Rosenheim – Wie findet die Gesellschaft wieder zueinander? Spätestens seit dem Angriff auf einen Juso bei einem „Spaziergang“ von Kritikern der Corona-Maßnahmen (wir berichteten) scheinen die Fronten zwischen Befürwortern und Kritikern in Rosenheim verhärtet. Die gemeinnützige Stiftungsgesellschaft „neon“, die sich für Prävention und Suchthilfe engagiert, will dem gemeinsam mit der Stadtbibliothek etwas entgegensetzen: Einen Workshop zum Thema „Fake News“. Der soll nicht nur aufklären, sondern auch eine Einladung zum Dialog sein.
„Fit for Democracy“ Motto des Aktionstags
Anlass des Workshops ist der „Safe Internet Day“ am morgigen Dienstag, 8. Februar. Weltweit machen Organisationen dabei auf Sicherheit im Netz aufmerksam, in diesem Jahr unter dem Motto: „Fit for Democracy“. „Bei uns in Rosenheim soll es vor allem um die Fragen gehen: Wie bilde ich mir eine Meinung? Wie gehe ich mit anderen um, die eine andere Meinung haben?“, sagt Benjamin Grünbichler. Er ist Geschäftsführer von „neon“ und wird den Workshop moderieren. Er hat eine ähnliche Veranstaltung schon mehrmals geleitet. Fake News und Pauschalisieren sind laut ihm kein neues Phänomen – „aber seit der sogenannten Flüchtlingskrise ist es in der breiten Gesellschaft angekommen.“
Mit dem Workshop am Dienstag will er Menschen helfen, sich bestimmter psychologischer Verzerrungen bewusst zu werden: Der Neigung, vor allem die Infos auszusaugen, die die fest gefasste Meinung bestätigen. Zu verstehen, wenn Menschen bestimmte Rollen spielen. Oder auch ein bisschen Unsicherheit zuzulassen: „Nicht alles ist wie bei einer Verschwörungstheorie miteinander verknüpft“, sagt Grünbichler.
Man müsse nicht immer „die Wahrheit“ kennen. Menschen hätten ein starkes Bedürfnis, Sachverhalte zu vereinfachen. „Wir verurteilen oft das Verhalten von Einzelnen, hauen dann aber alle in einen Topf. So einfach ist es nicht. Es sind nicht nur wir gut und die anderen böse. Wer pauschalisiert, ist auf dem Holzweg.“
Organisiert hat Grünbichler den Workshop mit der Stadtbibliothek. Bettina Sölch, die die Zusammenarbeit von Schulen mit der Stadtbibliothek koordiniert, hat dafür eine Literaturliste bereitgestellt. Die Bücher klären über Verschwörungstheorien auf: Bis wohin stimmen die Fakten, ab wann fängt die reine Spekulation an? Einige Mitarbeiter wollen auch selbst am Workshop teilnehmen – schließlich solle die Stadtbibliothek selbst ein Ort der Meinungsbildung sein, sagt Sölch.
„Denn der Workshop hat ein sehr wichtiges aktuelles Thema.“ Oft sei in den Schulen zu wenig Zeit, um über Meinungsbildung, Fake News und Verschwörungstheorien zu sprechen. Auch für die Zukunft könne sich Sölch vorstellen, diese Themen aufzugreifen. „Wir hoffen, dass wir Eltern und Jugendliche mit dem Workshop sensibilisieren können. Dass sie sich nicht auf den ersten Artikel einschießen, sondern verschiedene Meinungen hören.“ Insgesamt gibt es am Dienstag vier Kapitel. Im ersten will Grünblicher den Fokus auf eine „Welt voller Einflüsse“ legen: Alle Menschen bewegten sich in einer Art Filterblase, es gebe keinen neutralen Boden. Danach soll es darum gehen, was Fake News eigentlich sind und was sie von einseitiger Darstellung, wie zum Beispiel Werbung, unterscheidet. Im dritten Kapitel thematisiert Grünblicher das Phänomen Verschwörungstheorien: Was ist der Unterschied zwischen echten Verschwörungen und reinen Theorien? Wie gefährlich sind Verschwörungstheorien?
Im letzten Schritt soll es dann um die persönliche Meinung gehen: Grünbichler gibt Tipps, wie diese möglichst objektiv gerät und wie man Gespräche führt, wenn die Fronten verhärtet sind. Immer wieder sollen die Teilnehmer interaktiv mitraten oder diskutieren. Zusätzlich gibt es auf der Website von „neon“ ein eigenes Portal zum Umgang mit Fake News unter www.neon-rosenheim. de/fake-news.
Menschen nicht pauschal abstempeln
Eines ist Grünblicher besonders wichtig: den Dialog zu fördern. „Ziel ist, die Menschen nicht pauschal abzustempeln. Es gibt rote Linien, wenn Menschen den Boden der Verfassung verlassen, aber was machen wir mit allen anderen, die anderer Meinung sind?“
Beleidigungen seien zwar eine kurzfristige Befriedigung des Egos, sorgten aber eher für Radikalisierung anstatt Überzeugung. Besser sei, manchmal die eigene Position zu verlassen und sich darauf einzulassen, dass das Gegenüber anders sozialisiert ist. „Es braucht ein bisschen die Verunsicherung, dass man nicht die reine Wahrheit hat und alles hinterfragen sollte. Und die Kommunikation muss gewaltfrei sein. Wir kommen als Gesellschaft aus der aktuellen Situation nur mit Respekt raus.“