ Aber das Gebäude war nicht von langer Dauer: 1898 ist es komplett abgebrannt – was die Ursache war, kann Hamberger nicht sagen. An gleicher Stelle wurde ein dreistöckiges Gebäude gebaut – darin sind heute Praxen und Büros.

Hamberger weiß wovon er spricht, denn er ist Spinnerei-Experte, obwohl er das gar nicht gerne hört. Dennoch: Alles was mit der Kolbermoorer Fabrik –„ohne sie gäbe es Kolbermor nicht“ – zu tun hat, weiß er. Kein Wunder, er hat als 14-Jähriger als Hilfsarbeiter in der Spinnerei begonnen – damals hat er 52 Stunden in der Woche gearbeitet, erinnert sich der heute 85-Jährige. Der Lohn: 50 Pfennig. Ein Spinner habe damals eine Mark bekommen.

Vom Hilfsarbeiter hat Hamberger sich hochgearbeitet – bis zum Assistenten des Spinnereileiters, erzählt er. Auch er kann sich noch heute an den Lärm erinnern, der durch die riesigen Maschinen entstand und den Staub. „Das habe ich in den 50er-Jahren noch selbst erlebt“, sagt er. Damals habe man viele Betriebsausflüge unternommen, nach Garmisch oder Oberammergau. Bis zu 1000 Leute nahmen an den Ausflügen teil.

1993 wurden die Fabriktore für immer geschlossen. Aber alles Wissenswerte über diese Fabrik hat Hamberger entweder im Kopf oder in seinen Ordnern.

Geschichte des einstigen Fabrik-Koloss‘

Baustart des Hauptgebäudes der Spinnerei war am 13. April 1861. Knapp ein Jahr später, am 12. Januar 1862, war laut Hamberger der Rohbau mit Dacheindeckung fertig. Der Dachstuhl wurde von dem Zimmermannsmeister und späteren Bürgermeister Mathias Stadler gebaut. Gleichzeitig mit dem Hauptgebäude entstanden das Batteurhaus (Alte Spinnerei 3), das Baumwollmagazin (Alte Spinnerei 1), ein Verwaltungsgebäude, das später ein Wohnhaus wurde, das Direktorhaus und sechs Arbeiterhäuser für 36 Familien sowie das alte Turbinenhaus, das heutige E-Werk. Bereits im Januar 1861 wurde laut Hamberger Theodor Hassler als technischer Direktor mit einem Jahresgehalt von 2000 Gulden in den Dienst genommen. 86 Aktionäre zeichneten ab Januar 1861 Anteile in Höhe von 1,144 Millionen Gulden für den Aufbau der Spinnerei. Mit 20000 Gulden war auch „Seine Königliche Hoheit Prinz Luitpold“ beteiligt. 1863 wurden schon die ersten 11000 Spindeln zur Garnproduktion in Betrieb genommen.

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