Rosenheim – Stille, Angst, Wut, Trauer und Ratlosigkeit prägten den Abendgottesdienst am Donnerstag in der barocken Rundkirche von Westerndorf am Wasen. Stunden zuvor waren russische Truppen in die Ukraine einmarschiert. Die Messe, die jeden Donnerstag dort stattfindet, wurde kurzerhand zu einem Friedensgottesdienst.
Domkapitular Dekan Pfarrer Daniel Reichel versuchte Worte dafür zu finden, dass man heute in Europa den Beginn eines Krieges mitansehen musste, wie es ihn seit 75 Jahren nicht mehr gegeben hat. Im rund 850 Kilometer Luftlinie von der ukrainischen Grenze entfernten Rosenheim zeigte sich der Geistliche solidarisch mit den Menschen in dem osteuropäischen Land.
„Wir wollen gemeinsam um Frieden in der Ukraine und in der ganzen Welt beten“, sagte er vor den Gläubigen. Zum ersten Mal nach langer Zeit habe sich jetzt gezeigt, wie kostbar und zerbrechlich dieser Zustand doch eigentlich sei. Spontan gab er den Gottesdienstbesuchern die Möglichkeit, während einer Aussetzung des Allerheiligsten um Versöhnung zu bitten. Ein ungewöhnlich langer Moment der Stille bot den Menschen in St. Johann Baptist und Heilig Kreuz zudem ausreichend Zeit, die Gedanken zu sammeln und vielleicht die Bilder zu verarbeiten, die an diesem Tag im Fernsehen um die Welt gingen.
Ein Friedensgebet, vervielfältigt auf weißem Papier, liegt an der Kirchentür bereit zum Mitnehmen und lädt zum Beten ein, in der Kirche oder zu Hause, alleine oder mit der Familie. Eine Kerze symbolisiert als Friedenslicht die Verbundenheit mit den Menschen in der Ukraine. Ab sofort möchte der Pfarrer der Stadtteilkirche Am Wasen am Ende jeder Messe den eucharistischen Segen spenden.
Ein Zeichen setzten an diesem Abend mit ihrer Gottesdienstteilnahme Robert Bucher, der Vorstand vom Krieger- und Reservistenverein Pang, der sich wie der Bruderverein in Fürstätt für die Versöhnung der Völker und die Bewahrung des Friedens einsetzt, sowie Buchers Amtsvorgänger, Stadtrat Georg Kaffl. Zusammen mit Dekan Reichel versammelten sie sich nach der Messe an der Krieger-Gedenktafel, um sich kurz auszutauschen.
Dabei zeigten sie sich fassungslos ob der kriegerischen Handlungen seitens Russlands. „Leider hat die Diplomatie in diesem Fall versagt“, sagte Kaffl. „Wir können jetzt alle nur hoffen, dass es nicht zu einer noch größeren Auseinandersetzung kommt.“ Bucher betonte, dass sich gezeigt habe, dass es dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Ukraine nicht nur um die Anerkennung der beiden Separatisten-Gebiete gehe, „sondern um mehr“. Bucher: „Ich habe heute spontan den Gottesdienst besucht, weil es mir ein besonderes Anliegen war.“
Gymnasiast Jacob Buys, der regelmäßig den Gottesdienst besucht und zudem als Ordner für die Einhaltung der Corona-Regeln zuständig war, zeigte sich erschrocken darüber, „wie labil Europa ist, vor allem im Osten“. Er appellierte an die Europäische Union, „dass es allerhöchste Zeit ist, geschlossen und mit gemeinsamen Zielen aufzutreten“. Auch die Lektorin und Pfarrsekretärin Michaela Gietl schloss die ukrainische Bevölkerung in ihre Gebete ein. „Leider geht dieser Krieg ausschließlich auf Kosten der Menschen in der Ukraine, so Gietl, die befürchtet: „Die Menschlichkeit bleibt völlig auf der Strecke. Martin Aerzbäck