Rosenheim – Zwei goldene Schriften, die fast wandhoch die Stirnseiten der Seitenschiffe einnehmen, fallen in der Nikolauskirche ins Auge. Geschaffen hat sie 2006 Ludwig Gruber, den viele als langjährigen Leiter des Bildungswerks Rosenheim in bester Erinnerung haben und der im Mai den Kulturpreis der Stadt Rosenheim 2021 für sein Lebenswerk erhalten wird.
Ludwig Gruber gehörte zum Gestaltungsteam um Pfarrer Andreas Zehentmair, Architekt Sven Grossmann, Bildhauer Josef Hamberger und Restaurator und Kirchenmaler Reiner Neubauer, als es von 2004 bis 2006 um das Neukonzept der Rosenheimer Pfarrkirche ging. Über Josef Hamberger (1925 bis 2019) war Ludwig Gruber in dieses Team gekommen. Die beiden kannten sich seit einer zufälligen Begegnung in der Kirche St. Hedwig im Jahre 1958, als der Bildhauer in der neu errichteten Kirche die Montage der Kommunionbänke überwachte und Gruber das Kripperl aufbaute. Es war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft und des künstlerischen Austausches.
Drucktechniken
bevorzugt
1975 hatte Gruber wieder begonnen zu malen und zu zeichnen, wie er es schon in seiner Kindheit gerne getan hatte. Der Rosenheimer Künstler Heinz Kaufmann (1932 bis 2014) führte ihn 1980 zur Technik der Radierung und seither bevorzugt der Autodidakt Drucktechniken wie Radierung, Holz- und Linolschnitt.
Ab der Jahrtausendwende beschäftigte sich Gruber mit abstrakten Bildzeichen und verschiedenen Schriften. Da lag es nahe, dass Hamberger den Freund 2004 bat, doch zwei große „Schriftbilder“ für die beiden Stirnwände der Nikolauskirche zu entwerfen.
Die erste Idee der Darstellung der Himmelsleiter hatte Hamberger verworfen. Nun schlug der Bildhauer zwei hebräische Schriften aus dem Alten Testament vor, die ersten fünf Verse der Genesis sowie Psalm 23 „Der Herr ist mein Hirte“. Ludwig Gruber vertiefte sich in die Schrift und konnte mit seinem Entwurf das Team überzeugen, wie er in seinen kürzlich erschienenen Lebenserinnerungen „Weichenstellungen“ schildert.
Doch irgendwie war die Auswahl nicht stimmig, wie Pfarrer Andreas Zehentmair erzählt, und er hatte die Idee, zum Beginn der Schöpfungsgeschichte aus dem Alten Testament als Pendant den Beginn des Johannesevangeliums aus dem Neuen Testament zu wählen. Nun antwortete das griechische „Im Anfang war das Wort“ auf das hebräische „Als Anfang schuf Gott“. Jetzt waren die beiden Bücher, die Grundlagen des christlichen Glaubens, gleichwertig repräsentiert. „Gott schuf die Welt und von Anfang an war Jesus hier mitgedacht“, erläutert Pfarrer Zehentmair. Also beschäftigte sich Ludwig Gruber mit der griechischen Schrift. Der Entwurf wurde wieder in ein Kirchenmodell eingefügt und als großes Papierbanner in der Kirche zur Begutachtung aufgehängt.
Peter B. Steiner, der Direktor des Diözesanmuseums in Freising, mischte sich ein und wollte die griechische Schrift in Großbuchstaben. Ludwig Gruber erzählt lebhaft: „Also habe ich den Text in Großbuchstaben entworfen, aber irgendwie sah das nicht gut aus.“ Gruber unterhielt sich über dieses Problem mit Kunito Nagaoka, als er für den japanischen Künstler im September 2005 eine Ausstellung in der Städtischen Galerie Rosenheim kuratierte, und schnell wurde klar, es können nur Kleinbuchstaben sein.
Aber wie sollten die goldenen Buchstaben auf den Wänden fixiert werden? Als Ludwig Gruber beobachtete, wie die Mitarbeiter der Firma Neubauer die Schlusssteine im Gewölbe, die er ebenfalls entworfen hatte, in Blau und Gold gestalteten, erkundigte er sich nach der Technik.
Reiner Neubauer erklärte: „Das ist eine anspruchsvolle Mordentvergoldung. Das Blattgold wird mit einem warmen Wachsgemisch, dem Mordent, auf dem Untergrund fixiert.“ Das war es!
Gruber, der auch den praktischen Teil übernehmen sollte, zeichnete die beiden Schriften in Originalgröße auf Papier. Dann fertigte die Firma Alpenstolz computergestützt Schablonen, die jeweils zwei bis drei Zeilen umfassten und dank einer rückseitigen Klebefläche auf der Wand fixiert werden konnten.
Ludwig Gruber und seine spätere Frau, die Diplom-Psychologin und Künstlerin Maria Wagner, begannen mit der hebräischen Schrift und es klappte hervorragend. Doch als sie bei der griechischen Schrift die Folien abzogen, blieben ganze Teile des Putzes daran kleben. Und das zehn Tage vor der Neuweihe der Nikolauskirche am 10. Dezember 2006!
Erklärung war
bald gefunden
Die Erklärung war bald gefunden. Dieser Teil der Kirche diente während der Bauarbeiten als Musterecke. Hier war der Putz testweise mit zu wenig Wasser aufgetragen worden und die Masse hatte nicht richtig abgebunden. Von dieser Wandfläche musste der gesamte Putz abgeschlagen und neu verputzt werden.
Neue Folien mussten ebenfalls schnell in Auftrag gegeben werden. Nach drei Tagen Trocknungszeit konnten sich Ludwig Gruber und Maria Wagner wieder ans Werk machen. Da die beiden jetzt schon viel Erfahrung gesammelt hatten, waren sie in wenigen Stunden damit fertig. Gut zu erkennen sind auch heute noch die Pinselspuren, die beim Auftrag entstehen und die den Buchstaben Struktur und eine lebendige Wirkung geben.
Die ursprünglich für den Chorbogen geplante lateinische Schrift mit der Pfingstsequenz „Veni, Sancte Spiritus“ verwarf man. Das wäre zu viel der Schriften geworden. Manche Kirchenbesucher haben bis heute ihre Probleme mit den beiden „Schriftbildern“, empfinden sie als zu evangelisch-protestantisch, stören sich, dass sie für einen Großteil nicht lesbar sind. So wurden an den gegenüberstehenden Säulen kleine Übersetzungen angebracht.