Rosenheim – „Nach den Beobachtungen des Tierschutzvereins haben am Salzstadel in letzter Zeit verschiedene Personen vergifteten Weizen ausgestreut, um die große Zahl von Tauben zu dezimieren, die dort ihren Standort haben. Zahlreiche Tauben sind bereits an diesem Giftweizen eingegangen und liegen im engeren und weiteren Umkreis tot umher“, berichtete das Oberbayerische Volksblatt in seiner Ausgabe vom 23. September 1957 in der Rubrik „Aus dem Tagesgeschehen“. Und weiter heißt es in dem Bericht: „Wie uns der Tierschutzverein mitteilt, nehmen viele Leute, die solche Tiere finden, irrtümlich an, dass es sich um erschossene oder von Autos überfahrene Tauben handelt. Es bestehe eine große Gefahr, wenn Menschen vergiftete Tauben braten und verzehren. Auch wenn man solche tote Tiere Hunden oder Katzen zum Fraß vorsetzt, besteht die Gefahr, dass diese daran verenden.“
„Spezialmais“ als
„Pille“ für die Vögel
Dies ist der erste Fall, in dem öffentlich in Rosenheim von einer „Taubenplage“ die Rede ist. Durchsucht man die Bestände des Stadtarchivs, so sind Tauben bis dahin nur als Nutztiere, als Brieftauben oder als Zuchttiere zum Verzehr beispielsweise im Rahmen von Berichten und Ankündigungen von Taubenmärkten Thema. „Der Verwaltung liegen keine Aufzeichnungen vor, die über diesen Recherchestand hinausgehen“, teilt Christian Schwalm, Pressesprecher der Stadt Rosenheim, mit.
Stadttauben vermehrten sich zusehends, nachdem sie in der Nachkriegszeit nicht mehr als Nutztiere gebraucht wurden. Tierschützer merken an, dass die Vermehrung der Vögel auch darin begründet liegt, dass die Tauben vom Menschen gezielt daraufhin gezüchtet wurden, einen starken Drang zur Brut und Vermehrung zu haben.
Seit den 1950er-Jahren wurden die Tiere also in Rosenheim zunehmend als Problem gesehen. So heißt es in einem Bericht des Oberbayerischen Volksblattes vom 11. Mai 1972 unter der Überschrift „Taubenplage ein Problem“ über die Generalversammlung des Tierschutzvereins Rosenheim-Bad Aibling: „Dass Tauben Krankheitsträger sind, wurde in wissenschaftlichen Untersuchungen festgestellt.“ Darum sei die Frage, so die damalige Vorsitzende des Vereins, ob diese Tiere, „deren Vermehrung überhand nimmt“, das ganze Jahr über gefüttert werden sollten, „wirklich problematisch“. In den Folgejahren gab es daraufhin Versuche mit „Spezialmais“, der die Fortpflanzungstätigkeit der Vögel einschränken sollte. „Tauben werden gezählt. Mit Fernglas und Notizblock unterwegs: Noch über 1000 Tauben in der Stadt. Viele sind überfüttert“, berichtete das OVB am 30. März 1992. „Pille keine Hilfe. Tierschutzverein verzichtet auf Fütterung“, hieß es am 23. November 1995.
Kein Pardon für
renitente Fütterer
Im Laufe des folgenden Jahres rückten Leute, die Tauben füttern, zunehmend ins Visier der Behörden. Ein Fütterungsverbot wird erwogen. „Wer füttert, der zahlt“, titelte das OVB schließlich am 1. April 1997. „Jetzt wird es ernst für hartnäckige Taubenfütterer. Ab heute – und das ist kein Aprilscherz – müssen die selbst ernannten Tierfreunde mit einem Bußgeld rechnen, wenn sie beim verbotenen Futterstreuen erwischt und dafür angezeigt werden.“ Weiter heißt es in dem Bericht: „Harald Tüchler vom Umweltamt droht zunächst mit 50 Mark. Die Steigerungsmöglichkeit endet bei 1000 Mark. Ob es jemals zu einem Bußgeld in dieser Höhe kommt, weiß niemand. Nur eines weiß Harald Tüchler genau: ‚Unsere altbekannten Taubenfütterer werden uns weiter das Leben schwermachen.‘“
Vor allem in einem Fall rechnete Tüchler laut Bericht mit Problemen: „Eine unserer altbekannten Kundinnen wird ganz bestimmt nicht aufhören, den Tauben Körner hinzustreuen“, sei er überzeugt. Und in diesem Fall werde es auch kein Pardon mehr geben. Am 12. Oktober 1999 berichtet das OVB dann von einem besonders renitenten Taubenfreund. „Nachts kommt der Kolbermoorer. Hartnäckiger Taubenfütterer musste schon zweimal Bußgeld bezahlten“, so die Überschrift des Berichts. „Was sind das für Menschen, die derartige nächtliche Expeditionen unternehmen, nur um in einer anderen Stadt Körner auszustreuen? Die Mitarbeiter im Umweltamt der Stadt hatten seit dem 1997 ausgesprochenen Fütterungsverbot Gelegenheit, ausgiebige Charakterstudien zu betreiben. Ihre Stammkunden sind Argumenten wie Krankheitsübertragung oder Verschmutzung von Fassaden in keiner Weise zugänglich. Hermann Koch, zuständiger Dezernent, kam nach einem aufschlussreichen Gespräch im Riedergarten, wo er ein ‚Taubenmutterl‘ überzeugen wollte, zu der Erkenntnis: ‚Die empfangen auf dieser Antenne nichts.‘“ Insgesamt zeigte allerdings das Fütterungsverbot nach damaligen Berichten Wirkung: Die Zahl der Tiere reduzierte sich Ende der 90er-Jahre.
„Insgesamt wird das Fütterungsverbot von der Bevölkerung gut angenommen. Im vergangenen Jahr erging nur ein Bußgeldgeldbescheid wegen des Verstoßes gegen das Taubenfütterungsverbot; vereinzelt mussten Personen ermahnt werden“, berichtet wiederum Pressesprecher Christian Schwalm vom aktuellen Stand der Dinge. „Die Stadt Rosenheim betreibt seit zwölf Jahren ein Taubenhaus auf dem Dach des Parkhauses an der Stollstraße. Dort haben die Tauben eine sichere Brutstätte, gleichzeitig steht den Tauben dort artgerechte Nahrung zur Verfügung.“ Somit müssten die Tauben nicht in menschlichen Abfällen nach Nahrung suchen, so Schwalm. Aus den Nestern im Taubenhaus wird ein Teil der Eier entnommen, um so die Taubenpopulation auf lange Sicht zu minimieren.
Natürliche Reduktion
der Population
Seit einigen Jahren gibt es im Turm der Pfarrkirche Sankt Nikolaus erfolgreiche Bruten eines Wanderfalkenpärchens. Die Falken tragen durch ihr Jagdverhalten zu einem gewissen Teil ebenfalls zur natürlichen Reduktion der Taubenpopulation bei. Informationen zu den Stadtfalken gibt es auf der Homepage www.rosenheimer-stadtfalken.de.
Zur Reduktion der Stadttauben sind laut dem Pressesprecher aktuell keine weiteren Aktionen geplant. Dennoch würden weitere Maßnahmen geprüft, die eine Reduktion der Taubenpopulation im Einklang mit den Normen des Tierschutzrechts garantieren, erklärt Schwalm.
Der Tierschutzverein Rosenheim schließt sich in dieser Sache der Kampagne des Deutschen Tierschutzbundes an. Andrea Thomas, die Vorsitzende des Rosenheimer Vereins, erklärt die zentrale Aussage dieser Kampagne: „Es ist ganz einfach: Du musst Tauben nicht lieben, aber behandle unsere städtischen Mitbewohner mit Respekt.“