Rosenheim – Deutliche Worte statt feierliche Verlegung: In Rosenheim hätten Anfang der Woche die ersten Stolpersteine auf öffentlichem Grund verlegt werden sollen. Nachdem sich die Stadträte gegen die Erinnerungstafeln ausgesprochen hatten, musste umgeplant werden. Zu Besuch bei der ersten Nicht-Verlegung.
Termin steht bereits seit sechs Monaten
Etwas verloren steht Künstler Gunter Demnig im Foyer der Mädchenrealschule. Den Hut hat er tief ins Gesicht gezogen, die Ärmel seines Hemdes sind hochgekrempelt. In der linken Hand hält er den Stolperstein für Elisabeth Block, die die Schule bis 1938 besucht hatte, bevor sie mit ihrer jüdischen Familie nach Polen deportiert und ermordet wurde. Schon vor einem halben Jahr hatte die Initiative „Erinnerungskultur – Stolpersteine für Rosenheim“ um den Kinder- und Jugendarzt Thomas Nowotny einen Termin mit dem Künstler vereinbart, um insgesamt sechs Stolpersteine zu verlegen – einen für Elisabeth Block, fünf für die Mitglieder der Familie Kohn. „Damals war noch nicht absehbar, wie sich der Stadtrat entscheiden wird“, sagt Nowotny.
Mittlerweile steht die Entscheidung fest: Statt Stolpersteinen will man in Rosenheim lieber auf Stelen oder Tafeln an der Hauswand setzen. Weil die Steine zu diesem Zeitpunkt aber bereits angefertigt waren, hat die Initiative umgeplant. Und kurzfristig zur Nicht-Verlegung eingeladen. Erst in der Mädchenrealschule, 40 Minuten später am Ludwigsplatz vor der Nummer 9.
„Diese Nicht-Verlegung macht uns nicht verlegen. Verlegen sollten die sein, die die Angehörigen nicht angehört haben“, sagt Nowotny zu Beginn der Veranstaltung im Foyer der Mädchenrealschule. Um ihn herum befinden sich Lehrer, Schüler, Mitglieder der Initiative und einige Bürger. In der Mitte steht Künstler Gunter Demnig, der den Stein an Annette Dippold überreicht, Unesco-Beauftragte der Städtischen Mädchenrealschule und neue Patin des Stolpersteins. Demnig lehnt sich vor, flüstert Dippold etwas ins Ohr. Weil sie es beim ersten Mal nicht versteht, spricht er lauter: „Vielleicht klappt es irgendwann doch noch.“
Bis es soweit ist – doch davon ist zumindest im Moment nicht auszugehen – wird der Stein in einer Vitrine in der Mädchenrealschule ausgestellt. „Es ist wichtig, dass erinnert wird. Wie, ist eher zweitrangig“, sagt Schulleiterin Magdalena Singer. Es ist eine Botschaft, die an diesem Tag auch Thomas Nowotny des Öfteren sagt. Und doch sitzt die Enttäuschung über die Entscheidung der Stadträte tief. Das unterstreicht ein Offener Brief der Initiative, adressiert an Oberbürgermeister Andreas März (CSU). „Dass die CSU gemeinsam mit der AfD den Wunsch der Angehörigen nach Stolpersteinen im öffentlichen Raum ablehnte, macht uns fassungslos“, heißt es in dem Schreiben. Die Initiative werde ihren Standpunkt auch weiterhin „laut und deutlich vertreten“ und erwarte sich von Oberbürgermeister März „ein offenes Ohr für Angehörige von NS-verfolgten Rosenheimern“. Ziel müsse sein, die Angehörigen künftig in die Entscheidung, wie an ihre Familien erinnert werden soll, miteinzubeziehen. „Wir sehen es als unseren Erfolg an, dass nun endlich das öffentliche individualisierte Gedenken in Rosenheim beginnt“, schreibt Nowotny. Neben den von der Stadt geplanten Stelen und Wandtafeln werde man sich auch weiterhin für die Verlegung von Stolpersteinen auf Privatgrund einsetzen.
Schüler übernehmen Patenschaft
Vorerst keine Stolpersteine wird es auch vor dem Haus am Ludwigsplatz 9 geben. Dort, wo viele Jahre die jüdische Familie Kohn gelebt hat. Vorsichtig platziert Künstler Demnig die Stolpersteine auf dem Pflaster. Er kniet auf dem Boden, um ihn herum haben sich die Schüler des Schulradioprojekts „Simsseewelle“ Stephanskirchen und deren Lehrerin Michaela Hoff versammelt, die für einen Teil der Steine die Patenschaft übernommen haben. Vorsichtig überreicht Demnig sie an die Schüler. „Die Stolpersteine werden vorerst Asyl im Schaufenster des Blumengeschäfts ‚Flower Power‘ finden“, sagt Nowotny. Er selbst sei zuversichtlich, dass die Steine irgendwann doch noch ihren rechtmäßigen Platz finden – sei es vor der Mädchenrealschule oder am Ludwigsplatz 9. Den Weg dorthin kennt Künstler Gunter Demnig jetzt jedenfalls schon.