Kolbermoor/Rosenheim – Alles voller Müll, überall Essensreste, Kartons und Kleidung. Manchmal so viel, dass sich die Wohnungstür kaum noch öffnen lässt. Hinter solchen überfüllten, verwahrlosten Wohnungen steckt oftmals eine psychische Krankheit. Menschen, die nichts wegwerfen können leiden unter dem Messie-Syndrom. Um deren Wohnungen wieder auf Vordermann zu bringen, braucht es oft professionelle Aufräumunternehmen.
Doch wie oft treffen die sogenannten Entrümpler tatsächlich auf richtige Messie-Wohnungen? „Messie-Wohnungen machen bei unserer Arbeit keine zehn Prozent aus“, sagt Jonathan Binder. Der Entrümpler aus Rosenheim, der auch Kunden in Kolbermoor bedient, hat von der Entsorgung eines alten Schrankes bis hin zu einer kompletten Wohnungs- oder Haus-Auflösung alles in seinem Repertoire.
Tagesgeschäft
nach Todesfällen
Zu seinem Tagesgeschäft gehören eigentlich Wohnungsauflösungen nach Todesfällen. „Uns kontaktieren meist Angehörige, dass jemand verstorben ist und dass wir die Wohnung ausräumen sollen“, erklärt Binder. Oftmals habe sich dort in einem ganzen Leben viel angesammelt, was dann ausgeräumt, sortiert und entsorgt werden müsse.
„Ab und zu ist auch mal eine Messie-Wohnung dabei“, sagt Binder. In diesem Fall werde man jedoch häufig nicht über den Betroffenen selbst oder über Angehörige, sondern über Behörden kontaktiert. Und Binder stellt klar, dass man auch hierbei mit Diskretion vorgehe. „Uns ist klar, dass bei Messie-Wohnungen oftmals psychische Probleme dahinterstecken.“
Nacktbilder, Waffen, ausgestopfte Tiere
Doch egal ob Messie-Wohnung oder normale Haushaltsauflösung: In seinem Beruf erlebt Binder skurrile Momente. „Natürlich finden wir in den Wohnungen immer wieder spezielle Dinge“, erklärt der Entrümpler. Dazu gehörten etwa ein Luftgewehr oder ausgestopfte Tiere. Besonders in Erinnerung sei der Fund von ganz vielen Heiligenbildern gewesen. Das Kuriose: Diese waren über Nacktbilder von Frauen geklebt worden.
Erhaltenswertes
hilft anderen weiter
Doch auch wenn das meiste entsorgt werde, versucht Binder mit seinem Team, auch Erhaltenswertes aus den betroffenen Wohnungen und Häusern zu retten. Dazu gehörten etwa Bücher oder Klamotten, die dann gespendet werden können. „Wir konnten zuletzt mit gesammelten Dingen sogar zwei Wohnungen für geflüchtete Ukrainer einrichten“, erzählt Binder.
Einer, der sich seit 20 Jahren speziell mit Messie-Wohnungen beschäftigt, ist Michael Schröter vom „Messie-Hilfe-Team“ in Gauting bei München. Von dort aus betreut er Betroffene in ganz Deutschland, auch im Landkreis Rosenheim. Schröters Teams sorgen dabei nicht nur für die Entrümpelung der Wohnungen, sondern auch für eine Betreuung der Betroffenen. „Typisch für Messie-Wohnungen ist zunächst mal die Fülle“, so Schröter, der zugleich Direktor der Messie-Akademie ist (dort werden Messie-Helfer ausgebildet).
Unter den Betroffenen gebe es drei Gruppen: Die „Sammler-Messies“ (30 Prozent), die reinen Vermüller (30 Prozent) und sogenannte Mischformen (40 Prozent). Bei allen jedoch zeige sich eine extreme Fülle an Gegenständen. „Bei Frauen häufig viel Kleidung oder Schuhe, bei Männern oft technische Gegenstände wie Computer oder Fernseher“, sagt Schröter. Wichtig: Die „Sammler-Messies“ hätten zu jedem Gegenstand eine Geschichte parat. Generell versuchten viele Betroffene, mit der großen Fülle an Gegenständen eine innere Leere zu füllen.
Selten, so Schröter, seien dagegen die Messie-Wohnungen, in denen Tiere zu finden sind. „Mäuse oder Ratten sind anzutreffen, wenn Lebensmittel gehortet werden“, so Schröter. Prozentual hätten jedoch nur etwa zwei Prozent der entsprechenden Wohnungen einen solchen „Befall“, bei unter einem Prozent gebe es zudem Bettwanzen. Schröter klärt über ein weiteres Detail auf: „Wo Ratten sind, sind im Übrigen keine Mäuse, da diese Beute wären.“
Schröter hat mit seinem Team vieles erlebt. Von extremem Gestank, etwa durch Urin oder gebrauchten Windeln, bis hin zu Wohnungen, die so überfüllt waren, dass man sich mit Mühe einen 30 Zentimeter breiten Trampelpfad durch die Zimmer bahnen musste.
Dabei sei es für Betroffene eine immense Hürde, sich Hilfe zu holen. Laut Schröter gibt es hierfür eine einfache Grundregel: „Die Menschen melden sich erst dann, wenn der Druck von außen größer ist, als die Angst vor der Entdeckung.“ Dabei gehe es häufig um einen bevorstehenden Handwerker- oder einen angekündigten Vermieterbesuch. Oftmals laufe es schlicht auf die „Rettung des Mietverhältnisses“ hinaus. „Wenn die Betroffenen also keinen anderen Ausweg mehr finden, dann melden sie sich bei uns und dann muss es manchmal schnell gehen“, erklärt Schröter.
Etwa 20 bis 25 Prozent der Messies meldeten sich demnach selbst. In der Regel würde das „Messie-Hilfe-Team“ jedoch beispielsweise über das Jugend- oder Sozialamt kontaktiert.
„Rückfallquote liegt etwa bei 90 Prozent“
Schröter macht aber auch deutlich: Mit einer einmaligen Entrümplung der Wohnung ist das Problem nicht gelöst. „Die Rückfallquote ist ähnlich hoch wie bei Suchterkrankungen, sie liegt etwa bei 90 Prozent“, sagt der Messie-Spezialist. Über die Entrümpelung hinaus brauche es daher häufig ein Therapieangebot, da vieles etwa mit Traumata aus Kindheit und Jugend zusammenhänge. Auch helfe beispielsweise eine Nachsorge durch Caritas oder Diakonie mit wöchentlichen Hausbesuchen. Schröter empfiehlt außerdem Selbsthilfegruppen, wie zum Beispiel die Messie-Selbsthilfegruppe in Traunstein.
Doch zurück nach Kolbermoor: Bevor es überhaupt zur Entrümpelung kommt, müssen manche Wohnungen erst einmal mit Hilfe geöffnet werden. Nicht immer melden sich Bewohner, Angehörige oder Behörden selbst. „Wie häufig wir zu Wohnungsöffnungen gerufen werden, kann man nicht pauschal sagen“, erklärt Armin Hörl, stellvertretender Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr in Kolbermoor. Aber es komme immer wieder vor.
Feuerwehr muss teils als Türöffner dienen
„Meist handelt es sich dabei um Amtshilfe für den Rettungsdienst, also wenn etwa ein medizinischer Notfall vorliegt, die Menschen in einer Wohnung die Türe aber beispielsweise nicht mehr selber öffnen können.“ Oder auch wenn sich Nachbarn bei der Polizei melden, „da ihnen etwas komisch vorkommt, da der Briefkasten seit einer Woche nicht geleert wurde oder man den entsprechenden Nachbarn schon länger nicht mehr angetroffen hat“, sagt Hörl. „Wenn wir dann eine Wohnung öffnen müssen, dann kommt natürlich alles mögliche zum Vorschein“, berichtet der stellvertretende Kommandant.
Medizischen Hilfe
hat immer Vorrang
Aber Hörl stellt auch klar: „Das ist dann in der Regel nicht mehr unsere Aufgabe.“ Meist gehe es um die Versorgung eines Menschen durch den Rettungsdienst. Ob in Wohnungen womöglich viel Gerümpel zum Vorschein komme oder es sich gar um eine Messi-Wohnung handelt, betreffe die Feuerwehr dann nicht. Man biete aber etwa Tragehilfen für den Rettungsdienst an, wenn es die Voraussetzungen im Gebäude erforderlich machten. Und wenn der erste Zugang mit vereinten Kräften geschaffen wurde.