Rosenheim – Für Otto Lederer war es eine Premiere. Zum ersten Mal besuchte der Landrat am Dienstag eine Sitzung des Rosenheimer Stadtrates. Nachdem sich wenige Stunden zuvor bereits der zuständige Kreisausschuss mit einem möglichen MVV-Beitritt auseinandergesetzt hatte, diskutierten am Dienstagabend auch die Mitglieder des Haupt- und Finanzausschusses sowie des Verkehrsausschusses darüber, ob man Teil des Münchner Tarif- und Verkehrsverbund (MVV) werden will.
Kein einheitliches
Ticketsystem
Nachdem Oberbürgermeister Andreas März anlässlich des Valentinstags Rosen an alle Stadträtinnen verteilt hatte, erinnerte er daran, dass es in Stadt und Landkreis im Moment kein einheitliches Ticketsystem für Busse und Bahnen gibt. Das führt dazu, dass man beispielsweise für eine Fahrt von einem Rosenheimer Stadtteil zur Allianz-Arena drei verschiedene Fahrkarten benötigt. Fahrgäste, die nur gelegentlich den ÖPNV nutzen, müssen sich zudem immer wieder neu über Fahrpreise und Kombinationen unterschiedlicher Tickets informieren. Zwar gebe es mit dem Ticketcenter eine zentrale Informationsstelle zu sämtlichen Angeboten, ein einheitliches digitales Angebot fehle jedoch. „Hinzu kommt, dass der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) nicht in die vorhandenen Tarifstrukturen integriert ist“, heißt es aus dem Rathaus. Heißt: Wer den Zug nutzt, muss einen neuen Fahrschein kaufen.
Nun ist es aber das erklärte Ziel der Rosenheimer Stadträte, den ÖPNV und seine Angebote zu verbessern. Dafür hatte man sich 2019 ausgesprochen, als der Nahverkehrsplan einstimmig verabschiedet wurde. Neben durchgehender Tarife ist auf den 281 Seiten auch die Rede von Taktverdichtungen, einer verkehrsmittelübergreifenden Fahrgastinformation sowie einer Digitalisierung bei den Tickets. Dinge, die sich durch einen MVV-Beitritt verbessern beziehungsweise umsetzen ließen.
Hinzu kommt, dass es enorme Pendlerbeziehungen mit München und dem MVV-Raum gibt und diese Zahlen in den kommenden Jahren noch zunehmen könnten. Auch besteht ein umfangreicher Gäste- und Freizeitverkehr. „Dadurch ergibt sich eine sehr hohe verkehrliche Sinnhaftigkeit für eine MVV-Integration“, heißt es aus dem Rathaus. Aber – und auch daraus machte Oberbürgermeister März kein Geheimnis – ein MVV-Beitritt ist mit Kosten verbunden.
Denn weil der MVV-Tarif in der Regel günstiger ist, als der bisherige Tarif, und der Kunde nur noch ein Ticket braucht, entstehen sogenannte Harmonisierungs- und Durchtarifierungsverluste. Die damit verbundenen Mindereinnahmen im ÖPNV müssen durch die Stadt Rosenheim ausgeglichen werden. Die Verluste im Schienenpersonennahverkehr werden der Verwaltung zufolge für die nächsten fünf Jahre zu 90 Prozent vom Freistaat Bayern aufgefangen. Danach betrage der staatliche Anteil 100 Prozent. Die einmaligen Investitionskosten für den Beitritt werden zu 90 Prozent vom Freistaat gefördert. Die sogenannten Regiekosten für die Rosenheimer Betreuung durch den MVV betragen circa 312000 Euro pro Jahr und werden komplett von der Stadt getragen. Insgesamt fallen für die Stadt damit jährlich Kosten in Höhe von 680500 Euro an, plus eine einmalige Zahlung in Höhe von 104500 Euro. Geld, das unter anderem in die Anpassung der Infrastruktur für Bus und Schiene sowie für die personelle Betreuung durch die MVV GmbH investiert wird.
„Diese erhebliche staatliche Förderung des Freistaats bei einem MVV-Beitritt bietet eine einmalige Chance“, sagte Oberbürgermeister März. Ob in den kommenden Jahren mit vergleichbar hohen Förderungen zu rechnen ist, ist seiner Meinung nach fraglich. Aus diesem Grund sprach er sich– mit einer Mehrheit des Gremiums – gegen den Antrag der Freien Wähler/UP aus. Die Fraktion hatte gefordert, die Entscheidung über den Beitritt der Stadt Rosenheim zum MVV bis ins erste Quartal 2024 zurückzustellen. „Durch die Vertagung der Entscheidung kommen keine neuen Tatsachen auf den Tisch“, zeigte sich März überzeugt.
Doch genau das sah Robert Multrus, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler/UP, ganz anders. Er regte an, abzuwarten, wie gut das 49-Euro-Ticket angenommen werde und plädierte dafür, die rund 680000 Euro, die die Stadt Jahr um Jahr in den MVV investieren müsste, lieber direkt in den ÖPNV vor Ort zu investieren. „Da haben wir mehr davon“, sagte er.
Doch zumindest in Sachen 49-Euro-Ticket widersprach ihm März. Zwar werde die Nutzung des ÖPNV und des SPNV durch das Ticket grundsätzlich günstiger, das Angebot richte sich jedoch primär an Vielfahrende und Pendler. „Nicht jeder Bürger wird die Kosten in Höhe von 49 Euro monatlich beziehungsweise 588 Euro jährlich für das Deutschland-Ticket investieren“, teilte er mit. Zudem sei ungewiss, wie lange dieses Angebot bestehen bleibt.
Fakt sei, dass ein MVV-Beitritt viele Vorteile für den Nutzer habe. So benötigt der Fahrgast für seine gesamte Reise innerhalb der Verbundregion nur einen Fahrschein. Diesen kann der Kunde entweder analog erwerben – also beispielsweise am Schalter oder beim Busfahrpersonal – oder digital per App auf dem Handy.
Tickets könnten günstiger werden
Hinzukommt, dass der Fahrgast der Verwaltung zufolge durch diverse Tarifangebote Kostenvorteile hat. Die abgestimmten Fahrpläne im Verbundsystem für Bus und Bahn würden dem Fahrgast bessere und einfachere Umstiege innerhalb des Systems ermöglichen und somit mehr Bürger zum Umstieg auf den ÖPNV bewegen. Eine übergreifende Fahrplanauskunft liefere die notwendigen Informationen, um im Verbundraum mobil zu bleiben. Darüber hinaus gebe es ein professionelles Echtzeitinformationssystem mit Routenführung.
Es sind Argumente, die letztendlich auch die Stadträte überzeugten. Mehrheitlich sprachen sich die Politiker – ähnlich wie die Mitglieder des Kreistags – für einen MVV-Beitritt aus. Eine endgültige Entscheidung fällt am 1. März im Stadtrat. Sollte die Entscheidung auch dort positiv ausfallen, ist Rosenheim ab dem 10. Dezember 2023 Teil des MVVs.