Rosenheim – Alexander Bauer bekommt sieben Euro pro Stunde, vielleicht könnte er mehr geltend machen, aber es geht ihm nicht um das Geld. Seit drei Perioden ist Bauer dabei und heuer folgt hoffentlich noch eine. Dann ist Schluss, denn zum Start der nächsten Periode wird Bauer über 70 sein und dann darf er nicht mehr als Schöffenrichter zum Einsatz kommen.
Bauer wird dann wohl einer von 16000 Bayern sein, die auf der Auswahlliste stehen. Bleiben wird er aber wohl der Erste Vorsitzende des Schöffen Verbands Bayern, der die Interessen der ehrenamtlichen Richter vertritt.
Von der Polizei
abgeholt
In Rosenheim werden freilich nicht ganz so viele Schöffen benötigt, vergangenes Jahr waren es 50. Das heißt, eigentlich waren es 25, denn die Gemeinden müssen den zuständigen Gerichten genau die doppelte Anzahl an potenziellen Schöffen präsentieren, die Gerichte wählen dann noch einmal. Mit dabei ist ein kleines Kontingent an Ersatzschöffen – schließlich wird jeder mal krank, aber sich anderweitig drücken, ist nicht drin. „Wenn Sie nicht erscheinen”, erklärt Alexander Bauer, “dann schickt Ihnen eventuell der vorsitzende Richter die Polizei ins Haus.” Das sei aber eher die Ausnahme.
Auch sonst kann man zwangsverpflichtet werden, wenn sich nicht genug Freiwillige bewerben. Dabei ist das ein ausgesprochen spannendes Ehrenamt, wie Bauer erklärt. Die Einblicke, die man in Leben bekommt, in Schicksale und Verbrechen. Und es ist ein wichtiges Ehrenamt. „Man trägt hier wirklich ein großes Maß an Verantwortung”, erklärt er, “man entscheidet über das Leben eines Menschen.”
Denn die Schöffen können auch bei großen Gerichtsverfahren Entscheidungen der Berufsrichter blockieren. Es braucht eine Zweidrittelmehrheit, um Schuld oder Unschuld der Angeklagten festzustellen. Im Rosenheimer Amtsgericht bilden die zwei Schöffen eben diese Mehrheit. Bei einem Schöffengericht sind zwei ehrenamtliche Richter und nur ein Berufsrichter zugegen. Aber auch vor dem Landgericht gibt es ohne die Schöffen in der Regel diese Mehrheit nicht.
Ein neuer Blickwinkel
dank der Schöffen
Auch Stefan Tilmann, Richter am Rosenheimer Amtsgericht, betont, wie wichtig das Amt ist. Nicht nur wegen der Zweidrittelmehrheit: „Man wird als Richter ja auch betriebsblind, da sind die Meinungen der Schöffen, die nicht nur juristisch denken, total wertvoll.” Natürlich gelte es, sich an die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu halten, aber innerhalb derer seien neue Blickwinkel immer gut für die Urteilsfindung.
Schöffe kann grundsätzlich fast jeder werden. Ein paar Voraussetzungen gibt es allerdings schon. Das Alter, etwa zu Beginn der Amtsperiode, die vier Jahre beträgt, müssen die Schöffen zwischen 25 und 69 sein. Außerdem dürfen sie keine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten erhalten haben und sich nicht in Insolvenz- oder Konkursverfahren befinden. Polizisten, juristische und politische Beamte werden aus Prinzip von dem Amt ausgeschlossen. Sonst wäre die Gefahr, die Gewaltentrennung zu unterlaufen, zu groß. Ansonsten müssen die meisten Arbeitgeber ihre Angestellten für den Dienst freistellen.
Etwas schwieriger wird es bei der Verfassungstreue. Die muss bei den Schöffen gegeben sein, lässt sich aber schwierig überprüfen. “Die Leute haben keine Armbinde mehr, womit sie sich zu erkennen geben”, sagt Bauer. In den vergangenen Jahren hatte etwa die AfD aufgefordert, sich für das Amt zu bewerben. Auch andere Gruppierungen und Parteien des rechten Spektrums wie die NPD oder Pegida riefen dazu auf, als Schöffe „für Gerechtigkeit zu sorgen.”
Ob das auch in Rosenheim der Fall ist, will Stefan Tilmann nicht bestätigen. Aber er verweist darauf, dass die Bewerberlisten öffentlich sind und jeder Einwände gegen die potenziellen Schöffen erheben kann. Dazu beobachte der Rosenheimer Stadtrat, also ein demokratisch legitimiertes Gremium, die Liste, denn er schlägt die Liste dem Amtsgericht vor, das wiederum nochmal eine Auswahl trifft. „Je größer die Auswahl auf der Liste ist, desto größer ist der Querschnitt der Bevölkerung”, erklärt Tilmann. Also die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Unterwanderung erfolgt, sinkt, wenn sich mehr Menschen bewerben.
Vorurteilsfrei und
offen herangehen
Wichtig sei, erklären der Berufsrichter Tilmann und der Laienrichter Bauer unisono, vorurteilsfrei und offen an das Verfahren heranzugehen. Wenn die Schöffen das Verfahren nicht ernst nehmen, hat das zwar wohl für die Schöffen keine Konsequenzen wohl aber für die Gerichte: „Man sieht an den vielen Fehlurteilen, die dann revidiert werden”, sagt Bauer, „dass diese Verantwortung nicht immer wahrgenommen wird.”
Dass die Urteilsfindung schwierig ist und man sich nicht vorschnell leiten lassen sollte, erklärt Bauer an einem Beispiel: „Ich erinnere mich an einen Fall von mir, da hat ein Mann Mädchen in einen Laden beobachtet und in der Hose – also nicht sichtbar – onaniert”, erinnert er sich und sein erster Instinkt, sein Bauchgefühl sei es gewesen, den Mann so hart wie möglich zu bestrafen. Aber in der Verhandlung hätte man wirklich gemerkt, dass er an seinem Problem arbeite. Er war anderthalb Jahre in therapeutischer Behandlung und bekam beste Prognosen ausgestellt. „Sämtliche Faktoren waren günstig für ihn und deshalb haben wir ihm eine Bewährungsstrafe gegeben, anstatt nach Gefühl richtig drauf zu hauen”, erzählt Bauer.
Bauer übt das Amt gerne aus, auch weil er „gerne bereit ist, die Verantwortung zu tragen.” Ein Gerichtsurteil kann eben für ein ganzes Menschenleben entscheidend sein. Der Verband übrigens setzt sich für eine höhere Entlohnung der Schöffen ein, die bekommen zwar meist mehr als die sieben Euro, die das Minimum darstellen, aber oft ist es dennoch zu wenig, um den Verdienstausfall auszugleichen. Dabei tragen die Schöffen eben eine große Verantwortung.