Rosenheim – Weg vom Steuer und rein in den Bus: Geht es nach den Grünen und ÖDP-Stadtrat Horst Halser, sollen Senioren, die ihren Führerschein freiwillig abgeben, künftig eine Jahreskarte für den ÖPNV bekommen. Dass der Vorschlag funktionieren kann, zeigt ein Blick in andere Städte. Doch es gibt einen Haken.
Alle zwei Jahre ein
Fahrtüchtigkeitstest
Theo Auer (77) würde seinen Führerschein sofort abgeben, wenn er sich hinter dem Steuer nicht mehr sicher fühlt. „Ich habe eine Verantwortung für meine Mitmenschen“, sagt er. Und die nimmt der 77-Jährige, der auch Mitglied im Rosenheimer Seniorenbeirat ist, ernst. Alle zwei Jahre macht Auer einen Fahrtüchtigkeitstest beim ADAC in Landshut, bei dem neben dem Seh- und Hörvermögen auch die Reaktionsfähigkeit getestet wird. Bis jetzt seien seine Ergebnisse immer positiv gewesen. „Wäre das nicht so, würde ich den Führerschein sofort freiwillig abgeben“, sagt er. Er habe das große Glück, dass sowohl seine Frau als auch seine Söhne einen Führerschein hätten und ihn gegebenenfalls von A nach B fahren könnten. Aber ein Führerschein habe in seinen Augen auch etwas mit Freiheit zu tun und der Möglichkeit, unabhängig durchs Leben zu gehen. „Das muss jeder für sich persönlich abwägen“, sagt Auer.
Erster Bericht
nach einem Jahr
Um genau diese Entscheidung einfacher zu machen, haben Grüne und ÖDP-Stadtrat Horst Halser beantragt, Senioren, die bereit sind, ihren Führerschein alters- oder gesundheitsbedingt zurückzugeben, für ein Jahr einen kostenlosen ÖPNV-Fahrschein anzubieten. Nach einem Jahr soll dem Stadtrat ein Bericht vorgelegt werden, der neben der Anzahl der ausgegebenen Fahrscheine, auch die Erfahrungen der Nutzer des kostenlosen ÖPNV beinhalten soll. Dieser Bericht soll dann Grundlage für die Fortführung beziehungsweise Anpassung der Führerschein-Rückgabeaktion sein. „Damit bietet die Stadt Rosenheim Senioren einen Anreiz zum Verzicht an der Teilnahme im Straßenverkehr, ohne dass es zu einer Einbuße an Lebensqualität und Mobilität führen muss“, teilen Grüne und ÖDP in dem Antrag mit.
Dass dieses Modell durchaus funktionieren kann, zeigt ein Blick in andere bayerische Städte. So gibt es die Tauschaktion in Augsburg bereits seit vier Jahren. Die Kosten für die Abos teilen sich Stadtwerke und Kommune. In Landshut und der angrenzenden Gemeinde Kumhausen läuft das Modell unter dem Namen „Führerschein-Abo 70 plus“ bereits seit 2016. „Senioren, die 70 Jahre und älter sind, ihren Führerschein freiwillig zurückgeben und den dauerhaften Verzicht erklären, erhalten im Gegenzug in Landshut eine ÖPNV-Jahreskarte und in Kumhausen eine Halbjahreskarte“, sagt Susanne Franck, Pressesprecherin der Stadtwerke Landshut. Die Kosten für das Zeitticket übernimmt die Stadt beziehungsweise Gemeinde. In den vergangenen zwei Jahren sei die Rückgabe der Führerscheine zurückgegangen. „In der Stadt Landshut nahmen das Angebot im Jahr 2019 71 Personen wahr, 2020 und 2021 jeweils 26 Personen“, sagt Franck. In der angrenzenden Gemeinde beantragten in den vergangenen drei Jahren ein bis zwei Personen das „Führerschein-Abo 70 plus“ pro Jahr.
Nicht umgesetzt wurde der Vorschlag in der Stadt München. Und das trotz mehrfacher Diskussion. „Schon im Jahr 2014 wurde eine Stadtratsanfrage von der Fahrerlaubnisbehörde rechtlich und fachlich geprüft“, sagt Pressesprecher Johannes Mayer. Die rechtliche Prüfung habe ergeben, dass die Abgabe des Führerscheins beziehungsweise das Hinterlegen des Dokuments keinerlei rechtliche Auswirkungen habe, da die Fahrerlaubnis unabhängig von dem Besitz des Führerscheins vorliege. „Auch ein Verzicht auf die Fahrerlaubnis ist keine adäquate Lösung“, sagt Johannes Mayer. So hätten auch Senioren, die freiwillig auf ihren Führerschein verzichten, jederzeit die Möglichkeit, eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu beantragen. „Sind dann keine Eignungs- und Befähigungszweifel vorhanden, ist die Fahrerlaubnisbehörde verpflichtet, die Fahrerlaubnis neu zu erteilen“, fügt Mayer hinzu.
In Rosenheim scheint man dem Antrag offen gegenüberzustehen. „Der Vorschlag ist nicht verkehrt“, sagt Irmgard Oppenrieder. Und doch ist der Vorschlag weder für die Vorsitzende des Seniorenbeirats noch ihren Mann praktikabel. „Wir wohnen in Pößling. Ein Stadtteil, der vom Bus schlecht angefahren wird“, sagt Oppenrieder.
Kein Busverkehr am
Sonn- und Feiertag
Und genau hier würden die Probleme ihrer Meinung nach beginnen. So würden die Busse am Abend nur eingeschränkt und am Sonntag überhaupt nicht fahren. Für Senioren, die ihren Führerschein freiwillig abgeben, würde das bedeuten, dass sie zu Hause festsitzen. Hinzu komme, dass viele ihr Auto brauchen, um beispielsweise schwere Einkäufe zu erledigen. „Klar könnte man sich Lebensmittel auch bestellen, aber viele möchten selbst ins Geschäft gehen“, sagt die Vorsitzende des Seniorenbeirats.
Thema demnächst
im Ausschuss
Sie sieht den Antrag deshalb als „positiven Denkanstoß“. Ihr sei wichtig, dass Senioren die Entscheidung selber treffen könnten, ob sie ihren Führerschein abgeben wollen oder nicht. Sinnvoller als eine kostenlose Jahreskarte für den ÖPNV seien Gutscheine für Taxifahrten. „Die Senioren könnten direkt von zu Hause zu ihrem Zielort gefahren werden“, sagt Oppenrieder. Sollte tatsächlich nur ein kostenloser ÖPNV als Tausch für den Führerschein infrage kommen, müsste sich der Busverkehr in der Stadt ihrer Meinung nach deutlich verbessern.
Ob Senioren in Rosenheim – ähnlich wie in Landshut oder Augsburg – bald ihren Führerschein gegen ein gratis ÖPNV-Ticket eintauschen können, soll in einem der nächsten Ausschüsse diskutiert werden.