Heimat und letzte Behausung

von Redaktion

OVB-Serie „Kunst im öffentlichen Raum“ – Folge 153: „ Vier Seelenhäuser“

Rosenheim – Vier kleine, rostbraune „Seelenhäuser“, eng aneinander gedrängt auf einer Platte, stehen eher unscheinbar in der Grünanlage links vom neuen Haupteingang des Romed-Klinikums Rosenheim.

Geschaffen hat die Eisenskulptur der Straußdorfer Bildhauer Franz Ferdinand Wörle für seinen Skulpturenweg am Klinikum Rosenheim, der der Kunstinitiative des damaligen Ärztlichen Direktors Professor Dr. Wolfgang Krawietz zu verdanken war und der von Oktober 1999 bis Oktober 2000 in den Grünflächen rund um das Haus präsentiert wurde.

Wörle zeigte hier der breiten Öffentlichkeit erstmals sein neues Thema „Seelenhaus“, das er 1995 begonnen hatte und das ihn bis zu seinem Tod 2020 fünfundzwanzig Jahre begleiten sollte.

Reisen durch Marokko
und die Toskana

Die „Seelenhäuser“ sind abstrahierte Architektur, wie sie der gebürtige Münchner auf seinen Reisen in die Toskana und Marokko kennenlernte. Die Geschlechtertürme in San Gimignano dienten ebenso zur Anregung wie die Kasbahs, die festungsartigen Altstadtbauten im Maghreb. Besonders Marokko faszinierte den Bildhauer und lockte ihn zu zahlreichen Reisen weg aus Straußdorf bei Grafing, wo er 1982 sein Refugium gefunden hatte. Das Archaische zog ihn an, zuerst die Felszeichnungen in Marokko, dann die Megalithbauten in Irland. Die ganz eigene Stimmung eines Ortes, die ganz speziellen Strukturen von Steinen und Bauten fanden ihren Niederschlag in den Eisenskulpturen.

Wörle begreift seine „Seelenhäuser“ als letzte Behausung, als Heimat und Rückzugsraum für die Seele. Architektonische Versatzstücke wie Zinnen oder Fensteröffnungen weisen bei aller Abstraktion und geometrischen Strenge auf den Haus-Charakter hin. Wir kennen Seelenhäuser aus dem Alten Ägypten, wo kleine Tonhäuser auf den Gräbern den Seelen der Verstorbenen angenehmen Aufenthalt bieten sollten, damit sie nicht in die Dörfer und zu den Lebenden zurückkehren.

Im Eisen hatte Wörle sein ideales Material gefunden, dessen Widerstand und Robustheit er schätzte. Es ist aber auch die Vergänglichkeit, die durch das Rosten für jeden begreifbar und sichtbar wird. So wird der Werkstoff zur Metapher für den Lauf der Zeit. Wörle bearbeitete die Eisenoberfläche neuer Arbeiten mit Säure, um eine Korrosion, ein Zersetzen, einen Alterungsprozess innerhalb weniger Stunden in Gang zu setzen. So erhielten seine Skulpturen die gewünschte Rost-Patina, die ihnen eine archaische Aura und eine lebendige Oberfläche gibt.

Wörle hatte mit verschiedenen Materialien gearbeitet, bevor er Eisen als den ihm adäquaten Werkstoff entdeckte. Als Schüler in Schwabing übte er sich in Keramik, eine Lehre als Holzbildhauer bereitete ihn auf die Akademie der bildenden Künste in München vor. Hier lernte er bei Aloys Ferdinand Gangkofner, der die Leuchten für das 1985 eröffnete Hans-Schuster-Haus in Rosenheim entworfen hat, das Arbeiten mit Glas kennen.

Kunst, Natur und
Landschaft

Von seinem zweiten Professor an der Akademie, dem Saarländer Leo Kornbrust, übernahm Wörle die Idee der „Skulpturenstraße“ und realisierte diese anspruchsvolle Verbindung aus Kunst, Natur und Landschaft unter anderem in Bruckmühl, am Klinikum Rosenheim und im Ebersberger Forst. Am bekanntesten ist Wörles Erinnerungsmal in Bad Aibling für die Opfer des schweren Zugunglücks vom 9. Februar 2016. Wörle, dem Eisen zu seinem ureigensten Material geworden ist, schuf hier aus drei mächtigen Eisenteilen, die gedankliche Verknüpfung zur Eisenbahn liegt nahe, eine hohe Stele in Torform als Symbol des Überganges vom Leben in den Tod.

Vielleicht wohnt jetzt die Seele des engagierten, hilfsbereiten und allseits beliebten Franz Ferdinand Wörle in einem seiner Seelenhäuser, die, auch wenn der Zahn der Zeit an ihnen nagt, dennoch 200 bis 300 Jahre halten können, wie der Künstler einmal humorvoll erläuterte.

Das Werk

„Vier Seelenhäuser“, Eisen, 1999; Höhe 117 bis 121 Zentimeter, Breite 9 bis 17 Zentimeter, Tiefe 8 bis 10 Zentimeter; auf einer Grundplatte von 81 mal 61 Zentimetern; Romed-Klinikum Rosenheim, Ellmaierstraße 23.fie

Der Künstler

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