„Jeder Unfall ist einer zu viel“

von Redaktion

ADFC fordert Verwaltung nach erneutem Lkw-Abbiegeunfall zum Handeln auf

Rosenheim – Immer wieder kommt es vor, dass Lastwagenfahrer beim Rechtsabbiegen Radfahrer oder Fußgänger übersehen – mit teils schlimmen Folgen. Doch lassen sich Abbiegeunfälle verhindern? Und wie schätzen Fahrlehrer und der ADFC die Situation in der Stadt ein?

Es war ein Unfall, der die Menschen in Rosenheim lange bewegt hat: Ein Lkw-Fahrer hatte im April 2018 beim Rechtsabbiegen eine Radfahrerin übersehen. Die 45-Jährige wurde überrollt und starb noch an der Unfallstelle. Seitdem erinnert ein weiß gestrichenes Fahrrad an der Kreuzung Westerndorfer Straße/Schlösslstraße an die tödlich verunglückte Frau. Erst kürzlich – am 3. November – wurde eine zehnjährige Radfahrerin an der Kreuzung Innsbrucker-/Chiemseestraße schwer verletzt. Auch in diesem Fall hatte der Lkw-Fahrer das Mädchen beim Abbiegen übersehen.

Online-Petition
läuft bereits

Die Unfälle in Rosenheim sind nur zwei von zahlreichen Unglücken, die in all den Jahren passiert sind. Allein in den vergangenen zwölf Monaten hat es in der Stadt 44 Unfälle mit Schwerlastverkehr gegeben – drei davon mit tödlichem Ausgang. „Jeder Unfall ist einer zu viel. Wir müssen endlich handeln. Das hat der letzte schwere Unfall gezeigt“, sagt Mario Stürzl, Vorsitzender des Kreisverbands Rosenheim des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC).

Gleiches fordert die Online-Petition „Leben retten: Abbiegeunfälle in Rosenheim verhindern“, unter die bereits 580 Menschen ihre Unterschrift gesetzt haben. „Abbiegeassistenten hätten schon viele Leben von Radfahrern retten können, sind aber noch immer nicht verpflichtend“, heißt es in dem Forderungsschreiben an Oberbürgermeister Andreas März. Zwar könnten Kommunen – anders als in Österreich – keine Fahrverbote für Lkw ohne Abbiegeassistent erlassen, Handlungsspielraum hätten sie trotzdem. „Dazu gehört die Ausstattung eigener Lkw mit Abbiegeassistenten, entsprechende Auflagen bei Auftragsvergaben und die Entschärfung von gefährlichen Abbiegesituationen durch Änderung von Ampelschaltungen und bauliche Veränderungen an Kreuzungen“, heißt es auf der Petitionsplattform von „Campact“.

Zumindest einen Teil der Forderungen hat die Stadt bereits vor einigen Jahren umgesetzt. So hatte Rosenheim 2016 beschlossen, bei Neuanschaffungen von Lastwagen für den Baubetriebshof ausschließlich Fahrzeuge mit Abbiegeassistent zu kaufen. Zudem hat die Verwaltung den Gehweg im Kurvenbereich von der Westerndorfer Straße zur Schlösslstraße nach dem tragischen Unfall im Jahr 2018, wie berichtet, mit einem sogenannten Hochbord versehen – einer besonderen Form des Bordsteins, der Straße und Gehweg deutlich voneinander trennt. Außerdem wurde der Aufstellbereich für Fußgänger provisorisch vergrößert.

An zehn Stellen in der Stadt hat die Verwaltung in den vergangenen Jahren zudem Trixi-Spiegel angebracht, um den gefährlichen toten Winkel für Lkw und Busse zu entschärfen – und damit für mehr Sicherheit für Radfahrer und Fußgänger zu sorgen.

Gute Maßnahmen, die laut Mario Stürzl aber noch lange nicht ausreichen. Seiner Meinung nach braucht es nicht nur eine getrennte Ampelschaltung, sondern auch bauliche Maßnahmen. Vorstellbar sei beispielsweise ein Aufstellbereich, der es Radfahrern ermöglicht, vor Autos und Lkw zu halten. „Dadurch sind die Radler im Sichtfeld und können nicht so leicht übersehen werden“, sagt Stürzl. Auch brauche es eine bessere Aufklärung, unter anderem auch an Schulen.

Udo Heißenberg, Leiter der gleichnamigen Rosenheimer Fahrschule für Autos und Lkw, appelliert zudem an eine gegenseitige Rücksichtnahme. „Wer noch nie in einem Lkw gefahren ist, kennt natürlich die Perspektive nicht“, sagt Heißenberg, der bereits seit mehr als 30 Jahren Fahrschüler ausbildet. Besonders an Stellen, an denen viele Fußgänger unterwegs sind, schärft er seinen Schützlingen immer wieder ein, „höllisch aufzupassen“. Denn trotz sechs Spiegeln am Fahrzeug gebe es weiterhin einen toten Winkel.

Davor warnt auch Mario Stürzl. So sollten Radfahrer im Zweifel immer davon ausgehen, dass der Lastwagenfahrer einen nicht sieht. „Im Notfall lieber dem Lkw-Fahrer die Vorfahrt geben.“

Durchfahrtsverbot
im Stadtgebiet?

Und noch eine Lösung scheint in Sicht. So hatte die CSU bereits in der Vergangenheit die Durchsetzung eines Lkw-Durchfahrtsverbots für Fahrzeuge ab zulässigem Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen für das Stadtgebiet nach Fertigstellung der Westtangente gefordert. 2025 könnte es soweit sein.

Mehr Infos

Laut ADAC sterben in Deutschland jährlich etwa 70 Radfahrer bei Kollisionen mit einem Lkw, 665 werden schwer verletzt. Abhilfe sollen Abbiegeassistenten schaffen. Dabei überwachen Sensoren den Bereich vor und neben dem Lastwagen und warnen den Fahrer, wenn sich dort ein Fußgänger oder Radfahrer befindet. Ist dies der Fall, fährt der Laster erst gar nicht an oder leitet eine Bremsung ein. Ab 2022 sollen die Assistenten EU-weit verpflichtend für alle neuen Fahrzeuge eingeführt werden.

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