Rosenheim – Seit fast zwei Jahren ist Oberbürgermeister Andreas März (CSU) im Amt. Ein Amt, das vor allem durch die Pandemie geprägt war. Zum Abschluss des Jahres spricht er über schwierige Entscheidungen, Themen, die 2022 auf die Stadt zukommen und warum er sich wünschen würde, dass mehr Zuschauer zu den Sitzungen kommen.
Wie würden Sie das vergangene Jahr zusammenfassen?
Ein Wechselbad der Gefühle.
Warum?
Kurz vor Weihnachten 2020 sind wir in den harten Lockdown gegangen und haben das über mehrere Monate durchgezogen. Mit „Rosenheim blüht auf“ und dem „Sommer in Rosenheim“ ist dann das Leben in die Stadt zurückgekehrt. Das hätte man so Anfang des Jahres nicht für möglich gehalten. Die Leute waren wieder gut aufgelegt. Die ersten dunklen Wolken waren dann die Reiserückkehrer Anfang September. Und dann sind wir mitten reingerauscht in die Kliniküberlastung im November. Das war wieder ein katastrophaler Zustand mit einer Inzidenz von teilweise über 1000. Und jetzt wissen wir nicht so genau, was uns im kommenden Jahr erwartet.
Der Stadtrat hat sich erst kürzlich für eine Impfpflicht ausgesprochen. Ist das auch in Ihren Augen der einzige Weg aus der Pandemie?
In meinen Augen gibt es zwei Wege aus der Pandemie. Entweder wir schaffen es tatsächlich, noch viele Menschen davon zu überzeugen, sich impfen zu lassen. Oder wir machen noch vier bis sechs Jahre einfach so weiter.
Wie wollen Sie die Rosenheimer davon überzeugen, sich impfen zu lassen?
Wir hatten über 60 Sonderimpftage, unter anderem an Schulen – alle mit mäßigem Erfolg. Deutlich effektiver läuft es im Impfzentrum.
Aber wer bis jetzt noch nicht ins Impfzentrum gegangen ist, wird das wahrscheinlich auch nicht mehr tun. Wie will die Stadt skeptische und ängstliche Menschen doch noch zu einer Impfung bewegen?
Natürlich werden wir weiterhin versuchen, sogenannte niederschwellige Impfangebote zu machen, wie beispielsweise im großen Sitzungssaal des Rathauses. Niederschwellig ist auch, dass man sich im Impfzentrum jetzt wieder ohne Termin impfen lassen kann.
Aber glauben Sie wirklich, dass der große Rathaussaal der richtige Ort zum Impfen ist?
Wir hatten ja auch Impfbusse. Und jetzt kommen die Apotheken dazu. Das ist, glaube ich, auch sehr niederschwellig. Ich hoffe, dass diejenigen, die einfach nur Angst haben oder Bedenken, langsam aber sicher erkennen, dass die Impfung nicht so schlimm ist wie sie vielleicht vermuten. Die, die sich weigern, werden wir mit keiner Kampagne erreichen. Da bleibt dann nur die Impfpflicht. Anders kommen wir aus dieser Endlos-Schaukel aus Lockdown und Wiedereröffnung wohl nicht heraus.
Als Oberbürgermeister müssen Sie immer wieder unangenehme Entscheidungen treffen – beispielsweise die Absage des Christkindlmarktes.
Die Entscheidung war für mich zum damaligen Zeitpunkt die richtige. Wir können nicht draußen den Christkindlmarkt feiern und weitere Ansteckungen riskieren, während das Personal im Klinikum längst an der Kapazitätsgrenze um Leben und Tod der Patienten kämpft. Es war und ist einfach nicht die Zeit, zu feiern und sich in Gruppen zusammenzusetzen. Ich denke, viele Leute hatten für diese Entscheidung Verständnis. Das haben auch die Zuschriften gezeigt, die ich bekommen habe. Aber natürlich gab es auch kritische Stimmen.
Sind Sie schon an Ihre Grenzen gekommen?
Wenn Sie meine physischen und psychischen Belastbarkeit meinen, dann nicht. Aber an die Grenzen meiner Verantwortung bin ich schon gekommen. Ich musste viele Entscheidungen treffen, die eigentlich keine echten Entscheidungen mehr waren und für die ich nichts konnte. Beispielsweise die ganzen Allgemeinverfügungen.
Nervt das nicht?
Ich kenne es ja nicht anders. Ich habe noch kein Dienstjahr ohne Pandemie gehabt. Ich habe keinen Vergleich, wie es sonst ist. Die großen Festivitäten fehlen mir natürlich genauso wie allen anderen. Seitdem ich im Amt bin, gab es noch keinen Christkindlmarkt, es gab keinen Neujahrsempfang oder ein Herbstfest. Ich glaube, uns allen fehlen solche Anlässe, bei denen die Menschen einfach wieder fröhlich zusammenkommen und den ganzen Corona-Mist hinter sich lassen können.
Sie haben die vergangenen zwei Jahre auch genutzt, um die internen Abläufe in der Verwaltung bis ins kleinste Detail zu verstehen.
Es ist mein Anspruch, dass ich das, was beschlossen wird, so verstehe, dass ich es selber erklären kann. Wenn es notwendig ist, lasse ich mir Dinge auch dreimal erklären. Denn manches ist einfach sehr kompliziert und komplex.
Welche Aufgaben liegen vor Rosenheim?
Wir dürfen gerade angesichts der Pandemie nicht nachlassen, Rosenheim voranzubringen. Das gilt beispielsweise für die Digitalisierung an den Schulen und in der Verwaltung. Wir brauchen außerdem zwingend ein Verkehrskonzept für Rosenheim. Eine dritte große Herausforderung ist die Entwicklung auf unseren Gewerbeflächen und die Entwicklung von Gewerbeflächen im Allgemeinen. Wir haben viele Flächen, die als Gewerbeflächen festgelegt sind, aber da passiert zu wenig oder nichts. Da müssen wir uns Gedanken machen, wie wir das ändern können.
Wie würden Sie die Zusammenarbeit im Stadtrat bewerten?
Die Stimmung im Stadtrat ist sehr gut und konstruktiv. Es ist gelungen, und das ist wahrscheinlich auch dieser schweren Zeit geschuldet, dass Stadträte miteinander sprechen, die vielleicht vorher nicht viel oder gar nicht miteinander gesprochen haben. Meine Wahrnehmung ist, dass bei vielen Themen Parteipolitik keine Rolle spielt. Lediglich beim Verkehr und der Umwelt würde ich sagen, dass die Parteizugehörigkeit deutlich sichtbar wird.
Ist das ein Problem?
Ich glaube, dass wir auch weiterhin daran arbeiten müssen, parteipolitische Gräben möglichst gar nicht entstehen zu lassen. Unser Stadtrat zeichnet sich durch einen beispielhaften Grundkonsens in zentralen Fragen unserer Kommunalpolitik aus. Das ist ein wertvolles Gut, das wir bewahren müssen. Viele andere Städte beneiden uns darum.
Ein Thema, das nach wie vor polarisiert, ist der Radentscheid.
Was der Radentscheid bewirkt hat, ist, dass wir uns intensiv Gedanken machen, wie der Radverkehr besser, sicherer und noch vernetzter gestaltet werden kann. Das bedeutet aber nicht, dass alles, was von der Fahrradlobby gefordert wird, so umsetzbar ist. Aber wir sind auf einem ganz guten Weg, was das Thema Radverkehr betrifft. Das sehen wir ja jetzt an den Großbaustellen, die wir haben – vor allem am Brückenberg und der Hubertusstraße. Wir haben zudem Abstellmöglichkeiten geschaffen und ein Fahrradparkhaus gebaut. Da passiert wirklich viel.
Das Thema Verkehr beschäftigt auch Bürger, die bei Ihnen im Rathaus anrufen und mit denen Sie persönlich sprechen.
Das stimmt. Außerdem geht es oft ums Bauen und die Sauberkeit. Und natürlich das Thema Impfen, Maskenpflicht an Schulen und Lüftungsgeräte. Mein Anspruch ist es, dass jeder, der eine Frage stellt, zeitnah eine Antwort erhält. Auch wenn das nicht immer die Antwort ist, die man hören mag.
Stört Sie eigentlich, dass bei den Ausschüssen und Stadträten so gut wie nie Zuschauer da sind? Ganz unabhängig von der Pandemie.
Ich finde es schade, dass die Situation so ist, wie sie ist. Wir haben das Jugendprojekt „Bestimmt“ beim Stadtjugendring gehabt. Da haben sich die Jugendlichen beispielsweise darüber beschwert, dass sie sich nicht beteiligen können. Der erste Schritt ist es, an einer Sitzung teilzunehmen. Aber das passiert nicht. Ich habe auch keine zündende Idee, wie man das lösen könnte. Vielleicht sollte man die Schulen anschreiben und sie einladen.
Markus Söder versucht es über TikTok.
Meine Kinder sind auf der Plattform auch immer mal wieder aktiv. Ich bin dort nicht. Aber ich bin schon einmal froh, dass die Stadt in den sozialen Medien deutlich präsenter ist als noch vor einem Jahr. Auch da können wir allerdings noch besser werden.
Was kommt in den kommenden Monaten auf die Bürger zu?
Für die Rosenheimer bleibt wohl zumindest Anfang des Jahres, sich weiterhin in Geduld zu üben, den Mut nicht zu verlieren und zuversichtlich zu bleiben. Die Infrastruktur ist da, die Ausrüstung in den Kliniken ist da. Das Personal ist aber gerade auf den Intensivstationen am Anschlag. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Situation im Sommer und mit einer Impfpflicht deutlich entspannen wird. Vielleicht müssen wir im Spätsommer oder Herbst früher vorsichtig sein. Das wird wahrscheinlich das sein, was wir aus dem Verlauf dieses Jahres gelernt haben.
Interview: Anna Heise