Vertragen Kinderbücher Politik?

von Redaktion

Ein Gespräch mit Jörg Mühle und Anke Kuhl beim Rundgang in der Städtischen Galerie

Rosenheim – Wenn Jörg Mühle und Anke Kuhl arbeiten, geht es oft um Rassismus, Ausgrenzung oder sexuelle Aufklärung. Beide illustrieren als Mitglieder der Frankfurter „Labor Ateliergemeinschaft“ Bilderbücher und haben dafür verschiedenste Preise gewonnen. Jetzt hängen einige ihrer Bilder in der Ausstellung „Wegschauen verboten“ in der städtischen Galerie Rosenheim. Ein Gespräch nach ihrem ersten Rundgang durch die Ausstellung.

Der Titel der Ausstellung heißt „Wegschauen verboten“, es geht um politische Themen vom Klimawandel bis zum Holocaust. Aber die meisten Werke in der Galerie sind aus Bilderbüchern für Kinder – wie passt das zusammen?

Jörg Mühle: Ich habe das Gefühl, dass die Ausstellung die großen Themen bearbeitet, die den Diskurs zurzeit bestimmen: Flucht, Krieg, Diversität, Aktivismus. Und deswegen ist es so spannend zu sehen, wie das im Kinderbuch gespiegelt wird – dass es eben mehr gibt als die heile Welt in den Büchern. Trotzdem sind die Bücher nicht verstörend, sondern beschäftigen sich einfach damit. Aber was sagst du dazu? Du machst mehr politische Bücher.

Anke Kuhl: Ich dringe gerne in Bereiche vor, die so ein bisschen tabu sind – ich habe zum Beispiel einige Bücher über Sexualaufklärung illustriert. Da reden viele nicht so gerne darüber. Aber ich finde es spannend, da mit Kindern hinzusehen und mit ihnen zu sprechen. Auf der anderen Seite kann ich dann Leichtigkeit und Humor bei diesen Themen einbringen – ein Spannungsfeld.

Kritiker sagen, dass politische Kinderbücher den Kindern das geschützte Aufwachsen nehmen, gerade wenn es um Sexualität geht. Wie sehen Sie das?

Kuhl: Kinder sind auch in der Realität mit Dingen konfrontiert, die sie verarbeiten müssen: Sexualisierung in der Werbung, Krieg und Vertreibung in den Nachrichten. Deswegen braucht es Geschichten, die ihnen helfen, die Realität zu bewältigen. Wir wollen etwas dagegensetzen, gegen diese Flut aus Bildern, die auch Kinder jeden Tag sehen. Generell sind wir als Labor der Meinung, dass man Kindern mehr zumuten kann als allgemein angenommen – mehr, als es auch vom Buchmarkt oft dargestellt wird.

Mühle: Jetzt hecheln die Bücher der Entwicklung hinterher. Ich würde nicht sagen, dass wir eine Speerspitze sind. Wenn wir jetzt ein Aufklärungsbuch machen, dann ist das eine Reaktion auf das, was Kinder seit Jahren in den Nachrichten sehen oder auf dem Handy finden.

Kuhl: Es wird immer schwieriger, Kinder zu erreichen. Es gab ja erst vor kurzem erschreckende Zahlen, wie wenig Eltern ihren Kindern vorlesen.

Laut „Stiftung Lesen“ bekommen über ein Drittel der Ein- bis Achtjährigen selten oder nie vorgelesen.

Kuhl: Das macht mir Sorgen. Bücher sind etwas, wo man sich auch mal hinsetzt und miteinander darüber redet. Den Kindern fehlen jetzt aber die Erwachsenen, mit denen sie sich vielleicht auch mal problematische Bücher anschauen und diskutieren können – und dann bleiben sie mit den digitalen Medien allein. Welches Kind geht allein in die Stadtbücherei oder die Buchhandlung und kauft sich ein Buch?

Die Themen, die die Bilderbücher und damit auch die Werke in der Stadtgalerie behandeln, sind riesig. Die Räume heißen „Flucht? Zuflucht!“ oder „Toleranz“.

Wie zeichnet man so etwas?

Mühle: Leicht ist es sicher nicht. Und ich bin ja auch gar nicht so politisch. Aber bei einigen Bildern, zum Beispiel über Rassismus, haben wir auch untereinander viel diskutiert. Ich glaube, es ist schon schwer, sich damit auseinanderzusetzen und seinen Zugang zu finden – aber das macht die Bücher ja so besonders.

Kuhl: Es gibt auch Themen, wo man wirklich vorsichtiger sein muss, wo Humor zum Beispiel nicht angebracht ist. Das macht gute Bilderbücher aus: Wenn sie nicht ihren Stil neu erfinden, sondern gucken, wie weit sie gehen können und wo die Grenzen sind.

Mühle: Das Schwierigste beim Illustrieren sind immer die Entscheidungen am Ende.

Ist das bei politischen Bilderbüchern noch schwieriger? Schließlich hat man ja meistens auch eine eigene Meinung zum Thema.

Kuhl: Finde ich auf jeden Fall. Gerade bei Sachbüchern gibt es Fälle, bei denen ich oft denke ,so kann ich das auf keinen Fall darstellen‘. Man ist selbst auch mit Klischees verbunden, die man dann zeichnet – und in der nächsten Auflage wieder ändert, weil es einem auffällt. Aber ich finde es sehr wichtig, damit offen umzugehen und eben auch zu korrigieren, wenn es berechtigte Kritik gibt. Wenn ich jetzt abstrakte Kunst machen würde, dann hätte mir da niemand reinzureden. Aber sobald ich gesellschaftliche Gruppen anspreche und abbilde, dann ist das ein heikles Feld. Da muss ich reagieren, wenn ich Menschen verletze oder etwas falsch verstanden wird.

Mühle: Und damit kommt eben noch eine neue Entscheidungsebene hinzu, die anders funktioniert als die rein künstlerischen Entscheidungen.

In der Ausstellung sind lauter Bilder zu sehen, die normalerweise in Büchern abgebildet sind. Wie gut funktioniert es eigentlich, sie vom Text losgelöst zu sehen?

Kuhl: Man macht sie ja naturgemäß erst einmal für das Buch und als ich gerade durch die Ausstellung gelaufen bin, fand ich es schon interessant, wie extrem ,austellungstauglich‘ die Bilder teilweise sind. Andere Werke sind dann wieder intim, sodass sie im Buch gut funktionieren. In der Ausstellung ist dieser Rhythmus schön zu sehen, zwischen ,lauten‘ Bildern, die so einen Raum bestimmen und dann wieder ,leise‘ Illustrationen, bei denen man sich ein bisschen zurückziehen kann.

Mühle: Hier gibt es auch einen schönen Blick hinter die Kulissen. Bei den Altmeistern sieht man ja immer nur das endgültige Werk. Hier sind auch noch Skizzen und Ideen ausgestellt, die gar nicht Teil des ,Endproduktes‘ sind. Hier sind extrem unterschiedliche Werke, die aber alle ein hohes Niveau haben. Da habe ich jetzt auch Qualitäten in Arbeiten entdeckt, die eigentlich gar nicht so mein Geschmack ist.

Gibt es einen Gedanken, mit dem die Menschen aus dieser Ausstellung herausgehen sollten?

Mühle: Wir sollten alle viel mehr Bilderbücher lesen. Interview:Kilian Schroeder

Ausstellung läuft bis April

Artikel 8 von 11