„Ich helfe beiden, ohne zu bewerten“

von Redaktion

Seit über 20 Jahren berät Donum Vitae in Rosenheim Schwangere, die über einen Abbruch nachdenken. In 20 Jahren hat sich viel verändert, nur die Klientel nicht: Frauen in Not.

Rosenheim – „Entweder stellen wir die Lizenz zum Töten aus oder wir bevormunden die Frauen“, erklärt Rosemarie Mittermair-Johnson. Also natürlich macht sie weder das eine noch das andere, aber so sei die öffentliche Wahrnehmung, jedenfalls sehr oft. Die Leiterin von Donum Vitae in Rosenheim klingt dabei allerdings nicht frustriert, wenn sie das erzählt. Es ist ja auch ein ethisches Dilemma für sie selbst: „Wir bewegen uns immer in dem Spannungsfeld zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und den Nöten der Frauen und dem Schutz für das ungeborene Leben.“

Eine päpstliche
Bitte ist keine Bitte

Auch vor über 20 Jahren war es schon ein ethisches Dilemma. Die deutschen Bischöfe nannten es selbst so, als sie diskutierten, ob man eine Schwangerenkonfliktberatung anbieten sollte, die zwar ungeborenes Leben retten könnte, aber auch unter Umständen das Ergebnis des Schwangerschaftsabbruchs zur Folge hätte. Denn in Deutschland braucht eine Frau einen Beratungsschein, um in den ersten zwölf Wochen straffrei abtreiben zu dürfen und diese Beratung muss „ergebnisoffen sein“.

Papst Johannes Paul II. entschied es am Ende, indem er in einem Brief die Bischöfe bat, sich aus der Schwangerschaftskonfliktberatung zurückzuziehen. Weil eine Bitte des Papstes eben keine Bitte ist, sondern eine höfliche Anweisung, folgten die Bischöfe, und die Caritas und der Sozialdienst katholischer Frauen zogen sich aus dem Beratungsangebot zurück. Die Reaktion vieler katholischer Laien, darunter einige sehr prominente wie die ehemaligen CDU-Bundesminister Norbert Blüm und Rita Süßmuth, hieß „Donum Vitae“, Geschenk des Lebens. Als Verein unabhängig von der Kirche bietet Donum Vitae die Schwangerschaftskonfliktberatung an und seit 2001 auch in Rosenheim.

Susanne Mittermair-Johnson und ihr Team machen freilich viel mehr als die Konfliktberatungen. Über 2500 Beratungen hat der Verein vergangenes Jahr allein in Rosenheim durchgeführt. Weniger als ein Zehntel davon waren Konfliktberatungen. Die Zahlen zur Konfliktberatung steigen nicht, die der anderen Beratungen schon. Etwa die allgemeine Schwangerschaftsberatung oder für Paare mit einem unerfüllten Kinderwunsch.

„Es kommt die ganze Palette“, sagt Mittermair-Johnson über ihre Klienten in der Konfliktberatung. „Die Jüngste war Zwölf, die Älteste 48.“ 70 Prozent etwa sind Deutsche ohne Migrationshintergrund, die verbliebenen 30 verteilen sich gleichmäßig auf Deutsch mit Migrationshintergrund, aus der EU und aus anderen Ländern. Auch bei den Gründen gibt es nicht den einen vorherrschenden Grund: „Jede Frau, die zu uns kommt, hat eine eigene Geschichte, ein eigenes Schicksal“, erklärt Mittermair-Johnson. Es gibt natürlich eine Statistik, bei der die beratenen Frauen Gründe ankreuzen können, warum sie mit der Schwangerschaft hadern: Überforderung ist dort ganz weit vorne, genau wie Zukunftsängste. Schwierigkeiten in der Beziehung, berufliche Probleme, die eigene Gesundheit sowie die des Kindes und auch die Wohnungsnot spielen oft eine Rolle. Aber eigentlich immer, sagt Mittermair-Johnson, seien es viele Faktoren, die zusammenkommen.

Mittermair-Johnson könnte vermutlich viele berührende Geschichten erzählen, aber sie tut es nicht. Das hat Gründe: Denn sie urteilt nicht über die Frauen, sie bewertet nicht die Motivation, warum sie vor ihr sitzen. Und sie will keine Möglichkeit geben, dass andere darüber urteilen.

So eine Beratung kann schon mal dauern. Gesetzlich vorgeschrieben ist mindestens eine halbe Stunde. Aber in der Regel dauere es länger. Manchmal kämen Frauen drei- bis viermal. Es sei für alle schwer, sagt Mittermair-Johnson, niemand mache das leichtfertig. „Wir machen oft eine allgemeine Lebensbetrachtung“, erzählt Mittermair-Johnson. Denn die Lebensumstände der Frauen seien oft prekär oder problematisch. Es werden Hilfsangebote aufgezeigt, praktische wie finanzielle. Oder sie werden rechtlich beraten: Einigen Frauen mit Migrationshintergrund wurde zum Beispiel aufgrund der Schwangerschaft gekündigt – was in Deutschland illegal ist, aber die Frauen oft nicht wissen.

Wenn die Frauen sich entschieden haben, geht es sowohl um nachgehende Beratungen als auch um praktische Unterstützung. Denn dann müssen sie einen Arzt finden, der den Abbruch vornimmt. Von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gibt es eine Liste mit Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. In Bayern gibt es auf dieser Liste fünf Ärzte – einer in Schwaben, vier in München.

„Die Frauen müssen oft weit fahren für den Abbruch – und das ist ein Problem“, erklärt Mittermair-Johnson. Zum einen, weil viele der Betroffenen finanziell sowieso schlecht aufgestellt sind und eine Fahrt durch ganz Bayern Geld kostet. Zum anderen, weil jemand sie begleiten muss. „Oft sind die Frauen alleinerziehend, dann ist da keiner, der mitkommt, erst recht nicht, wenn man weit fahren muss“, erzählt Mittermair-Johnson. Wenn einer der bayerischen Ärzte im Urlaub ist, sieht das Ganze noch viel krasser aus. In der Region Rosenheim, sagt sie, gibt es keinen einzigen Arzt.

Und dann erzählt Mittermair-Johnson von der Telemedizin. Die gibt es nämlich in dem Bereich auch. Ein Schwangerschaftsabbruch ist nämlich nicht immer eine Operation, oft geht es auch medikamentös. Das spart die Fahrt zum Arzt, die Narkose, die Begleitung. Fast die Hälfte der Frauen, die das Angebot eines Berliner Instituts wahrnahmen, kamen aus Bayern. Das sieht Mittermair-Jonson als problematisch, besonders weil es scheinbar nur ein Lückenfüller sei, eben weil es zu wenig Ärzte gibt.

Das will natürlich
niemand machen

Es gibt Gründe, warum so wenig Ärzte Abtreibungen vornehmen. Oft ist es nicht Teil der Ausbildung, es lohne sich nicht, berichtet etwa ein Münchner Arzt, der anonym bleiben will. Und dann ist auch der Punkt, dass das natürlich niemand gerne macht. Ganz zu schweigen davon, dass man mit Protesten rechnen muss. Abtreibungsgegner halten Mahnwachen vor den Praxen, bedrängen teilweise Frauen.

Das ethische Dilemma, das die deutschen Bischöfe sahen, sah Papst Johannes Paul II. nicht. Er bewertete den Schutz des Lebens höher als die Nöte und das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren. Mittermair-Johnson hat eine andere Lösung gefunden – eine an und für sich urchristliche, wie sie selber sagt: „Ich helfe beiden, der Frau und dem ungeborenen Leben, ohne zu bewerten.“

Geplantes Ende von Paragraf 219a

Die Bundesregierung will den umstrittenen Paragraf 219a abschaffen. Das sogenannte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche verbietet eben genau das: Werbung für Abtreibungen. Der Paragraf ist in den letzten Jahren vermehrt in die Kritik geraten, weil er Ärzten untersagt, öffentlich über die Methoden zum Abbruch zu informieren.

Das Vorhaben wird auch von der Rosenheimer Stadträtin Elisabeth Jordan (SPD) unterstützt: „Wer Information mit Werbung gleichsetzt, stellt sich gegen das medizinische Ethos und verharmlost die Nöte und Probleme der betroffenen Frauen.“

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