Rosenheim – 82 Jahre alt ist Hans-Jürgen Hengstebeck, seit 65 Jahren besucht er die Meisterkonzerte in Rosenheim. Nun hat er aus Altersgründen sein Abonnement gekündigt.
In Oberhausen geboren, ist er nach dem Tode seines Vaters mit seiner Mutter nach Aschau gezogen, denn sein Vater hatte sie noch auf dem Totenbett aufgefordert: „Du ziehst nach Oberbayern!“ Von Aschau ist der Zwölfjährige nach Rosenheim aufs Humanistische Gymnasium, heute Ignaz-Günther-Gymnasium, gegangen.
Mit Edmund Stoiber
in einer Klasse
Dort war er in einer Klasse mit dem heutigen Kirchenmusiker Sebastian Weyerer aus Prien und dem ehemaligen Bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Über Stoiber sagt er schmunzelnd: „Er war nie Klassensprecher und ein durchschnittlicher Schüler. Das Fußballspielen hat ihn mehr interessiert – und die Mädchen!“ Hengstebeck hat dann Betriebswirtschaftslehre studiert, ist Steuerprüfer geworden und hat sich ein schmuckes Haus in Prien gekauft, in dem beide noch heute leben.
Und wie ist er zur Musik gekommen? Klavier hat er schon mit fünf Jahren angefangen zu spielen, doch „mein Damaskuserlebnis mit 15 Jahren“, wie er immer noch begeistert erzählt, „war ein Konzert im Kongresssaal des Deutschen Museums in München 1954 mit einer Aufführung der Hohen Messe in h-Moll von Bach. Dirigent war der Thomaskantor Günter Ramin, Altsolistin war die berühmte Hertha Töpper. „Von da an war ich verloren an die Musik“, sagt Hengstebeck pathetisch.
Er zeigt ein Programm der Meisterkonzerte aus dem Jahre 1957: Es spielte das Stross-Quartett mit Kurt-Christian Stier an der 2. Violine – der nach seiner Pensionierung noch längere Zeit Konzertmeister des Rosenheimer Musikvereins war, jetzt „Innphilharmonie“. Gespielt wurde im „Konzertsaal Kaiserstraße“, der Ballhaussaal im jetzigen Hofbräu.
Geradezu rührend sind die im Programm abgedruckten Eindrücke von zwei Künstlern: Der Cellist Ludwig Hoelscher (1907-1996) meinte: „Wenn ich in Rosenheim spiele, befinde ich mich nicht in der ‚Provinz‘. Die Atmosphäre hier ist ausgezeichnet, das Publikum überraschend aufgeschlossen und kunstverständig.“ Und der Geiger Günther Kehr (1920-1989) schrieb: „Woher habt ihr das viele Publikum? In rheinischen Städten spielen die besten Künstler oft vor halbleeren Sälen. Hier finde ich bei Kammermusik ein voll besetztes Haus und Zuhörer, denen man anmerkt, dass sie wirklich der Musik wegen gekommen sind.“
Woran erinnert Hengstebeck sich noch? „Einmal hat Claudio Arrau im Hofbräusaal gespielt“, erzählt er mit immer noch glänzenden Augen. „Als er zu spielen begann, begann ein Zuhörer fürchterlich zu husten. Da hörte Arrau auf und sagte: ‚Jetzt dürfen Sie husten.‘“ Und weiter: „Einmal spielte ein Streichquartett Musik von Béla Bartók. Für mich ein Traum. Auf einmal schrie einer von hinten: ‚Aufhören! Aufhören!‘ Aber die haben weitergespielt und der Zuhörer wurde rausgezischt. Bei moderner Musik sind immer wieder Einzelne rausgegangen.“ Höhepunkte seiner musikalischen Hörerlebnisse waren die Konzerte mit Sergiu Celibidache und den Münchner Philharmonikern, die Bruckner gespielt haben.
Nicht getraut, den Künstler anzusprechen
Mit den Meisterkonzerten ist Hengstebeck erst in die Luitpoldhalle und dann in die Stadthalle gezogen, die heute Kultur- und Kongresszentrum heißt. Mit Sergiu Celibidache begannen dort 1982 die Meisterkonzerte. Hengstebeck erzählt „Maurizio Pollini hat gespielt, ich bin ihm vor der Stadthalle begegnet – und hab mich nicht getraut, ihn anzusprechen.“
Diese Zeiten sind vorbei: Waren es anfangs noch zehn Konzerte pro Saison, später acht und dann sechs, sind es heute nur noch vier. Und Weltstars wie der Geiger Christian Tetzlaff oder sogar der in Rosenheim beheimatete Pianist Herbert Schuch spielen im Kultur- und Kongresszentrum im verkleinerten Saal, der auch nicht einmal voll ist.