Rosenheim – Die Babyklappe in Landshut liegt etwas versteckt auf der Rückseite des Kinderkrankenhauses St. Marien. Zwei Schilder weisen den Weg zur Klappe, in der ungewollte Kinder abgelegt werden können. Seit 2001 gibt es in der kreisfreien Stadt in Niederbayern die Babyklappe, die damals auf Initiative des dortigen Kinderschutzbundes eingerichtet wurde. Seither wurden sechs Babys abgegeben. „Zuletzt eins in 2020“, sagt Bernhard Brand. Er ist der Geschäftsführer des Kinderkrankenhauses St. Marien. Das Wort Babyklappe mag er nicht. Stattdessen regt er an, Begriffe wie „Babynest“ oder „Babykörbchen“ zu verwenden.
Abdrücke zur
Identifizierung
Entscheidet sich eine Mutter dafür, ihr Neugeborenes anonym in das „Babynest“ des Kinderkrankenhauses zu legen, findet sie dort einen Brief mit Informationen vor, an wen sie sich mit Fragen wenden kann. Außerdem kann sie mit einem vorhandenen Stempelkissen einen Hand- oder Fußabdruck ihres Babys abnehmen, um eine spätere Identifizierung und damit den Weg zurück zu ihrem Kind zu erleichtern. „Das Baby wird hineingelegt, nach einer Minute wird eine Pflegekraft der Notaufnahme per Piepser informiert, holt das Kind und dann wird es untersucht“, erklärt Brand auf OVB-Anfrage. Anschließend informiere der Sozialdienst des Krankenhauses das Standesamt und das Jugendamt. Die entsprechenden Mitarbeiter informieren beziehungsweise suchen potenzielle Pflegeeltern. „Bis dahin bleibt das Kind bei uns“, sagt Bernhard Brand. Die Einrichtung der leicht beheizbaren Babyklappe habe damals rund 10000 Euro gekostet.
Er weiß, dass das Thema immer wieder kritisch diskutiert wird. So sollen Babyklappen und Angebote zur anonymen Geburt aus Sicht des Deutschen Ethikrats aufgegeben werden. „Die bestehenden Angebote anonymer Kindesabgabe sind ethisch und rechtlich sehr problematisch, insbesondere, weil sie das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft und auf Beziehung zu seinen Eltern verletzen“, heißt es in einer Stellungnahme aus dem Jahr 2009. „Wir hatten uns damals gegen das Veto des Deutschen Ethikrats entschieden“, sagt Bernhard Brand. Bereut hat er die Entscheidung nicht. Im Gegenteil. „Wir haben sechs Kindern das Leben gerettet. Darauf sind wir stolz. Die Mühen haben sich insofern gelohnt“, sagt er.
In Bayern gibt es insgesamt zwölf Babyklappen, davon sechs in Oberbayern – zwei in München, jeweils eine in Ingolstadt, Weilheim, Schongau und Altötting. Traunstein hat angekündigt, ebenfalls eine einzurichten. In der Stadt und im Landkreis Rosenheim gibt es keine solche Einrichtung.
„Nach Einschätzung der Verwaltung besteht kein Bedarf, eine Babyklappe einzurichten“, sagt Stadt-Pressesprecher Christian Schwalm. Vielmehr sollte auf die Möglichkeit der vertraulichen Geburt, der anonymen Beratung durch die Schwangerenberatungsstellen, die Adoptionsvermittlungsstellen, der Koordinierungsstelle Frühe Kindheit-Koki und auf das Hilfetelefon „Schwangere in Not“ aufmerksam gemacht werden.
Gesetz der
vertraulichen Geburt
Seit Mai 2014 gibt es das Gesetz zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt. „Frauen haben damit die Möglichkeit vertraulich, ohne Angabe der Identität, in einer Einrichtung der Geburtshilfe zu entbinden“, sagt Sabine Lugauer, Leiterin der SkF-Schwangerenberatung. Damit sollen Frauen, die ihre Schwangerschaft verdrängen oder verheimlichen und vom regulären Hilfesystem für Schwangere nicht erreicht werden, geschützt werden. „Statt ihres richtigen Namens gibt die Frau ein Pseudonym an. Der Name der Mutter wird in einem verschlossenen Umschlag beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) aufbewahrt“, ergänzt Pressesprecher Christian Schwalm. Ab dem 16. Lebensjahr darf das Kind laut dem städtischen Pressesprecher den beim BAFzA hinterlegten Herkunftsnachweis einsehen und so sein Grundrecht nach Wissen über seine Herkunft in Anspruch nehmen. Dass das Gesetz wirkt, zeigt ein Blick auf die Zahlen. „Von 2014 bis 2021 wurden allein von Donum Vitae 63 vertrauliche Geburten in Bayern begleitet“, sagt Ulrike Schauberger. Die stellvertretende Leiterin der Schwangerenberatungsstelle „Donum Vitae“ ist in Rosenheim für die vertraulichen Geburten zuständig. „Es ist uns gelungen, Frauen, die in psychischen Ausnahmesituationen sind, zu erreichen und bei dem gesamten Prozess, von der Entscheidung bis hin zur Aufarbeitung, zu unterstützen“, sagt Schauberger. Hinzu komme, dass eine vertrauliche Geburt – anders als die Babyklappe – dafür sorgt, dass Mutter und Kind medizinisch bestmöglich versorgt werden. Zudem könne die Mutter bei der Aufarbeitung unterstützt werden. „Für die Frauen ist das eine ganz schwere Situation. Sie treffen die Entscheidungen oft aus Liebe und um das Kind zu schützen“, sagt die stellvertretende Leiterin. Die Kosten für eine vertrauliche Geburt übernimmt laut Elisabeth Siebeneicher, Pressesprecherin des Romed-Klinikums, ebenfalls das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. „Dort werden unter dem Pseudonym-Namen alle Rechnungen eingereicht“, sagt die Pressesprecherin. Ihr zufolge sei es in der Vergangenheit bisher „glücklicherweise nicht vorgekommen“, dass ein Neugeborenes im Klinikum abgegeben oder abgelegt wurde.
Polizei keine
Vorfälle bekannt
Und auch der Rosenheimer Polizei sind keine derartigen Vorfälle bekannt. „In den vergangenen Jahren hat es in der Stadt Rosenheim sowie in den sechs Gemeinden, für die wir zuständig sind, keinen einzigen Fall gegeben“, bestätigt Polizeihauptkommissar Robert Maurer. Anders als im knapp 60 Kilometer entfernten Ruhpolding. Am Nachmittag des 4. Dezembers hatte ein Zeuge ein totes Neugeborenes im Bereich des Wanderparkplatzes Seekopf entdeckt. Nachdem eine Obduktion Anhaltspunkte auf einen gewaltsamen Tod erbrachte, leitete die Staatsanwaltschaft Traunstein Ermittlungen wegen eines Tötungsdelikts ein – und tritt nach wie vor auf der Stelle.
Hätte Babyklappe den
Vorfall verhindert?
Ob eine Babyklappe den Vorfall hätte verhindern können, darüber kann auch Marianne Guggenbichler, Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes, nur spekulieren. „Für die Mutter ist das eine psychische Ausnahmesituation“, sagt sie. Gegen die Einrichtung einer Babyklappe spreche zum Beispiel die Tatsache, dass die Kinder nie die Möglichkeit haben, ihre Herkunft zu erfahren. „Dies ist mit der Möglichkeit einer vertraulichen Geburt anders“, sagt Guggenbichler. In Stadt und Landkreis Rosenheim seien die frühen Hilfen sehr gut aufgestellt, und die Netzwerke kooperieren mit den zuständigen Behörden. Die koordinierenden Kinderschutzstellen sind an den Kliniken angebunden und arbeiten eng mit Ärzten und Familienhebammen zusammen. „Die zuständigen Beratungsstellen agieren mit einem großen Unterstützungsangebot. Da nimmt Rosenheim wirklich eine Vorreiterstelle ein“, sagt sie. Ihrer Meinung nach sei es jetzt wichtig, die einzelnen Angebote noch mehr in den Fokus zu rücken.