Rosenheim – Probleme mit dem linken Auge, so ging es bei Franz B. los. Wenn er gerade auf etwas schaut, kann er nichts erkennen. Wenn er das Objekt aus den Augenwinkeln betrachtet, kann er es wahrnehmen. Eine Störung des Sehnervs, sagten die Ärzte damals. Das war vor fast 40 Jahren. Heute kennt Franz B. die Diagnose: Multiple Sklerose (MS). Der inzwischen 73-Jährige hat gelernt, seine Krankheit anzunehmen – so wie die meisten, die sich seit über 40 Jahren regelmäßig in der Rosenheimer MS-Kontaktgruppe treffen.
In den Gesprächen miteinander gehe es meist nicht um die Krankheit, sagt Franz B. Die Gruppe trifft sich häufig im barrierefrei zugänglichen Restaurant des Möbelhauses Weko. Zwischen 12 und 16 Uhr kommen Betroffene und Angehörige aus der ganzen Region zum Mittagessen und anschließend zu Kaffee und Kuchen zusammen. Die Stimmung ist heiter und gelöst, immer wieder schallt Lachen über einen der zwei Tische – vor allem als die Bilder der Weihnachtsfeier gezeigt werden. Eine Betroffene aus der Kontaktgruppe war bei der Veranstaltung als Nikolaus aufgetreten. Alle tauschen sich aus, man kennt sich.
Ein schöner
Zusammenhalt
Gemeinsam organisieren die Ehepaare Franz und Gerda B. und Karl-Heinz und Monika K. die Treffen, die immer am letzten Mittwoch im Monat stattfinden. Die Informationen dazu werden über eine Whatsapp-Gruppe oder per Rundmail verteilt. „Die Gruppe hat einen schönen Zusammenhalt“, sagt Monika K., die selbst seit 13 Jahren Multiple Sklerose hat. Rund 25 Betroffene und Angehörige sind an diesem Mittwoch gekommen. Sie alle gehören zu den über 250000 Betroffenen, die laut der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) bundesweit mit Multipler Sklerose leben.
Bei MS handelt es sich um eine Krankheit des zentralen Nervensystems. Die Symptome äußern sich sehr unterschiedlich, Multiple Sklerose gilt daher als „Krankheit der 1000 Gesichter“: Manche haben nur geringe Einschränkungen, andere sind im Laufe der Erkrankung auf den Rollstuhl angewiesen. Warum jemand Multiple Sklerose bekommt, ist bis heute weitgehend unklar. Die Krankheit ist weder ansteckend noch vererbbar. Viele trifft die Diagnose wie ein Schock. Vor allem bei jungen Menschen ist das der Fall. Neubetroffene sind meist zwischen 20 und 40 Jahre alt, stehen also mitten im Familien- und Berufsleben.
Katja Dreier und Meike Holderer arbeiten als Sozialpädagoginnen in der MS-Beratungsstelle Rosenheim für die DMSG. Sie sind Ansprechpartnerinnen bei Fragen zur Krankheit und zu Behandlungsmöglichkeiten, wenn persönliche Schwierigkeiten oder Krisen auftreten oder wenn Erkrankte Kontakt zu anderen Betroffenen oder Kontaktgruppen wünschen. Außerdem bieten sie mit verschiedenen Seminaren oder mit persönlichen Beratungsgesprächen ihre Hilfe bei der Krankheitsbewältigung an.
Die Beratungsstelle Rosenheim ist zuständig für die Stadt und den Landkreis Rosenheim, aber auch für die angrenzenden Landkreise von Garmisch-Partenkirchen bis Berchtesgaden.
Regelmäßige Freizeit-
und Sportangebote
In Rosenheim gibt es neben der MS-Kontaktgruppe auch die aktive „Mal-Schaun-Gruppe“, die ebenfalls viele, aber meist jüngere MS-Betroffene stützt und die nicht nur Gruppentreffen abhält, sondern sich regelmäßig auch zu Freizeit- und Sportangeboten trifft. Manche Betroffene haben in beiden Gruppen eine Anlaufstelle gefunden. Angehörige von MS-Betroffenen finden zudem in der „Angehörigengruppe Rosenheim“ die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und sich auszutauschen.
In der Kontaktgruppe Rosenheim passiert der gegenseitige Austausch seit inzwischen mehr als 40 Jahren. Kurz vor Weihnachten – etwas verspätet durch die Corona-Pandemie – feierte die Kontaktgruppe, die im Juni 1981 gegründet wurde, beim Kirchenwirt in Pang ihr Jubiläum. Karl-Heinz K. zeigte mit Bildern den Werdegang der Gruppe.
Die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle Oberbayern ehrten die Gruppenleiter und ehrenamtlichen Mitarbeiter, die teilweise von Beginn an die Gruppe unterstützen. Die Vorstandsvorsitzende der DMSG, Monika Himmighoffen, kam ebenfalls vorbei und hielt die Laudatio. Und auch die Dritte Bürgermeisterin der Stadt Rosenheim, Gabriele Leicht, besuchte die Gruppe, um sich für deren Engagement und den langjährigen Zusammenhalt zu bedanken. Marinus Weidinger, Enkel eines Gruppenmitgliedes, spielte Musik.
Doch am Ende war es vor allem eine Feier für den Zusammenhalt der Gruppe. Wegen der Corona-Pandemie hatten sich die Mitglieder fast zwei Jahre lang nicht treffen können. Einige der Betroffenen waren durch Medikamente, die das Immunsystem beeinträchtigen, stärker vom Virus bedroht. Die Feier zum Jubiläum war also überfällig.