Rosenheim – Mit der Verlegung von sieben Stolpersteinen gedachte die Initiative „Erinnerungskultur – Stolpersteine für Rosenheim“ jetzt Rosenheimer Opfern der NS-Diktatur. Verlegt wurden die Steine auf Privatgrund. Was wiederum für massive Kritik am Verhalten der Stadt Rosenheim sorgt.
Erinnerung lebt von Emotionen. Erinnerung an das Leid anderer Menschen dabei vor allem vom Mitgefühl. Deshalb geht es bei der Verlegung von Stolpersteinen nie nur um die kleinen Erinnerungsmale allein, sondern vor allem auch um die Recherchearbeit, die damit verbunden ist. Sie erst macht die Menschen, die im Nazi-Deutschland verfolgt, gequält oder gleich ermordet wurden, wieder zu Wesen aus Fleisch und Blut, holt sie ins Leben zurück.
Aufwendige
Recherchearbeit
Auch bei den sieben Rosenheimer Stolpersteinen, die jetzt verlegt worden sind, war diese Recherchearbeit geleistet worden. Vorgestellt wurden die Ergebnisse nicht nur während der Verlegung der Steine durch den Künstler Gunter Demnig, sondern auch während einer abendlichen Gedenkfeier in der altkatholischen Allerheiligenkirche.
Es ist ein engagierter Kreis aus den Reihen der Initiative „Erinnerungskultur – Stolpersteine für Rosenheim“, der diese Erinnerungsarbeit leistet. Da ist zum Beispiel Andreas Salomon, der die Lebensgeschichte des Gewerkschafters Ewald Thunig vorstellte und ihn als einen Menschen schilderte, den der Mut zum Widerstand gegen das aufkommende Naziregime nie verließ. Auch dann nicht, als er immer wieder verhaftet wurde, auch dann nicht, als er als einer der ersten Häftlinge in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert wurde und dort fünf Jahre lang schikaniert wurde. Thunig hat die Nazizeit überlebt und konnte sich auch danach noch für seine sozialen Ideale einsetzen, unter anderem als Gemeinderat in Kolbermoor.
Lebendige Zeugen
des Unrechtsstaates
Menschen wie er waren in den Nachkriegsjahren und bis in die jüngste Vergangenheit lebendige Zeugen in doppelter Hinsicht: Sie wussten und konnten erzählen, wohin ein Unrechtsstaat, der seinen Bürgern bereits das Recht auf freie Meinungsäußerung aberkennt, führen kann. Und sie nahmen aus diesem Wissen die Kraft und die Autorität, engagiert für ein „Nie wieder!“ einzutreten.
Doch diese Menschen sterben aus und damit, so Antonia Heil, setzt das Vergessen ein. Die 26-Jährige hielt als Sprecherin der Rosenheimer Grünen, aber vor allem auch als eine Vertreterin der jungen Generation, eine Rede. Und führte auch auf dieses Vergessen zurück, dass es 2020 in Deutschland wieder 2351 antisemitische Straftaten gegeben hat. An Thunig erinnert nun ein Stein vor dem Gewerkschaftshaus in der Brixstraße.
Noch jünger als Antonia Heil sind die Schülerinnen und Schüler der Otfried-Preußler-Schule Stephanskirchen. Das dortige Schulradio, geleitet von der Lehrerin Michaela Hoff, begleitet schon seit einigen Jahren die Stolperstein-Initiative, trägt mit seinen preisgekrönten Reportagen dazu bei, die Menschen greifbar werden zu lassen. Das Schulradioteam hat mehrere Stunden Interview mit Carmen Kaufmann, der Witwe von Franz Gory Kaufmann, geführt, an den durch einen Stein im Eingang des C&A-Geschäftes in der Bahnhofstraße erinnert wird. Es war ergreifend, zu sehen, wie zutiefst berührt Carmen Kaufmann davon war, wie Michaela Hoff und die 17-jährige Anja Bielmeier ihren Mann vorstellten.
Und auch hier kamen wieder Details zutage, die die Menschen lebendig werden lassen. Etwa die Tatsache, dass Carmen Kaufmann als junge Frau zu Anfang ihrer Ehe nicht verstand, warum ihr Mann bei den Mahlzeiten immer ein paar kleine Bissen übrig ließ: „Das ist für die Toten“, sagte er schlicht, als sie ihn einmal danach fragte, und meinte damit nicht nur seinen Bruder, der mit seiner ganzen Familie in Auschwitz ermordet wurde, sondern auch alle anderen Opfer: Er war im Konzentrationslager dazu eingeteilt, die Leichen der Vergasten mit Schubkarren in die Massengräber zu verbringen.
Über seine KZ-Zeit
nie gesprochen
„Diese zahllosen Körper, tot, nackt und ausgemergelt“ – das, so sagte Carmen Kaufmann, „ist etwas, was kein Mensch je vergessen kann“. Und es ist sicher auch mehr, als ein Mensch ertragen sollte. Wohl auch deshalb schwieg Franz Gory Kaufmann meist über seine Zeit im Konzentrationslager, die der begnadete Musiker nur überlebte, weil ihn die Nazischergen zur Unterhaltung brauchten. Versuchte er darüber zu sprechen, konnte er die Tränen nicht unterdrücken.
Hausinhaber stiften
weitere Gedenktafel
Solche Lebensgeschichten sind schwer zu verkraften, doch in ihren Details machen sie das Leid greifbar. Und das ist wichtig. „Denn“, so sagte Bettina Pan, „in den Konzentrationslagern wurden Menschen zu Nummern. Millionen von Nummern, ohne jedes Gesicht, ohne jede Persönlichkeit. Es geht bei den Stolpersteinen darum, wenigstens einige von ihnen wieder von einer Nummer zu einem Menschen werden zu lassen.“ Ihrer Familie gehört das Geschäftshaus an der Münchener Straße 28, in der die Kaufmannsfamilien Wiener und Camnitzer lebten. Sie hat sich sofort bereit erklärt, auf ihrem Privatgrund Stolpersteine verlegen zu lassen. Und die Familie Pan tat noch mehr: Sie ergänzte die Stolpersteine durch eine Gedenktafel an ihrem Haus.