„Wir wollen nicht aufklären, sondern Fragen stellen“

von Redaktion

Interview Die Regisseurin des Stücks „Neotopia“ will Zuschauer zum Austausch über Zukunftskonzepte bewegen

Rosenheim – Am heutigen Freitag feiert das Junge Theater Rosenheim Premiere mit seinem Stück „Neotopia“ (Beginn um 20.30 Uhr in den Posthöfen Rosenheim). Die Inszenierung entstand im Rahmen des Moduls „Stepping Out“ aus dem Bundes-Förderprogramm „Neustart Kultur“. Mit der Regisseurin des Stücks, Florentine Klepper, sprachen die OVB-Heimatzeitungen darüber, wie man eine grafische Diplomarbeit in ein Bühnenstück übersetzt.

Das Werk „Neotopia“ von Manuela Pfrunder besteht aus einem Atlas verbunden mit der Utopie, dass jeder eine gleiche Fläche mit gleichen Ressourcen erhält. Wie inszeniert man eine Karte auf der Bühne?

Theater entsteht nicht nur aus Dialog oder fertig geschriebenen Theaterstücken. In meinen Augen entsteht Theater und Musik aus dieser Vorlage in ganz vielfältiger Weise. Die Besucher erwartet eine Performance von Leuten, die aus ganz unterschiedlichen Professionen kommen, unterschiedliche Sprachen sprechen und sich gemeinsam Gedanken machen über Gerechtigkeit: Wie könnte man die Schöpfung fortschreiben und weiter perfektionieren? Sie nehmen ein Experiment vor und man muss sehen, was dabei rauskommt. In dieser Form ist das sehr theatral, aber es gab dafür keine vorgeschriebene Abfolge.

Bedeutet das, auf der Bühne wird improvisiert?

Während der Arbeit zum Stück haben wir viel improvisiert. Aber das, was man während der Vorstellung sieht, ist nicht improvisiert, sondern eine gemeinsam erarbeitete Fassung durch die Arbeit.

Nun denn: Wie verliefen die Proben?

Zunächst ging es an die Stückentwicklung. Ausgangslage war eine Textfassung, die ich entwickelt hatte. Wir haben uns über das komplette Jahr immer wieder getroffen. Rosalie Eberle hat die Musik dazu komponiert, Deva Schubert hat choreografische Elemente innerhalb des Workshops eingeführt. Jetzt, in der Hauptprobenphase, haben wir aus einem Mosaik eine klare Struktur herausgearbeitet – wie nach einem Baukastensystem. Das konnten wir so umsetzen, weil wir uns ein Jahr Zeit dazu nehmen konnten. Insofern war Corona gut und schlecht. Die Probenzeit dauerte so lange, weil wir lange nicht wussten, ob wir überhaupt auftreten dürfen. Jetzt dürfen wir und können es auch.

Das klingt nach einer recht harmonischen Probenzeit.

Theater ist meistens mit Auseinandersetzung verbunden. Das bedeutet aber nicht gleich Konflikt. Theater ist eine Kollektivkunst. Das heißt, dass man gemeinsam etwas entwickelt. Aber tatsächlich ist diese Produktion sehr harmonisch verlaufen. Das ist ein Glück. Ich erlebe bei freien Produktionen, dass dort Menschen zusammenfinden, die sehr motiviert sind. Bei festen Ensembles an Theatern und Opern müssen die Darsteller mitunter manchmal Aufgaben übernehmen, auf die sie nicht so große Luft haben. Aber Neotopia war tatsächlich eine Herzensproduktion.

Worum geht es in dem Stück konkret?

Wir erzählen eine Geschichte von der Möglichkeit, noch mal neu über die Welt nachzudenken. Nun lautet die Frage: Wie kann das gehen? Die Ressourcen sind schließlich begrenzt, und die geografischen Voraussetzungen sind unterschiedlich. Dennoch: Wie kann man eine Utopie denken, nach bestem Wissen und Gewissen? Gerade mit der Idee, alles auf der Welt auf einmal gerecht aufzuteilen. Das ist natürlich völlig absurd. Aber wir folgen dem Experiment von Manuela Pfrunder und schieben alle Zweifel beiseite.

An welches Publikum richten Sie sich?

Das ist ein sehr spielerischer Prozess, der vor allem für junges Publikum gedacht ist. Wie verständigt man sich in dieser neuen Welt? Es gibt tänzerische Elemente und auch Livemusik. Aber dennoch ist das Ganze ein Schauspiel, wenngleich keine klare Handlung, die ich beschreiben kann. Es ist eher eine Zustandsbeschreibung, in die man sich begibt und an der man teilnehmen kann. Genauso, als ob man einem großen Experiment zuschaut. Wir sind alle derzeit konfrontiert vom Klimawandel und wachsenden Nationalismen. Durch die anderthalb Jahre CoronaPandemie muss man sich zudem fragen: Wie wollen wir weiter machen? Wir wollen in diesem Sinn nicht aufklären, sondern Fragen stellen, die es wert sind, dass man gemeinsam über sie nachdenkt. Es wäre schön, wenn durch die Aufführung ein Reflektionsraum entsteht.

Das klingt, als habe Ihre Inszenierung auch etwas Pädagogisches.

Es ist kein Bildungsabend im eigentlichen Sinn. Wir möchten das Publikum nicht aufklären, sondern mitnehmen. Denn wir müssen uns doch fragen: Wer hat Ideen für die Zukunft? Ich habe das Bedürfnis nach einem Austausch, einem Brainstorming.

Interview: Jens Kirschner

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