Rosenheim – Ein eindrucksvoller Eisbär steht in einer Grünanlage zwischen Wohnblöcken in der Rosenheimer Marienberger Straße. Entworfen hat die Skulptur die Rimstinger Bildhauerin Tamara Roubaud und der Ort seiner Aufstellung erzählt ein Stück Rosenheimer Stadtgeschichte.
Als die Brüder Bernhard und Joachim Gabor 1965 für ihre 1949 gegründete Schuhfabrik Gabor neben ihren Werken in Barmstedt bei Hamburg und Spittal an der Drau in Österreich nach einem weiteren Standort suchten, wurden sie in Rosenheim fündig. Die Stadt bot an der Marienberger Straße ein geeignetes Grundstück an und errichtete gegenüber eine Siedlung mit drei Wohnblöcken für die 60 Familien von Fachkräften, die aus Hamburg mitkamen. Bereits im Sommer 1966 konnten die Familien einziehen und die Fabrikation der gefragten Damenschuhe konnte starten. Auch die Verwaltungszentrale wurde von Hamburg nach Rosenheim verlegt.
Spielgeräte
statt Kunstwerke
„Kunst am Bau“ sollte in der Wohnanlage, die bald die Bezeichnung „Gabor-Siedlung“ erhielt, auch ihre Berücksichtigung finden. So beriet der Kulturausschuss des Rosenheimer Stadtrates im Juni 1966 und „entschloss sich für die Anschaffung von Kinderspielgeräten, da sie einen praktischen Zweck erfüllen und auch besser in die Umgebung der schlichten Bauten passen als reine Kunstwerke: Die Stadträte wählten nach einer kurzen Diskussion ein Turngerät des Rosenheimer Bildhauers Josef Hamberger, das drei Kamele darstellt, und einen steinernen Bären der Bildhauerin Tamara Roubaud aus Rimsting“. (OVB, 20. Juni 1966)
Bemerkenswert die Einschätzung, dass „reine Kunstwerke“ für den Grünbereich der Wohnanlage nicht geeignet sind. Wenn Kunst dagegen als Kinderspielgerät auftritt, ist das in Ordnung. Ein Steinmetz setzte das für diese Ausschreibung eingereichte Modell von Tamara Roubaud ins Großformat um und seither beherrschen die klaren und charakteristischen Formen des Eisbären das Rasengrün. Wer etwas von den Hamberger-Kamelen weiß, die in der Siedlung nicht zu finden sind, möge das der Verfasserin mitteilen. 1972 verkaufte die Stadt Rosenheim die Wohnanlage an die Firma Gabor.
Vielen Kunstinteressierten dürfte dieser Eisbär unbekannt sein, denn er steht nicht an prominenter Stelle. Hans Heyn, damals Kulturredakteur des OVB und bestens vertraut mit der regionalen Kunstszene, schlug schon 1982 im Nachruf auf die Bildhauerin vor, die Tierskulptur doch in den Salingarten zu versetzen, wo im Umfeld der neu gebauten Stadthalle (heute Kuko) ein Skulpturenpark im Entstehen war. Auch heute hat dieser Vorschlag immer noch etwas Reizvolles. Vielleicht würden dann aber die Bewohner der Siedlung ihren Eisbären vermissen.
Vierzig Jahre nach ihrem Tod schwindet langsam die Erinnerung an Tamara Roubaud. Auskunft geben kann Sylvia Roubaud, die Nichte, die die künstlerische Tradition der Familie weiterführt. Temperamentvoll berichtet die Meisterschülerin von Emilio Vedova in Venedig und Günter Fruhtrunk an der Münchner Akademie in ihrem Priener Atelier am Marktplatz von ihrer Tante und der Familie Roubaud. An den Wänden bilden die abstrakten Gemälde der international bekannten Malerin, die letztes Jahr ihren 80. Geburtstag feiern konnte, einen kontrastreichen und anregenden Hintergrund.
Tamara hieß eigentlich Hermine Maria Helene. Den Vornamen Hermine, mit dem sie 1922 in die Akademie eintrat, legte sie bald ab und nannte sich fortan Tamara. Das hatte mehr künstlerisches Flair und gab ihr eine russisch klingende Aura. Damit knüpfte sie an das Leben ihres berühmten Vaters Franz Roubaud an, der als Kind französischer Eltern in Odessa geboren worden war und die größten künstlerischen Erfolge mit Kriegs- und Reiterszenen aus dem Kaukasus feiern konnte. Zu seinen Käufern zählten die beiden russischen Zaren Alexander III. und Nikolaus II. sowie Prinzregent Luitpold von Bayern.
1903 konnte sich Franz Roubaud, der in München lebte, eine großzügige Villa im Rimstinger Ortsteil Hochstätt bauen. In der Familienvilla fand Tamara Roubaud dann auch Zuflucht, als ihre Atelierwohnung in der Neureutherstraße in München-Schwabing am 13. Juli 1944 ausgebombt wurde. Ein Schuppen im Garten wurde zu einem ersten Atelier umfunktioniert, Obst und Gemüse aus eigenem Anbau sicherten die Ernährung. In den 1950er-Jahren betrieb sie in dem Haus für einige Jahre eine Kinderpflegestätte. Trotz anhaltender finanzieller Schwierigkeiten ging Tamara Roubaud weiter unbeirrt ihren Weg als Künstlerin.
Ärmliches
Künstlerleben
Tamara Roubaud, die als 20-Jährige ihren Willen durchgesetzt hatte – ihre aus Wien stammende Mutter hätte sich eine bürgerliche Existenz für die Tochter gewünscht – und mit zu den ersten Frauen gehörte, die auf der Münchner Akademie Bildhauerei studieren konnten, scheute die Popularität. So präsent sie nach dem Krieg im regionalen Kunstleben war, so wenig verstand sie es, ihre Werke, vorrangig Porträtköpfe und Tierplastiken, zu vermarkten. Um dem ständigen Geldmangel abzuhelfen, musste sie 1971 die Villa gegen Leibrente verkaufen. Gelegentlich erscheinen Kleinbronzen der Bildhauerin im Kunsthandel. Manches Werk lässt sich in Rimsting entdecken, wie der mächtige Bronze-Steinadler (Abzweigung Greimhartinger Straße), die Frauenbüste in der Bücherei oder die Bronzetafel mit dem heiligen Franziskus, der den Tieren predigt, auf dem Grabstein von Tamara Roubaud auf dem Gemeindefriedhof.