Rosenheim – Bananen, Kaffee oder Kleidung: Verbraucher legen immer mehr Wert auf fair produzierte Waren. Das merken auch die Mitarbeiter im Weltladen. Ein Gespräch mit Vorstandsmitglied Anna Schröcker über das Einkaufsverhalten der Rosenheimer, das Lieferkettengesetz und warum die Kunden immer kritischer werden.
Wofür steht der Weltladen?
Seit unserer Entstehung vor 35 Jahren haben wir die Vision einer gerechten und nachhaltigen Welt. Ein wichtiges Ziel besteht darin, die Lebens- und Arbeitsbedingungen für Menschen in Ländern des Südens zu verbessern. Denn noch immer produzieren Millionen von Menschen als Kleinbauern und Arbeitern in den Textilfabriken Waren unseres täglichen Bedarfs – vielfach unter menschenunwürdigen Bedingungen. Im Weltladen verkaufen wir nicht nur fair gehandelte Produkte, wir leisten auch Informations- und Bildungsarbeit und beteiligen uns an politischen Kampagnen. Wir legen zudem großen Wert auf Nachhaltigkeit, zum Beispiel auch bei der Verpackung unserer Lebensmittel. Es wird möglichst auf Plastik verzichtet, bei Schokolade auf Alufolie.
Worauf achten Sie bei der Auswahl der Produkte?
Wir führen eine große Auswahl an Lebensmitteln, Handwerksprodukten, Accessoires, Mode und Büchern. Bei der Auswahl achten wir auf Lieferanten, die die Fair-Handelskriterien gemäß der Konvention der Weltläden erfüllen. Dies wird regelmäßig überprüft. Außerdem unterstützen wir kleinere Projekte, zu denen wir persönlichen Kontakt haben.
Was hat es mit dem Lieferkettengesetz auf sich?
Wir haben seit Juni in Deutschland ein Lieferkettengesetz, das auch dem jahrelangen Engagement Fair-Handels-Aktiver zu verdanken ist. Erstmalig nimmt ein Gesetz Unternehmen zu Menschenrechten und Umwelt in den Lieferketten in die Pflicht. Leider arbeiten sonst viele Unternehmen so profitorientiert, dass sie Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden billigend in Kauf nehmen. Durch das Gesetz müssen sie endlich dafür haften und haben keinen Wettbewerbsvorteil mehr. Unsere Forderungen gehen über das beschlossene Lieferkettengesetz hinaus, da es nur für sehr große Betriebe gilt. Auch eine europäische Gesetzgebung wäre erstrebenswert. Wir sind also noch nicht am Ziel, aber endlich am Start.
Wie wichtig ist es, dass sich Menschen Gedanken darüber machen, wo die Ware herkommt?
Sehr wichtig. Ein gutes Beispiel dafür ist die Schokolade. Erfreulicherweise hat der Umsatz an fair gehandelter Schokolade 2020 zugenommen, es gab deutschlandweit ein Umsatzplus von 32 Prozent. Im konventionellen Kakaosektor ist leider ausbeuterische, gesundheitsschädliche und gefährliche Kinderarbeit auf westafrikanischen Kakaofarmen nach wie vor traurige Realität.
Wie sieht es mit Kaffee aus?
Kaffee ist mit einem Anteil von 30 Prozent am Gesamtumsatz des fairen Handels der Spitzenreiter der fairen Produkte. Lockdown und Homeoffice während der Corona-Pandemie führten 2020 zu einem Anstieg des heimischen Kaffeekonsums. Der Umsatz im fairen Handel ist im Vergleich zum Vorjahr um 4,6 Prozent gestiegen. Dennoch beträgt der Marktanteil von fair gehandeltem Kaffee nur sechs Prozent, da ist also noch viel Luft nach oben. Wir denken, dass dabei der Preis eine Rolle spielt. Der „Mehr-Wert“ muss einem was wert sein.
Seit der Pandemie hat sich der Umsatz des Weltladens sogar erhöht.
Unser guter Umsatz ist in erster Linie dem neuen Laden zu verdanken. In den Räumen in der Innstraße haben wir mehr Möglichkeiten, unsere Waren zu präsentieren und haben auch neue Kunden hinzugewinnen können. Bedingt durch den Lockdown haben sich viele Menschen mehr zu Hause aufgehalten, selbst gekocht und sich mit Lebensmitteln versorgt und wollten vielleicht auch nicht in einem großen Supermarkt einkaufen. Das hat sicher eine Rolle gespielt.
Wie sehr hat die Pandemie den Weg zu gerechten globalen Handelsstrukturen erschwert?
Das faire Kunsthandwerk ist besonders stark von den Auswirkungen der Pandemie betroffen. Viele Produzenten im globalen Süden durften wegen Ausgangssperren nicht in ihren Werkstätten arbeiten, haben kein Material erhalten oder konnten fertig produzierte Waren nicht exportieren. Dadurch kommt es zu Lieferengpässen. Auf der anderen Seite wurden bei uns durch Ladenschließungen oder reduzierte Öffnungszeiten teilweise weniger verkauft. Wir haben uns, soweit möglich, solidarisch gezeigt mit Vorfinanzierungen und der Aktion #fairwerts-steuer.
Wie hat sich Ihre Arbeit über die Jahre verändert?
Sie ist anspruchsvoller geworden. Die Kunden sind teilweise gut informiert und zunehmend kritisch. Sie wünschen Informationen über das Herkunftsland und die Entlohnung der dortigen Arbeiter. Auch vegane Produkte werden immer mehr nachgefragt. Faire Kleidung spielt zunehmend eine Rolle. Und es wird immer schwieriger, ehrenamtliche Mitarbeiter zu finden.
Was muss sich in Rosenheim verändern, um noch „fairer“ zu werden?
Wir denken, Rosenheim ist auf einem guten Weg. Seit der Ernennung zur fairen Stadt hat sich schon einiges getan. Das Bewusstsein für faire Handelsstrukturen, für kritischen Konsum und für mehr Nachhaltigkeit ist aber sicher noch ausbaufähig. Interview: Anna Heise