Rosenheim – Es war ein ausgesprochen seltener Besucher, der einen Zwischenstopp bei Erwin Heigl machte. Sechs Wochen war er insgesamt da, drei Wochen davon musste er Physiotherapie absolvieren, bevor er wieder ging. Oder vielmehr flog – schließlich handelte es sich bei dem seltenen Gast um eine Kornweihe mit gebrochenem Flügel.
Erste Anlaufstelle
für Kirchturmfalken
„Mitte März spät abends erhielt ich einen Anruf vom „Vet-Zentrum Rosenheim“, erzählt Erwin Heigl, „dass ein Greifvogel mit Flügelfraktur abgegeben wurde.“ Damit hat Heigl Erfahrung. Er ist die erste Anlaufstation, wenn einer der Rosenheimer Kirchturmfalken etwas mehr als die übliche Pflege braucht. Dabei ist er freilich kein Tierarzt, sondern Falknermeister. Die Kornweihe ist deutlich größer als ein Falke. Ihre Flügelspannweite liegt bei bis zu 118 Zentimeter, ein Falke wird selten größer als 75 Zentimeter. Auch ihre Körper sind fast zehn Zentimeter länger.
Umgehend wurde ein OP-Termin mit dem Vet-Zentrum ausgemacht und Dr. Josef Schiele und sein Team flickten die Kornweihe wieder zusammen. Danach kam der Rekonvaleszent zu Heigl in die Voliere.
Die zur Familie der Habichte gehörende Kornweihe ist in Bayern eigentlich gar nicht heimisch – beziehungsweise nicht mehr. In Bayern gilt sie als ausgestorben. Lediglich zum Überwintern verlässt sie den Norden Deutschlands und fliegt gen Süden. „Von den über 600 verletzten Greifvögeln und Eulen, die ich in den letzten Jahrzehnten versorgte, waren nur zwei Kornweihen dabei“, erzählt Heigl.
Der Greifvogel ist aber auch im Rest Deutschlands vom Aussterben bedroht. Zwischen 2011 und 2016 wurden nur neun Brutpaare belegt. Gründe ist vor allem die Zersiedelung der Landschaft und die intensive landwirtschaftliche Nutzung, durch die die Vögel weniger Brutplätze finden.
Kornweihen sind sogenannte Bodenbrüter. Auf den friesischen Inseln bauen sie ihre Nester im hohen Schilf. Sie ernähren sich vorwiegend von Mäusen und kleineren Singvögeln, aber auch junge Hasen können ihnen zum Opfer fallen.
Drei Wochen
Flugtraining
Die namenlose Kornweihe in Erwin Heigls Obhut erholte sich gut. Nach drei Wochen konnten die Nägel entfernt werden und der Knochen war gut verheilt. Nach weiteren drei Wochen intensiven Flugtrainings war der gefiederte Gast bereit wieder in die Wildnis zu fliegen. Der Flug wird vermutlich Richtung Norddeutschland gehen, um ein Brutrevier und ein Männchen zu finden. Die sind anders als die Weibchen weniger bunt, sondern weiß mit schwarzen Flügelspitzen. Thomas Stöppler